Ich sehe was, und das ist tot

  • Argon
  • Erschienen: Januar 2015
  • 2
  • Berlin: Argon, 2015, Übersetzt: Oliver Siebeck
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Sabine Bongenberg
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2015

Die alte Geschichte mit den vielen Köchen

Neben den alten Geschichten über die berühmte Spinne in der ebenso berühmen Kokospalme gibt es weitere moderne Legenden, zu denen der "Snuff-Movie" gehört. Darunter ist ein Film zu verstehen, der einen realen Mord beinhaltet. Über derartige Filme drehen sich diverse Gerüchte und Behauptungen - tatsächlich hat aber noch niemand ein derartiges Machwerk gesehen.

Karen Sander setzt in ihrem dritten Fall um den Ermittler Georg Stadler und die Profilerin Liz Montario diese alte "Legenden-Regel" außer Kraft. Beschäftigt sich die Polizei zunächst nur mit den möglichen Schauplätzen und den Kulissen begangener Morde, so verdichten sich zusätzlich die Hinweise darauf, dass es offensichtlich nicht allen genügt, Lieblingsszenen bei gelegentlichen DVD-Abenden zu betrachten. Neben diesen ohnehin schon aufreibenden Ermittlungen krachte es aber auch zusätzlich im Gebälk des bisher soliden Ermittlerteams. Georg Stadler sieht sich plötzlich weiter in dem Geschehen involviert als er es ursprünglich erwartet hat. Der Feind agiert nicht nur in der Außenwelt sondern hat auch schon Eingang in sein unmittelbares Umfeld gefunden.

Anlass zur größten Kritik gibt zunächst der gewollt spannungsgebundene Auftakt der Handlung. Da bereits im Klappentext festgehalten wird, dass die Polizei in einem leerstehenden Fabrikgebäude eine Blutlache nebst zersprungenem Spiegel und Rasiermesser mit einem an die Wand gesprühten seltsamen Code entdeckt, wird hier sicherlich kein Geheimnisverrat betrieben. Nur sollte dann auch die Frage gestellt werden, wieso dieses Szenario als bedeutender Einstieg gewählt wird. Polizeibeamte, die auf eine derartige Kulisse stoßen würden, würden sich vermutlich kurz umsehen und dann - mangels Leiche - das Ganze mit der Vermutung "da haben Kinder gespielt" abtun. Schön natürlich, dass sich die Polizei in Karen Sanders Buch für einen anderen Weg entscheidet. Andererseits scheint die Polizei hier auch nicht wirklich viel zu tun zu haben, wenn sie sich ernsthaft mit einer derartigen Spurenlage auseinandersetzt.

Insgesamt ist das auch der Punkt, an dem Sanders flüssig laufender Roman gelegentlich hakt. Stark sind jeweils die Szenen, die das zwischenmenschliche Miteinander des Ermittlerteams mit allen seinen Verflechtungen aber auch Verwirrungen beschreiben. Zusätzliche Spannungsbögen gelingen der Autorin mit den Verstrickungen um Georg Stadler. Er wird selbst zum Gegenstand der Untersuchungen, weisen doch viele Indizien darauf hin, dass der Ermittler selbst alles andere als eine weiße Weste aufweist. Im Kontrast dazu wirken dagegen die Handlungen um die Aufklärung der Mordserie arg konstruiert. Inwieweit sich Filmliebhaber oder kranke Gemüter tatsächlich dazu hinreißen lassen, berühmte Mordsequenzen nachzustellen und dabei weder vor Freund noch Feind noch Familie halt zu machen und als Begründung einen einzigen auslösenden Moment in ihrer Vita anzuführen, sei dahingestellt. Nicht überzeugend dargestellt, ist auch die Spurensuche der Ermittler, wirken die jeweiligen Hinweise auf die nächsten Morde doch sehr schemenhaft und die dazu präsentierten Lösungen eher zufällig.

Generell bildet die Geschichte der Filmmorde zwar den Hauptaufhänger und vordergründig auch den Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Im Hinblick auf die Spannung des Buches muss dieser Strang aber vor Nebenhandlung um Stadler's Verwicklungen zurücktreten. Hier hätte sich Sander auch darauf verlassen können, dass das Interesse der Leser auch für die persönlichen Verstrickungen ihrer Roman-Akteure ausreicht. So bleibt aber insgesamt der Eindruck, dass die Autorin verschiedene Genres bedienen wollte, sich aber insgesamt im Geflecht der verschiedenen Geschichten verlor.

Ein gut aufgebautes und schlüssig agierendes Team ist durchaus in der Lage, eine spannende und gut erzählte Geschichte um seine internen Verstrickungen und Bedrohungen aufzubauen. Die reißerischen und teilweise schwer ernstzunehmenden Verstrickungen um moderne Legenden dienen hier nur dazu, ein ohnehin recht ansehnliches Gericht geschmacklich zu überfrachten. Hier hätte sich der Leser gelegentlich tatsächlich "einen Koch weniger gewünscht".

Ich sehe was, und das ist tot

Sabine Klewe, Argon

Ich sehe was, und das ist tot

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