Ein Schatten seiner selbst

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2014
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  • London: Collins, 1972, Titel: 'A Shadow of Himself', Originalsprache
  • München: Goldmann, 2014, Seiten: 121, Übersetzt: Ray Abell u. Gernot Ruff
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Michael Drewniok
30°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2014

Im Dorf der kriminellen & kriminalistischen Tölpel

Antiquitätenhändler Robert Eddison reist regelmäßig aus den heimischen USA nach England, um dort auf Auktionen und bei bekannten Händlern für Warennachschub zu sorgen. Dieses Mal führt ihn sein Weg in das Städtchen Altoncester, gelegen in der südwestenglischen Grafschaft Gloucestershire. Nach Kunstschätzen steht ihm weniger der Sinn: Eddison hat sich auf einer früheren Reise in die Lehrerin Jill Roseblade verliebt, um deren Hand er nun anhalten will.

Da Eddison Jill überraschen wollte, hat er sich nicht angemeldet. So trifft er seine Braut nicht daheim an. Während er auf sie wartet, schaut sich Eddison nun doch nach Antiquitäten um. Auf einer Auktion sticht ihm ein hübsches Gemälde ins Auge, das er für wenig Geld ersteigern kann. Kurz darauf spricht ihn Charles Villiers, ein örtlicher Unternehmer und Kunstsammler an: Er möchte das Bild unbedingt kaufen - es stammt aus dem Nachlass des Geschäftsmanns George Puncheon, den ein jugendlicher Schläger getötet hat. Villiers verband angeblich eine enge Freundschaft mit Puncheon, an die er sich durch das besagte Bild erinnern möchte.

Eddison glaubt Villiers kein Wort, ist aber neugierig, was diesen tatsächlich umtreibt. Womöglich verbirgt sich hinter dem Bild ein unbekanntes und wertvolles Meisterwerk? Deshalb will Eddison nicht verkaufen - und beschwört großen Ärger sowie Gefahr für Leib & Leben herauf ....

Die Kunst, das Leben & der Tod

Lange bevor das Fernsehen sie global auf ihren Streifzügen begleitete, stöberten "Antiquitätenhändler" bzw. Trödler in staubigen Nachlässen nach unerkannten Schätzen. Manchmal wurden sie fündig, was sie erfreute, während gleichzeitig stets jemand verärgert war - der- oder diejenige nämlich, der oder die besagten Schatz ohne Kenntnis des wahren Wertes verhökert hatte. Geschieht dies in US-amerikanischen Gefilden, mischen sich an dieser Stelle Anwälte ein. Wer sich dies nicht leisten kann oder den Aufwand scheut, zieht womöglich Selbsthilfe = Selbstjustiz vor und damit die Polizei an.

Ein Schatten seiner selbst erzählt die Geschichte eines kriminellen Kunstfreundes, der solchen Ärger vermeiden wollte und deshalb einen komplizierten Plan ersann, um ein unerkannt kostbares Gemälde in seinen Besitz zu bringen. Erfreulicherweise erfahren wir erst im Finale Einzelheiten, und glücklicherweise ist dieses Buch recht seitenarm, denn sonst wären wir nach der Lektüre gleichermaßen schlauer wie ärgerlich: Das war nicht gerade ein kriminelles Meisterstück!

Freilich stand Autor Michael Delving von vornherein vor einem Problem: Nicht nur der schuftige Sammler, sondern auch Händler und Hauptfigur Robert Eddison weiß grundsätzlich, was es mit dem Gemälde auf sich hat. Würde Eddison es der Polizei übergeben, wäre rasch ermittelt, woher es stammt. Aus nur dank des Verfassers unerfindlichen Gründen beschließt Eddison jedoch, selbst in dieser Sache zu ermitteln.

Ermittler ohne Plan

Wer als Leser nicht weiß, dass Ein Schatten seiner selbst bereits der vierte Band einer Krimiserie ist, die besagten Robert Eddison immer wieder in Straftaten verwickelt, die mit Antiquitäten und Artefakten zu tun haben, steht vor einem Problem: Wieso tut der Mann sich immer wieder solche Schnüffeleien an, zumal sie ihn mindestens einmal pro Fall in ernsthafte Gefahr bringen?

Die Frage ist auch deshalb schwerer zu beantworten, als es Verfasser Delving lieb sein dürfte, weil Robert Eddison ein denkbar planloser Ermittler ist. Er stochert im jeweiligen Handlungsumfeld wie in einem Ameisenhaufen herum, woraufhin wütenden Gangstern irgendwann keine andere Wahl mehr bleibt, als sich seiner anzunehmen. Zu Eddisons Glück sind sie auch nicht fähiger als ihr Verfolger. Mordanschläge scheitern, und der zentrale Übeltäter schaltet sich im Finale aufgrund akuter Dämlichkeit selbst aus.

Spannend sind diese Stolpereien erwartungsgemäß nicht. Hin und wieder eine Prügelei soll das Geschehen auflockern. Um auch Leserinnen anzulocken, konstruiert Delving eine tragische Liebesgeschichte: Eddison hält um die Hand einer schönen englischen Maid an, die jedoch die grüne Heimat nicht verlassen will und außerdem für ihre senile Tante sorgen muss. Auf den letzten beiden Seiten kommt Eddison endlich auf eine Idee, wie sich dieses Problem lösen lässt. Er kann nur froh sein, dass Braut Jill ebenfalls nicht zu den hellsten Kerzen auf Gottes Kronleuchter gehört, weshalb sie Eddisons Vorschlag tatsächlich überraschen dürfte.

Auf dem Kriegspfad

Gerade ein handlungs- und logikschwacher Roman kann durch Gesellschaftskritik aufgewertet werden; so mag jedenfalls Delving gedacht haben. Er geht in dieser Hinsicht gewohnt ungeschickt vor und stülpt seiner kleinen Krimi-Mär eine Klage über die Vergänglichkeit traditioneller Werte über. Hier geht es um die Machenschaften eines (ebenfalls unter verdächtigen Umständen) aus dem Leben geschiedenen Bauunternehmers, der die Frechheit besaß, die Idylle eines Dörfleins namens Chaworth durch die Anlage einer Neubausiedlung zu zerstören. Dies zeitigte die (nach Delving) zu erwartenden Folgen: Die traulich gewachsene Dorfgemeinschaft wird durch zugezogenes Gesindel belästigt! Sogar "Skinheads" treiben ihr in den großen Städten (= Brutstätten des modernen Unmoral) erlerntes Unwesen!

In einer beinahe rührend holprigen Szene versucht Delving, dies dramatisch zuzuspitzen: Einige Skinheads wollen Eddison verprügeln, weil sie ihn für einen "Paki" (= Pakistani) halten. Doch stattdessen ist ihr Gegner ein Cherokese, der mit indianischer Wendigkeit die Strolche ausknockt. Lässt sich dieser groteske Auftritt toppen? Delving gelingt es: Der malträtierte Ober-Skinhead entschuldigt sich später bei Eddison und erklärt, dass man einen stolzen "Indianer" natürlich nicht attackiert hätte!

Durch die Handlung marodieren außerdem ein trunksüchtiger aber adliger Maler, ein nächtlich ständig durch das Gelände schleichender Wilddieb sowie ein Mönch (!). Sie tragen nichts zum Geschehen bei, sondern sollen vor allem suspekt wirken, wobei Delving es unterlässt, für entsprechende Verdachtsmomente zu sorgen. Stattdessen kommt es so, wie wohl jeder Leser nicht nur geahnt hatte: Der Hauptverdächtige ist in der Tat der Täter! Ein peinlich verstolpertes Finale - Eddison erklärt sich allen Ernstes bereit, sich um Mitternacht und auf einer todesfallenträchtigen Baustelle mit einem Finsterling zu treffen - kann dafür wirklich nicht entschädigen!

So stellt sich die Frage, wieso fünf von sechs Romanen der Eddison-Reihe hierzulande veröffentlicht wurden. Gab Delving die Veröffentlichungsrechte gratis ab? Selbst anspruchsarme Krimifreunde müssten bald bemerkt haben, wie hart Delving seine Krimis auf Kante nähte. (Die möglicherweise gekürzte deutsche Fassung verstärkt diesen Eindruck.) Heute will sich nicht einmal jene Nostalgie einstellen, die viele zeitgenössische Werke aufwertet. Ein Schatten seiner selbst - nicht einmal der (ausnahmsweise recht korrekt übersetzte) Titel ergibt Sinn - ist ein ausgezeichnetes Beispiel für Krimi-Handwerk, das zu Recht von der Zeit eingeholt und in die Tiefe gezogen wurde.

Ein Schatten seiner selbst

Michael Delving, Goldmann

Ein Schatten seiner selbst

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