Das Lied der toten Mädchen

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 2018
  • 9
  • Berlin: Ullstein, 2018, Seiten: 400, Originalsprache
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Andreas Kurth
78°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2018

Wenn kalte Fälle plötzlich wieder brandheiß werden

1997 wird im sauerländischen Schmallenberg eine junge Frau ermordet - neben ihr wird eine Spieluhr gefunden. 20 Jahre später interessieren sich die Journalisten Jan Römer und Stephanie Schneider für diesen ungeklärten Fall. Sie haben sich darauf spezialisiert, ungelöste Kriminalfälle nochmals aufzurollen. Jan und Mütze - so wird Stephanie wegen ihrer Obsession für Kopfbedeckungen genannt - stoßen allerdings im Sauerland nur auf verschlossene Menschen. Wenig überraschend möchte keiner der Zeitzeugen zu den Vorgängen vor zwei Jahrzehnten etwas sagen.

Das Opfer hat mit zwei Freundinnen in einem mysteriösen Haus gearbeitet, das kurz nach dem Mord abgerissen wurde. Die beiden Journalisten nehmen Witterung auf, finden eine merkwürdige Firma, die das Haus unterhalten hat. Jan und Mütze merken erst im Laufe ihrer Recherchen, dass sie mit ihren Ermittlungen offenbar einiges aufgewühlt haben. Als es dann sogar weitere Mordfälle gibt, bekommt ihr Verleger kalte Füße, aber das toughe Journalisten-Duo lässt sich nicht stoppen - und gerät schließlich selbst in Gefahr.

Verfassungsschutz und RAF würzen kräftig die Geschichte

Man muss die ersten beiden Bände um den Journalisten Jan Römer und seine Kollegin Stephanie Schneider nicht gelesen haben, um mit "Das Lied der toten Mädchen" zurecht zu kommen. Aber wer den dritten Fall von Linus Geschke gelesen hat, wird allerdings möglicherweise Appetit auf die Vorgänger bekommen. Denn das Duo Jan und Mütze ist schon eine coole Truppe.

Jeder einzelne Fall ist von Geschke so angelegt, dass er für sich gelesen werden kann. Das Privatleben der Ermittler spielt keine ganz so große Rolle, obwohl man schon einiges über Jan und Mütze erfährt. Aber die entsprechenden Sequenzen sind so dezent in die Geschichte eingebaut, dass es entweder nicht stört, oder für den Fortgang der Handlung sogar wichtig ist. Nach dem Startpunkt im Sauerland führen die Ermittlungen das Duo übrigens weit darüber hinaus - von einem Regionalkrimi kann hier also in meinen Augen keine Rede sein. So richtig Schwung bekommt die Geschichte, als der Verfassungsschutz sich interessiert, und entfernte RAF-Bezüge deutlich werden.

In Jan Römer steckt ziemlich viel von Linus Geschke

Linus Geschke hat seit seiner Zeit auf der Journalistenschule einen persönlichen Bezug zum Thema RAF, weil er damals eine größere Arbeit darüber schreiben musste. Und wenn der Verfassungsschutz beteiligt ist, ist in seinen Augen außerdem immer etwas unsauber an einer Geschichte. Mir hat in "Das Lied der toten Mädchen" gefallen, wie Jan und Mütze in ihren aufwändigen Recherchen an das durchaus problematische Thema heran gehen. 

Überhaupt ist das Ermittler-Duo ein großer Pluspunkt bei der Roman-Reihe. Man mag die Äußerung von Linus Geschke ernst nehmen, er habe sich Journalisten aus Faulheit als Protagonisten auserkoren, oder das als Koketterie abtun. Auf jeden Fall stimmt es, dass in Jan Römer viel von Linus Geschke steckt, auch wenn der Autor Wert darauf legt, dass sein Protagonist kein "alter ego" ist. Im Interview  hat Linus Geschke gesagt, er habe Journalisten als Ermittler gewählt, weil er dann nicht viel recherchieren musste. Wer den Autor kennt und die Bücher liest, wird jedenfalls über die Parallelen stolpern - und der Geschichte schadet das in meinen Augen auf gar keinen Fall.

Qualitätsjournalismus versus soziale Medien als Randthema

Auch wenn der Roman Anklänge eines Polit-Thrillers hat, bleibt das Buch doch insgesamt ein eher klassischer Krimi, und die beiden Journalisten leisten ganz solide Arbeit bei ihren Ermittlungen. Linus Geschke versteht es, den Leser von Beginn an mit seiner Geschichte zu fesseln. Im Hintergrund wird eher am Rande das Thema Qualitätsjournalismus versus soziale Medien aufgeworfen. Jan und Mütze arbeiten für ein Nachrichten-Magazin, das wie viele Medien in der heutigen Zeit Probleme hat. Die zunehmende "Eigen-Berichterstattung" in den sozialen Medien gräbt den Journalisten das Wasser ab, weil immer mehr Menschen kaum noch Wert auf journalistische Qualität legen. Hier hat der Medien-Experte Geschke den Finger etwas in die Wunde gelegt, ohne das problematische Thema seine Krimi-Geschichte zu sehr überlagern zu lassen. Geschickt gemacht - und mit viel Augenmaß.

Es geht mal wieder um Geld, Macht, Sex und Rache

Neben den starken Protagonisten - denn das sind Jan und Mütze in meinen Augen - punktet der Roman noch mit einem weiteren Thema. Hier wird die problematische Vorgehensweise des Verfassungsschutzes thematisiert, ohne das zu einem zentralen Punkt zu machen. Das zeigt insgesamt, dass Linus Geschke so einige Aspekte aufgegriffen hat, die den Kriminalfall insgesamt aber nicht überlagern. Ein scheinbar kalter Kriminalfall, die Lage in den Medien, der Verfassungsschutz und sein problematisches Wirken - hier steckt einiges drin, und der Recherche-Aufwand dürfte am Ende doch groß gewesen sein. Es geht um Geld, Macht, Sex und Rache - dabei reicht der Spannungsbogen von der ersten bis zur letzten Seite. Das Ende ist dann in meinen Augen ein richtiger Knaller, den ich so nicht erwartet habe. Ein mehr als lesenswerter Krimi mit wirklich coolen Ermittlern.

Das Lied der toten Mädchen

Linus Geschke, Ullstein

Das Lied der toten Mädchen

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