Der stille Sammler

  • Lübbe Audio
  • Erschienen: Januar 2013
  • 9
  • Köln: Lübbe Audio, 2013, Seiten: 6, Übersetzt: Sabina Godec
Der stille Sammler
Der stille Sammler
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Jürgen Priester
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2013

Die Wut über all das Sterben

Schon in der Eingangsszene ihres ersten Thrillers zeigt die amerikanische Autorin Becky Masterman, dass mit ihrer äußerlich eher unscheinbaren Heldin im Ernstfall nicht gut Kirschen essen ist. Rage Against The Dying - der amerikanische Titel drückt es treffend aus, denn die ehemalige FBI-Agentin Brigid Quinn ist auch nach ihrer Pensionierung immer noch wütend über das sinnlose Sterben so vieler meist unschuldiger Opfer, das sie in ihrem langen Berufsleben miterleben musste. Ein besonderer Fall, für dessen katastrophalen Ausgang sie sich schuldig fühlt, schwärt in ihr wie eine eitrige Wunde. Als sie von einer jungen Agentin ihrer früherer Dienststelle kontaktiert wird, dass es neue Erkenntnisse in besagtem Fall gäbe, ist sie im wahrsten Sinne der Worte mit Leib und Seele bereit, ihr beschauliches Rentner-Dasein aufzugeben und sich erneut auf eine mörderische Verbrecherjagd einzulassen.

Becky Mastermans Einstand in die Kriminalliteratur kann – bis auf ein paar kleinere Schwachpunkte, die wohl dem Geschmack der amerikanischen Krimi-Leserschaft geschuldet sein dürften – als rundum gelungen bezeichnet werden. Masterman arbeitete in einem Verlag für forensische Fachliteratur. Sie scheint den Verlags-Output nicht nur betreut, sondern auch gelesen zu haben, denn sie glänzt mit ihrem Detailwissen in den Bereichen Ermittlung und Forensik. Auch wenn sie sich dem leidlichen, aber immer noch erfolgreichen Serienmörder-Thema nicht entziehen kann – sie hat sogar mehr als einen am Start – folgt sie nicht dem gängigen Modus Operandi der meisten Thriller-Autoren, sondern setzt auf ausdrucksstarke Protagonisten, wie es zum Beispiel die Kollegen Christopher Hyde in Die Weisheit des Todes oder R. J. Ellory in Tag der Sühne vorexerzierten. Letztere und auch Masterman beweisen, dass Serienkiller-Romane auch ohne Hektoliter Blut und explizite Gewaltdarstellungen funktionieren können.

Becky Mastermans starke Frau ist 59 Jahre alt, 1,60 groß und von zierlicher Gestalt. Seit kurzem erst verheiratet, lebt sie mit ihrem Mann auf einem ländlichen Anwesen in der Nähe von Tucson, Arizona. Zu Beginn ihrer Karriere beim FBI war Brigid Quinn neun Jahre als Undercover-Agentin im Einsatz. Die Folgen eines Reitunfalls zwangen sie, diese auch körperlich sehr anstrengende Tätigkeit aufzugeben. Als Ermittlerin arbeitete sie in der Folgezeit in verschiedenen Abteilungen und an unterschiedlichen Standorten. Bei einem ihrer letzten "richtigen" Einsätze, der Jagd auf einen Serienkiller, der unter dem Namen "Route 66 – Killer" berühmt-berüchtigt wurde, verlor sie eine ihr anvertraute junge Kollegin. Von diesem Vorfall verunsichert, erschoss sie wenig später in einer unübersichtlichen Situation einen unbewaffneten Täter. Die Dienstaufsicht zog die Konsequenzen und strafversetzte Quinn auf einen öden Außenposten, in der Hoffnung, dass Quinn freiwillig in den vorzeitigen Ruhestand ginge, was sie auch tat.

Ihr lebensgefährlicher Beruf, verbunden mit ihrer bedingungslosen Einsatzbereitschaft, brachte es mit sich, dass Quinn nur selten einen Gedanken an Privatleben, Ehemann und Familie verschwendete. Ihre Arbeit war ihr Leben – das ließ sie einsam und menschenscheu werden. Ihr berufliches Versagen – der mutmaßliche Mord an ihrer Kollegin und die vergebliche Suche nach ihrem Mörder – wog in ihrer Vorstellung umso schwerer, weil es auch ihre gesamte Lebensphilosophie ins Wanken brachte. Schon etwas orientierungslos, verbringt sie die ersten Monate ihres Ruhestandes mit beschäftigungstherapeutischen Maßnahmen. Als sie dabei den humorvollen Philosophie-Professor Carlo DiForenza kennenlernt, eröffnet sich ihr eine späte Chance auf privates Glück. Es wird nicht die große Liebe, sondern der Versuch einer Annäherung zweier vorsichtiger Menschen.

Die zarten Bande zerbrechen, als Brigid Quinn erfährt, dass ein Mann inhaftiert wurde, in dessen Pick-up eine mumifizierte Leiche gefunden wurde und der geständig behaupte, der "Route 66 – Killer" zu sein. Für einen Deal, der ihm die Todesstrafe erspare, würde er die Ermittler an den Ort führen, an dem er die Leiche ihrer Kollegin abgelegt hätte. Das umfassende Täterwissen lässt Vorgesetzte frohlocken und hoffen, den Fall endlich abschließen zu können. Die leitende Agentin und auch Quinn bleiben skeptisch.

Lieben wir sie nicht, die Ermittler, die den "kleinen" Dienstweg bevorzugen, die mal eine Fünf gerade sein lassen können, die neben ihrem Kopf auch auf ihren Bauch vertrauen, die hart austeilen, aber auch hart im Nehmen sind? Meist begegnen uns ja Männer in diesen Rollen und, wenn es Frauen sind, dann sind sie jung, hübsch anzusehen und liebesbedürftig. Eine fast sechzigjährige Rentnerin ins Rennen zu schicken erfordert Mut. Oder ist es Kalkül? Humor? Vielleicht auch einfach Zuneigung?

Brigid Quinn, die sich uns aus der Ich-Perspektive vorstellt, strotzt vor Altersweisheit und Vitalität. Die vielen kleinen und großen Nackenschläge des Lebens haben ihr nichts von ihrer Empörung und Wut nehmen können. Sie zieht ihr Ding durch. Koste es, was es wolle.

Es mehren sich ja die Stimmen, die behaupten, der Krimi-Boom sei vorbei. Wenn man sich die ungebrochene Flut an Neuerscheinungen ansieht, möchte man jedoch das Gegenteil annehmen. Allerdings verfolgen die deutschen Verlage (nicht alle) schon länger der Strategie: "Masse statt Klasse". So wird es für die Leser immer schwieriger, sich vor Fehlgriffen zu bewahren. Den vorsortierenden Augen der Krimi-Couch-Redaktion geht es da nicht anders. Aber es sind nicht die besseren oder schlechteren Krimis oder Thriller, die Probleme machen. Die lobt oder verreißt man. Es ist der Wust an Durchschnittsware, zu dem man als Rezensent schon alles geschrieben hat und bald auch nichts mehr schreiben mag.

Da freut man sich besonders, wenn man auf einen Thriller von Format trifft. Nicht ganz unerwartet, denn die amerikanische Presse hatte Mastermans Debüt schon Lob gezollt. Handwerklich gut gemacht und mit hohem Tempo erzählt die Autorin eine Serienkiller-Story auf ihre ganz eigene Art, die ganz auf die ungewöhnliche Protagonistin zugeschnitten ist. Brigid Quinn ist eine Frau, die man gerne wiedersehen möchte. Ihre Schöpferin arbeitet daran.

Der stille Sammler

Becky Masterman, Lübbe Audio

Der stille Sammler

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