Nacht ohne Gesicht

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2000
  • 9
  • London: Macmillan, 1999, Titel: 'River of Darkness', Seiten: 386, Originalsprache
  • München: Goldmann, 2000, Seiten: 507, Übersetzt: Peter Renner
  • München: Goldmann, 2003, Seiten: 507
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Peter Kümmel
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

Hebt sich durch die gewählte Zeitepoche von der Einheitskost ab

Schauplatz des Romans ist England im Jahr 1921, kurz nach dem ersten Weltkrieg. Ein Blutbad erwartet Scotland Yard in einem Herrenhaus bei Guildford. Colonel Fletcher, seine Frau und zwei ihrer Dienstmädchen wurden ermordet. Mrs. Fletcher wurde mit durchschnittener Kehle auf ihrem Bett gefunden, die anderen wurden erstochen. Nur die kleine Tochter der Fletchers überlebte das Verbrechen in ihrem Versteck unter ihrem Bett. Durch den Schock spricht sie jedoch seitdem kein Wort mehr.

Beauftragt wird Inspector John Madden, der gemeinsam mit seinem Vorgesetzten Oberinspector Sinclair den Fall lösen soll. Obwohl die Polizei davon ausgeht, dass eine Einbrecherbande das Verbrechen begangen hat, vermutet Madden hier die Tat eines einzelnen Mannes. Er hat die Schrecken des Krieges selber erlebt und ist vertraut mit dem Wahnsinn, den er aus den Schützengräben kennt. Er vermutet, dass der Mörder sein Handwerk genau dort erlernt hat. Doch über das Motiv des Täters herrscht absolute Unklarheit.

Schließlich werden im benachbarten Wald ausgehobene Erdlöcher gefunden, die an einen Erdbunker erinnern. Und eine weitere Leiche wird entdeckt.

Als die Ermittlungen einfach nicht vorankommen, zieht Madden einen Psychologen zu Rate, doch seine Vorgestzten halten nichts von diesen unwissenschaftlichen Methoden. Madden forscht nun in der Vergangenheit und findet ein Verbrechen in Belgien, dass die gleichen Züge trägt. Er vermutet, dass der Täter wieder zuschlagen wird. In dem Moment, als Sinclair und Madden der Fall entzogen werden soll, erscheint ein Zeuge, der Scotland Yard der Lösung näher bringen kann.

Mit der Figur des Inspector John Madden scheint möglicherweise ein neuer Serienheld den Schauplatz der Kriminalliteratur betreten zu haben. Bislang wurde in Deutschland erst ein Madden-Roman von Rennie Airth veröffentlicht, in England ist bereits der zweite erschienen.

John Madden hat die Schrecken des Ersten Weltkrieges noch nicht überwunden. Zu viele Kameraden hat er neben sich sterben sehen. Nach Ende des Krieges traf ihn ein weiterer Schicksalsschlag: seine Frau und seine kleine Tochter starben an der Grippe.

Nachdem er wieder den Polizeidienst aufgenommen hat, macht er seine Arbeit ordentlich, doch ohne große Begeisterung. Er ist schweigsam, lethargisch und verschlossen. Mit seinem Vorgesetzten Sinclair versteht er sich sehr gut und arbeitet mit ihm wie mit einem Partner zusammen.

Doch dieser neue Fall bringt Madden wieder auf Trab. Ihm ist sofort klar, dass es sich bei dem Täter um einen erfahrenen Soldaten handeln muß. Zu ähnlich ist seine Verhaltensweise mit dem, was er aus den Schützengräben nur allzu gut kennt. So steigert er sich mit vollem Einsatz in den Fall hinein. Als Hilfe wird ihm der Polizeianfänger Billy zur Seite gestellt. Dieser macht viele Fehler, doch Madden hält an ihm fest. Er ist überzeugt, aus ihm einen guten Polizisten machen zu können und unterstützt Billy so, wie Sinclair früher ihn selbst unterstützt hat.

Madden lernt während der Ermittlungen die Ärztin Helen Blackwell kennen. Auch sie hat während des Krieges viel Leid erfahren müssen. Ihr Mann und ihre beiden Brüder kehrten nicht mehr zurück. Durch ihr Verständnis für ihn werden in John Madden wieder neue Lebensgeister geweckt. Schon recht schnell verliebt er sich in Helen.

Warum aus dem Originaltitel "River of darkness" nicht "Fluss der Dunkelheit" oder "Fluss der Finsternis", sondern "Nacht ohne Gesicht" gemacht wurde, bleibt wohl ein Geheimnis des Verlages. Beides lässt einen spannenden Thriller erahnen, ohne daß man sich jedoch eine genauere Vorstellung machen könnte, um was es eigentlich geht.

So richtig spannend wird das Buch jedoch erst in der zweiten Hälfte. Es beginnt mit dem Eintreffen der Polizei, nachdem die ersten Morde bereits geschehen sind. Mit Inspector John Madden betritt ein Kriminalbeamter die Szene, der am Anfang recht farblos wirkt. Keineswegs ein Sympathieträger, den der Leser gleich in sein Herz schließt.

Sehr detailgenau die Schilderung des Verbrechens. Man ist erstaunt, dass sich die Ermittlungsarbeit der Polizei gar nicht so sehr von der heutigen unterschied und die Forensik in den zwanziger Jahren schon so weit entwickelt war. Freilich verliefen die Ermittlungen durch die mangelnde Mobilität und die noch nicht so weit entwickelten Kommunikationsmöglichkeiten recht schleppend. Doch auch die Medien spielten damals schon eine große Rolle. So versuchte sich mancher Polizeibeamter zu profilieren, indem er Informationen an Journalisten weitergab. Auch Kompetenzstreitigkeiten sind nicht erst in unserer heutigen Zeit ein Thema. Sehr interessant beschrieben, wie die Beamten von Scotland Yard sich bemühen, die Zuständigkeit für diesen sehr interessanten Fall zu erhalten.

Alternativen Ermittlungsmethoden gegenüber zeigte man sich dagegen nicht sehr aufgeschlossen. Gegen eine Hinzuziehung von Psychologen, um ein Täterprofil zu erstellen, wehrte man sich in den oberen Etagen des Yard.

Der Roman leidet am Anfang etwas darunter, dass es kein Kriminalroman ist, der dem Leser die Möglichkeit gibt, bei der Tätersuche mitzuraten. Doch mit zunehmender Seitenzahl, als man endlich auf die Spur des Mörders kommt, fesselt das Buch immer mehr. Vollkommen überflüssig sind die letzten 30 nach Hollywood-Manier geschriebenen Seiten.

Der größte Teil des Romans wird aus der Sicht der ermittelnden Polizeibeamten geschildert, zwischendurch dann immer wieder einige Abschnitte aus dem Blickwinkel des Täters, doch ohne daß man diesen richtig kennenlernt.

Der Schreibstil von Rennie Airth könnte etwas abwechslungreicher sein. Einige Worte oder Formulierungen verwendet er recht häufig. Die Hauptfiguren werden sehr ausführlich charakterisiert. Sehr gut gemacht, wie der Protagonist Madden zunächst als unauffällige Figur mit wenig Ausstrahlung eingeführt wird, sich jedoch im Laufe der Handlung immer mehr öffnet und sympathischer wird. Ansonsten sind die Charaktere sehr starr und wenig wandelbar gezeichnet. Mit den Personen des Oberinspector Siclair und der Ärztin Helen Blackwell schuf Airth zwei sehr positive Charaktere. Diesen gegenüber steht der Mörder als rein negative Figur, die erst ganz am Ende des Romans näher betrachtet wird. Da hat der Autor versäumt, bereits früher Einblicke in sein Seelenleben zu geben. Der Lehrjunge Billy, der einiges an Potential bot, wird nur sehr stiefmütterlich behandelt und geht etwas unter.

Rennie Airth hat mit "Nacht ohne Gesicht" einen recht ansprechenden Roman vorgelegt, der trotz einzelner Schwächen gut zu unterhalten weiß. Mit der Figur des Inspector John Madden hat er eine Figur geschaffen, die sympathische Züge trägt und über die man gerne mehr lesen möchte. Schon durch die gewählte Zeitepoche hebt sich das Buch von der Einheitskost durchschnittlicher Kriminalromane ab.

Nacht ohne Gesicht

Rennie Airth, Goldmann

Nacht ohne Gesicht

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