Kings of London

  • Suhrkamp Nova
  • Erschienen: Januar 2015
  • 4
  • London: Quercus, 2014, Titel: 'House of Knives', Originalsprache
  • Berlin: Suhrkamp Nova, 2015, Seiten: 472, Übersetzt: Conny Lösch
Kings of London
Kings of London
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Sabine Bongenberg
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2015

Swinging sixties, diskriminierende sixties, mörderische sixties

Sie fühlen sich tatsächlich gelegentlich als die "Könige von London": Die Polizisten der D Division. Sie sind die Männer für's Grobe: Sie verschaffen betrunkenen Randalierern einen Platz in der Zelle und ermitteln in den Fällen, die sich Scotland Yard nicht unter den Nagel reißt. Ab und an erleidet einer ihrer "Kunden" mysteriöse Verletzungen oder verstirbt gar in der Zelle. Aber natürlich kann dafür keiner etwas. Oder zumindest sollte sich niemand dabei erwischen lassen. In diese Macho-Welt wirft William Shaw seine beiden Ermittler Cathal Breen und Helen Tozer, von denen der eine allein schon wegen seiner irischen Abstimmung kritisch beäugt wird und die andere als Frau sowieso nichts zu melden hat. Wie gut, dass sie vorbei ist – die gute alte Zeit. Wie gut auch, dass der "gute Ton" dieser Zeit nicht mehr zum allgemeinen Sprachgebrauch gehört. Wer sich einmal gefragt hat, aus welchem Grund die "Political Correctness" installiert wurde und weder von ihr noch von dem heute exzessiv betriebenen "Gendering" etwas hält, dem sei die Lektüre der Kings of London unbedingt empfohlen. Selten hatte die Autorin dieser Zeilen so oft das Gefühl, jemandem den Mund mit Kernseife auswaschen zu müssen!

 

Tozer fragte: "Glauben Sie, dass er gefoltert wurde"
Wellington beugte sich über den Tisch und sage: "Paddy, alter Freund, sind Sie für den Fall verantwortlich oder hat die verdammte Tusse den Hut auf?"
"Verzeihung", sagte Tozer.

 

Wer hier glaubt, einen nostalgischen Rückblick auf London während der "swinging sixties" zu bekommen, der muss alsbald feststellen, dass er sich hier im buchstäblich falschen Film befindet. Sicher, wer Glück hat, der kann Events erleben, auf denen er Yoko Ono und John Leonnon live miterleben kann, die "Flower-Power"-Bewegung treibt ihre Blüten und so mancher fühlt sich von eigenartigen Pfaden der Beleuchtung beseelt und ist gerne bereit, dieser Beleuchtung auch durch illegale Substanzen nachzuhelfen. Dennoch – ein Grund für nostalgische Gefühle ist weit und breit nicht zu finden. Die Gesellschaft teilt sich in die, die um jeden Preis der neuen Welle folgen wollen, die es toll finden, wenn der neue Ernährungstrend plötzlich aus maktrobiotischer salzloser Pampe besteht, die die Anrede "Schweine" für die Vertreter der Polizei als angemessen betrachten und für die es das größte ist, John Lennon nebst Gattin bei einem Auftritt in der Royal Albert Hall zu bestaunen – selbst wenn sich die beiden unter einem Sack verbergen und nicht mehr zum Vorschein kommen. Der andere Teil der Gesellschaft besteht weiterhin aus denen, die allem Fremden mit Misstrauen entgegentreten und die fest an die Macht des Staates glauben. Beide Gruppen eint der tiefe Glauben daran, dass Frauen nur schön auszusehen haben und ansonsten für Kinder, Küche und Kirche taugen und Behinderte in der Gesellschaft sowieso nichts zu suchen haben.

 

"Ist ein Spasti", sagte Jones. "Wenn du mich fragst, hätten sie ihn besser in ein Heim gesteckt."

 

In dieser absonderlichen Mischung bildet Shaws Protagonist Cathal Breen die tatsächlich exotische Ausnahme. Von tiefen Schuldgefühlen geplagt, weil er seinem sterbenden Vater nicht zuletzt beistehen konnte (oder wollte), versucht er einen Sinn in den Entwicklungen der neuen Zeit zu sehen. Er ist derjenige, der sich nicht kopflos mit der Meute in die neue Mode wirft, sondern beobachtet und wägt ab. Als eingewanderter Ire muss er noch die Pub-Schilder "No blacks, no dogs and no irish" kennen und so nimmt er im Kreise seiner Kollegen nicht die beliebteste Position wahr. Das kann einerseits an seiner Herkunft, andererseits aber auch an seiner Ablehnung zu den laxen Einstellungen der Polizei gegenüber Gewalt und Korruption liegen. Wie auch im ersten Band um die Arbeit der Londoner Polizei Abbey Road Murder Song wird ihm Helen Tozer zur Seite gestellt. Auch sie nimmt in der Hackordnung der von Männern geprägten Berufswelt eine Rolle ein, die nur knapp über der der oben aufgeführten drei Gruppen steht. Tozer ist die moderne und gleichzeitig konservativere des Duos, denn obwohl sie die Riten und Ideen der neuen Zeit teilweise gerne akzeptiert, ist sie auch diejenige, die als brave Tochter aus dem Berufsleben aussteigt, um sich wieder dem Bauernhof ihrer Eltern anzunehmen.

Neben diesem ganzen Wirbel um die neue Ära widmet sich Shaw's Ermittlerduo natürlich auch seinen eigentlichen Aufgaben: Dem Aufklären von Verbrechen. Davon gibt es auch im neuen London nicht wenige. Da ist zum Einen ein namenloses Todesopfer, das in einem verbrannten Haus gefunden wurde, ein reicher Dandy, der mit diversen Liebschaften und einem Vater im Ministerium glänzt, eine dubiose Hippietruppe, die an die Umtriebe von Charlie Manson erinnert und ein Kollege, der den Dienst quittierte, sich aber dank einer Kugel nun keine Sorgen um seine Rentenbezüge mehr machen muss. Mit diesen Problemen müssen sich Breen und Tozer herumschlagen und wen wundert es, dass diese fast schon kleinen Probleme neben den neuen Entwicklungen und Abgründen der neuen Ära zunächst deutlich in den Hintergrund treten. Dieses Zurücktreten arbeitet gegen die Spannung im Krimi, denn auch wenn die Gesellschaftsstudien in den "Kings of London" einen interessanten Rahmen bilden, so fällt dieser in der ersten Hälfte des Romans zu dominant aus. Gelegentlich entsteht der Eindruck, der Autor habe den Krimi ganz aus den Augen verloren.

William Shaw erzählt seine Geschichte in Ruhe und damit muss es der Leser dann auch hinnehmen, dass der eigentlich Krimi erst im Mittelteil so richtig Fahrt aufnimmt. Aber hier zeigt sich dann der Nutzen der sorgfältigen Vorbereitung: Die Handlungsstränge greifen sauber ineinander und die Fragen werden schlüssig gelöst. Der zum Schluss präsentierte Täter ist nicht das personifizierte Böse, sondern ein Produkt seiner Zeit, seiner Gesellschaft und seiner Erziehung und somit auch nicht allumfassend schuldig. Es ist wie im richtigen Leben und wie dort, lösen sich auch nicht die weiteren Handlungsstränge des Romans in generellem Wohlgefallen auf und so mancher unangenehme Beigeschmack bleibt. Dennoch bleibt aber auch die Frage, wie es denn nun mit Helen Tozer und Cathal Breen weiter geht, denn ihr Privatleben als auch ihre berufliche Kooperation wurde durch Tozers Rückzug auf die elterliche Farm unterbrochen. Dennoch stellt sich Cathal Breen auf der letzten Seite des Romans die Frage, ob Helen tatsächlich auf lange Sicht auf dem Land leben kann. Er kann es nicht – also ist nicht mit einem ländlichen Krimi zu rechnen – aber vielleicht besteht Hoffnung auf eine Rückkehr Tozers. Zu wünschen wäre es beiden – und den Lesern natürlich auch.

Kings of London

William Shaw, Suhrkamp Nova

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