Kreuzberg

  • Emons
  • Erschienen: Januar 2012
  • 0
  • Köln: Emons, 2012, Seiten: 302, Originalsprache
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Christoph Ernst
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2012

Kreuzberg brennt

Gastrezension des Schriftstellers Christoph Ernst


Berlin-Kreuzberg, Spätsommer 1991. Es beginnt mit einer Frauenleiche im Viktoriapark, wo ein übler Mädchenschänder sein Unwesen treibt. Doch den Kommissaren Knoop und Hünerbein ist bald klar, dass dieser Mord vermutlich nichts mit dem Vergewaltiger zu tun hat. Denn das Opfer, eine biedere Finanzbeamtin, passt nicht ins Beuteschema des Täters. Dafür hat die Tote einen schillernden türkischen Blumenhändler unter Druck gesetzt und dessen Mercedes beschlagnahmen lassen. Eben diese Luxuskarosse wird kurz darauf nachts gewaltsam aus der Sammelstelle der Berliner Polizei entwendet, und plötzlich stolpern die zwei Polizisten mitten in einen dramatischen Entführungsfall. Ihre Kollegin Lenz jedoch, zuständig für Sexualdelikte, ist völlig anderer Meinung als Knoop und Hünerbein, und kurz darauf wimmelt es in Kreuzberg von wütenden, weiblichen Demonstranten.

Parallel erhält ein ehemaliger Stasi-Offizier, der in Moabit für Geldwäsche einsitzt, bei seinem Freigang ein Angebot, das er nicht ausschlagen kann, obwohl es ihn garantiert in Teufels Küche bringt, und eben dieser Stasi-Mann war weiland der Weggefährte eben der Frau, die im Begriff ist, Kommissar Knoop auf seine alten Tage noch mal zum Vater zu machen, während Knoops pubertierende ältere Tochter offenbar auch Mutterschaftspläne hegt. Zeitgleich putschten in Moskau die reaktionären Militärs, und auf einmal ist die Berlin-Frage wieder sperrangelweit offen, denn noch sind über eine Viertelmillion Rotarmisten rund um die Stadt stationiert, und kein Mensch im Westen ist darauf vorbereitet, dass die friedliche Wiedervereinigung im Handstreich wieder rückgängig gemacht werden könnte. Außer einigen zu allem entschlossenen Kadern der Stasi, die von nichts mehr träumen, als das Rad der Geschichte zurückzudrehen…

Wachlin hat einen fulminanten Berlin-Roman geschrieben, voller Rhythmus, Atem und Seele, ein Stück Zeitgeschichte, das Mikro- und Makrokosmos verwebt, es zurück in die Gegenwart holt, als faszinierendes, quicklebendiges Panorama einer anderen Epoche. Zugleich ist es ein verrücktes, verwickeltes, widersprüchliches Drama, virtuos auf verschiedensten Ebenen inszeniert, das die Wirren, Ängste und den Irrsinn der Ära spiegelt, ohne je unterwegs den Faden zu verlieren, eine fulminante Collage voller Witz, Wehmut, Wahrheit und Einsicht.

Wer Kreuzberg kennt, wird das Buch lieben. Wer es nicht kennt und dieses Buch liest, wird sofort hin wollen. Um es endlich kennenzulernen. Denn Wachlin gelingt, was nur wenigen gelingt - er fesselt nicht nur, er hilft zu erfassen. Das nenne ich Literatur.

Kreuzberg

Oliver G. Wachlin, Emons

Kreuzberg

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