Brennen muss die Hexe

  • Droemer Knaur
  • Erschienen: Januar 2012
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  • München: Droemer Knaur, 2012, Seiten: 464, Originalsprache
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Jörg Kijanski
60°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2012

Hexenwahn, Kundus und ganz viel Mainstream.

In Lemfeld, einer mittelgroßen Stadt, die einst als Zentrum der Hexenverfolgung galt, geschehen grausame Morde. So finden die Ermittler der Kripo an einem bekannten Druidenkreis am örtlichen Stausee die Überreste eines großen Lagerfeuers, in dem eine Frau verbrannte. Wie nähere Untersuchungen ergeben, handelt es sich um die 32-jährige Yogalehrerin Frauke Meißner, die vor ihrem Tod brutal misshandelt wurde. Hierbei benutzte der Mörder offenbar mittelalterliche Foltermethoden wie die Palästinenserschaukel und Spanische Stiefel. In der Nähe des Tatortes finden die Beamten die Worte "Für immer. A.G." in einen Baum geritzt, die die Psychologin Alexandra von Stietencron (kurz Alex) als persönlichen Gruß des Mörders einstuft. Nur, was will er damit sagen und wer oder was ist "A.G."? Unter der Leitung des erfolgshungrigen Stephan Reineking wird die SoKo "Flammenhimmel" eingerichtet, die sich schon bald über Arbeit nicht mehr beklagen kann, denn nur wenige Tage später gibt es ein zweites Opfer. Silvana Michalski erfährt denselben Tod wie schon Frauke Meißner. Erst nach mittelalterlichen Methoden gefoltert, dann lebendig verbrannt auf einem Holzstapel, der für die bevorstehende Walpurgisnacht vorgesehen war.

Die SoKo erfährt, dass beide Opfer einem religiösen Zirkel angehörten, der Wicca, eine uralte Naturreligion, praktiziert. Bei einem Besuch im Lemfelder Stadtarchiv lernt Alex, dass der frühere Lemfelder Scharfrichter August Gießenbier hieß, womit die Initialen "A.G." geklärt sein dürften. Will womöglich jemand die Arbeit des Scharfrichters nach weit über dreihundert Jahren fortsetzen und hat sich dafür die Wicca-Gruppe ausgesucht? Oder sind die beiden Morde nur ein "Probelauf" für die anstehende Walpurgisnacht, zu der hunderte Besucher am Stausee erwartet werden? Die Zeit drängt und das Morden geht weiter …

Da verbrennen also Frauen auf einem großen Scheiterhaufen und niemand bekommt etwas mit. Zumal im Fall "Michalski" wird es spannend, denn diese wurde an einem Pfahl befestigt, auf den der Mörder über eine Leiter hochklettern musste. Mit der über achtzig Kilo schweren Michalski "im Gepäck" – alle Achtung! Was zunächst wie eine typische Ritualmörder-Geschichte daher kommt wird schon bald ein wenig komplexer, zumal der Täter von seinem Modus operandi zunehmend abweicht. Die Anzahl der Opfer nimmt ebenso wie die Handlung an Fahrt auf. Dazu gibt es 99 Kapitel auf knapp 400 Seiten, die das Lesetempo zusätzlich erhöhen, was ja erst einmal keine schlechte Idee ist. Im Gegenteil, ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen will, ist zumindest leichte Kost und somit massenkompatibel.

Mainstream nach dem Baukastensystem, aber leider mit einigen Schwächen. Kurze, packende Kapitel mit teils geschickten Cliffhangern. Dazu (natürlich) die bösen Medien, die der Polizei im Nacken sitzt, wenn auch im vorliegenden Fall eher pseudomäßig. Kaum sind sie da, sind sie schon wieder weg. Auch die Figurenzeichnung ist arg schablonenhaft. Alex, eine attraktive Frau ohne männliches Pendant, setzt sich für die Gleichstellung der Frauen bei der Polizei ein und wird hierbei auch schon mal als "Gleichstellungsbeauftragte" bezeichnet. Dabei würde sie aus Sicht ihrer besten Freundin eigentlich nur mal wieder einen "richtigen Mann" brauchen und so schmeißt sie sich – um die "political correctness" so richtig ins Leere laufen zu lassen – gleich dem ersten gut aussehenden Mann in die Arme. Eine Ermittlerin mit einem Zeugen oder gar potentiell Verdächtigem? Soll vorkommen und so kann sie ihm, sehr praktisch, für eine der Mordnächte gar ein Alibi liefern. Aber was soll Alex auch sonst machen? "Der Typ war wirklich nicht schlecht." – "Nun, der Kerl war nicht schlecht, oder?" (S. 137, 180).

Inhaltlich gibt es noch weitere Unsauberkeiten. So lesen wir, dass eine Polizistin aufs Gaspedal drückte, um bereits auf der nächsten Seite Gas zu geben (S. 357, 358). Nun ja. Was dem Ganzen aber die Krone aufsetzt ist das Motiv des Täters, denn hier spannt der Autor den ganz großen Bogen. Sozusagen aus dem Mittelalter direkt hinein nach Afghanistan und von dort zurück nach Lemfeld. Mehr konstruieren erscheint kaum möglich.

Wer über solche Schwächen galant hinwegsieht und ein Faible für Mittelalter und Hexenverfolgung hat, findet hier einen durchweg kurzweiligen Plot, den man (immerhin) in einem Rutsch durchlesen kann. Es gibt wahrlich Schlimmeres, allerdings auch deutlich Besseres auf dem kriminalistischen Büchermarkt.

Brennen muss die Hexe

Sven Koch, Droemer Knaur

Brennen muss die Hexe

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