Mord in Cornwall

  • Klett-Cotta
  • Erschienen: September 2018
  • 2
  • London: Skeffington & Son, 1935, Titel: 'The cornish coast murder', Seiten: 288, Originalsprache
  • Stuttgart: Klett-Cotta, 2018, Seiten: 320, Übersetzt: Eike Schönfeld
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Michael Drewniok
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2018

Schüsse aus dem Nichts fällen den bösen Onkel

Boscawen, ein Dorf an der Atlantikküste der südostenglischen Grafschaft Cornwall, zählt zum Zeitpunkt der hier geschilderten Ereignisse 400 Einwohner, die einander (viel zu) gut kennen. Zur lokalen Prominenz gehört Reverend Dodd, in dessen uralter Dorfkirche St. Michael’s-on-the-Cliff die meisten Bürger mehr oder weniger regelmäßig die Bänke drücken.

Ein deutlich weniger beliebter Zeitgenosse ist Julius Tregarthan, Großgrundbesitzer und ehemaliger Friedensrichter, der sich durch seine Herzlosigkeit und Geldgier den Hass derer zugezogen hat, die seiner Willkür ausgeliefert sind. Dazu gehört auch Nichte Ruth, deren Vormund Julius nach dem Tod der Eltern wurde. Die junge Frau hat sich bisher den Launen des Onkels unterworfen, ist nun jedoch mannbar geworden und hat sich verliebt. Ronald Hardy ist ein erfolgreicher Schriftsteller, der allerdings unter einem Kriegstrauma leidet und psychisch labil ist. Julius missbilligt die Verbindung und hat Hardy verboten, Ruth wiederzusehen.

Kurz darauf liegt Julius mit durchschossenem Schädel tot im Arbeitszimmer von „Greylings“, das er mit Ruth und dem Diener-Ehepaar Cowper bewohnt. Der Fall geht an Inspector Bigswell, der wenig erfreut die wenigen Indizien zur Kenntnis nimmt, während die Schar der Verdächtigen kopfstark ist. Dazu gehören farbenfrohe Gestalten wie der Wilderer Ned Salter, der dem alten Tregathan einen längeren Gefängnisaufenthalt verdankt, aber auch Hardy - der zudem abgetaucht zu sein scheint - und vor allem Ruth, die sich recht verdächtig benimmt.

In seiner Not akzeptiert Bigswell die Hilfe des Reverends, der seine Schäfchen nicht nur gut kennt, sondern auch ein begeisterter Leser von Kriminalromanen ist. Gemeinsam lösen sie das Rätsel eines Mordes mit abgrundtiefer Vorgeschichte.

Kein Klassiker, nur alt - und unterhaltsam

„Mord in Cornwall“ gehört zu jenen ‚vergessenen‘ Kriminalromanen, die von der British Library in ihrer Reihe „Crime Classics“ neu veröffentlicht wurden. Man kann diesen Enthusiasmus sowohl verstehen als auch begrüßen, denn wie sich (einmal mehr) herausstellt, weist die Geschichte des (britischen) Kriminalromans weiterhin blinde Flecken auf, in denen Werke verstauben, die dieses Schicksal nicht verdienen.

Es handelt sich nicht um ‚echte‘ Klassiker, wie sie Agatha Christie, Dorothy L. Sayers oder John Dickson Carr schrieben, sondern ‚nur‘ um handwerklich solide gezimmerte Krimis, die ihre Leser unterhalten sollten. John Bude veröffentlichte vor allem für Verlage, die ihre Bücher an Bibliotheken schickten. Dort wurden sie verliehen und als Altpapier entsorgt, wenn sie zerlesen waren. Neuauflagen waren selten. Auf diese Weise konnte selbst ein fleißiger Autor wie Bude in Vergessenheit geraten.

„Mord in Cornwall“ war Budes Erstling - allerdings nur als Krimi, was die stilistische Eleganz erklärt: Hier schrieb kein Anfänger. Unter seinem Geburtsnamen Ernest Elmore hatte der Verfasser bereits mehrere Werke veröffentlicht, bevor er sich als „John Bude“ auf den Krimi konzentrierte. Als solcher hat er trotz seiner Schreiblust relativ wenige Spuren im Genre hinterlassen, weshalb man dankbar ist, dass Martin Edwards - selbst Autor zahlreicher Kriminalromane - in einem Nachwort Hintergrundinformationen liefert.

Wie? Wer? Warum?

Bude war nach Ansicht vieler Kritiker vor allem bzw. allzu sehr auf den Plot fixiert. Man verglich ihn u. a. mit R. Austin Freeman und anderen Autoren, die das Gebot des „fairen“ Krimis auf die Spitze trieben: Sie ließen den Lesern quasi gemeinsam mit dem Ermittler den beschriebenen Fall lösen und lieferten ihnen sämtliche Informationen über Tatort, Indizien und Verdächtige. Das ließen sich besagte Leser gern gefallen, wenn dem eine raffinierte und überraschende Auflösung folgte. Wichtig war dabei die Beschränkung auf den Kreis derjenigen Personen, die bis zu diesem Zeitpunkt die Handlung bestimmt hatten. Last-Minute-Kandidaten, die als Schurken entlarvt wurden, waren verpönt.

Schlechte Karten für Bude, der beides ignoriert. Wir lernen Greylings, den Tatort, und seine Umgebung buchstäblich Zentimeter für Zentimeter kennen. Bude ködert uns mit einem Mord, der faktisch unmöglich ist, was er uns nachdrücklich ‚beweist‘ - um plötzlich ein völlig neues Szenario zu präsentieren. Auch die Identität des Täters ist vorab unmöglich zu erraten. Zu beiläufig und unbeteiligt lässt Bude ihn auftreten, bevor er final demaskiert wird.

Doch Bude schrieb eben keinen der für seine Ära typischen Rätsel-Krimis, sondern verfolgt einen anderen Ansatz. Ihm geht es zunächst darum, die Bluttat selbst zu erklären. Wie wurde Julius Tregathan umgebracht? Die Spuren sind vage und missverständlich, weshalb die Handlung lange um entsprechende Lösungsbemühungen - und Irrtümer - kreist. Die schließlich ermittelte Methode ist trickreich, wenn auch wenig plausibel, aber sie stellt zufrieden.

Ermittlung als Spiel mit Folgen

Nun intensiviert Bude die Suche nach dem Täter (oder der Täterin). Wieder ist er im Grunde zu gründlich und weist die Schuld mehrfach so eindeutig nach, dass nur das Nahen der letzten Seite die Leser davon überzeugt, dass jetzt der wahre Übeltäter genannt wird. Budes Absicht enthüllt sich, wenn er abschließend den Grund für das Verbrechen offenbart. Erst jetzt erkennen wir, wie der Autor mit uns bzw. unserer Erwartungshaltung gespielt hat. Aus dem Opfer wird erst ein zwielichtiger Charakter und letztlich ein Drecksack, der sein Ende selbst heraufbeschworen hat. Der Mörder gehört durchaus zum Kreis der Verdächtigen - ein Kreis, den der Ermittler nicht weit genug gezogen hatte.

Dass „Mord in Cornwall“ trotz gewisser Mankos für (nicht unbedingt spannende, aber) gute Unterhaltung sorgt, hängt mit Budes Talent zusammen, glaubhafte Figuren zu zeichnen. Aus heutiger Sicht sind die Protagonisten zwar Klischees: der übereifrige, krimibelesene Pastor, sein Freund, der zynische Arzt, die verdächtige Schöne und ihr neurotischer Liebhaber, die treuherzig-beschränkte Dienerschaft etc. Nach und nach tun sich aber Abgründe auf, die dem Geschehen unerwartete Wendungen bescheren.

Während Reverend Dodd sehr profilstark gezeichnet wird, bleibt Inspector Bigswell relativ blass. Dies ist vom Verfasser beabsichtigt. Einerseits steht der Fall mit seinen Beteiligten im Vordergrund, andererseits ist Bigswell auf seine zurückhaltende Art ein guter Ermittler, der deshalb keine Schwierigkeiten damit hat, die Hilfe des Pastors in Anspruch zu nehmen: Die im Krimi oft bemühte Rivalität zwischen Profi und Amateur erspart Bude seinen Figuren - und seinen Lesern.

Mit sicherem Blick fürs dramatische Ambiente

Erfreulich handlungsförderlich ist Budes Blick für eine Landschaft, die er für seinen Plot gestaltet. Cornwall war in den 1930er Jahren noch kein Urlaubsort, weshalb der Autor in lokalen = ‚echten‘ Eigentümlichkeiten schwelgen konnte. Die eher schroffe als idyllische Küste nimmt unter Budes Feder Gestalt an; heute würde diesem Roman wahrscheinlich eine ganze Serie weiterer Cornwall-Krimis folgen. Bude wechselte die Umgebung (und den Ermittler) und sorgte weiterhin für nahrhaftes Krimi-Futter.

In England wurden bereits weitere Bude-Krimis neu aufgelegt. Hierzulande würde man sich eine Fortsetzung jenes Engagements wünschen, das der Verlag Klett-Cotta beweist. Er gibt hierzulande unbekannte bzw. bisher nur gekürzt erschienene Alt-Krimis heraus: vollständig, gut übersetzt und schön aufgemacht.

Fazit:

Dieser Roman aus der „Goldenen Ära“ des britischen Rätselkrimis ist nicht so geschickt geplottet wie die Klassiker des Genres, kann das aber durch die gut charakterisierten Figuren und den eleganten Schreibstil wettmachen: eine willkommene Wiederentdeckung.

Mord in Cornwall

John Bude, Klett-Cotta

Mord in Cornwall

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