Düstermühle

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2012
  • 4
  • München: Piper, 2012, Seiten: 320, Originalsprache
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Andreas Kurth
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2011

Wenn die Schatten der Vergangenheit noch dunkler werden

In einem kleinen Dorf nahe der niederländischen Grenze wird das Nebengebäude eines Gutshofes abgefackelt. Der frühere Eigentümer kommt dabei ums Leben, später stellt sich heraus, dass er vor dem Brand erschlagen wurde. Aber auch der Nachbar verliert bei dem Vorfall sein Leben durch einen Herzanfall – die Polizei hält ihn für den Brandstifter. Kommissar Bernhard Hambrock und seine Kollegen müssen dennoch mühsam ermitteln, denn es stellt sich heraus, dass Siegfried Wüllenhues zwar das Feuer gelegt hat, aber körperlich nicht in der Lage war, seinen Nachbarn, den in der Gegend eher unbeliebten Alfons Schulte-Stein, zu erschlagen. Während Hambrock und sein neuer Kollege Henrik Keller den Kopf mit ihren unterschiedlichen privaten Problemen voll haben, kommen sie der Lösung des Falles um keinen Deut näher. Erst als es einen weiteren Mord gibt, wird den Kommissaren langsam deutlich, dass sie weit in der Vergangenheit graben müssen, um die verschiedenen Rätsel im kleinen Düstermühle lösen zu können.

Das so idyllische Dorf an der Düster - voller menschlicher Probleme und Geheimnisse - gibt es nicht wirklich, aber im Münsterland findet man viele Ortschaften, die durchaus diesen Namen tragen könnten. Stefan Holtkötter zeigt in diesem neuen Roman aus seiner Bernhard-Hambrock-Reihe, dass er mit Land und Leuten bestens vertraut ist, auch wenn er mittlerweile in der deutschen Hauptstadt lebt. Die Soziographie des Dorfes liefert einige Einblicke in das ländliche Gesellschaftsleben, und wirkt dabei ausgezeichnet recherchiert. Das ist nicht neu bei den Münsterland-Krimis dieses Autors, sondern darf eher als Qualitätsmerkmal bezeichnet werden. Viele Kriminalromane, vor allem in Deutschland, die aus Marketing-Gründen von den Verlagen einer Region zugeordnet werden, können den damit verbundenen Anspruch nicht mal im Ansatz einlösen. Mein ganz persönlicher Eindruck ist, dass Stefan Holtkötter dagegen Herzblut und Empathie mit solidem Faktenwissen verbindet.

Im neuen Buch ist das eminent wichtig, denn der Autor wagt sich in düstere Zeiten der deutschen Geschichte vor, und schildert eingehend die Folgen der damaligen Ereignisse, die bis in die heutigen Tage reichen. Die Nazi-Herrschaft und die wilden und wirren Zeiten kurz vor und nach dem Ende des zweiten Weltkrieges bilden den Nährboden für eine aufregende Mischung aus dem Dünkel der einheimischen Landbevölkerung, der Machtgier lokaler NS-Größen, und der so unterschiedlichen Bitterkeit bei den vielen Vertriebenen und Zwangsarbeitern.

Die Figuren, die Stefan Holtkötter zeichnet, stehen stellvertretend für zahlreiche menschliche Schicksale aus dieser dunklen Zeit. Der Autor vermeidet weitgehend den erhobenen moralischen Zeigefinger, was ich bei der Lektüre als außerordentlich wohltuend empfunden habe. Da gibt es beispielsweise eine Vertriebenenwaise, die ohne jegliches Unrechtsbewusstsein ein Fotoalbum mitgehen lässt, um dadurch ein eigenes Gefühl von Heimat zu entwickeln. Das Erinnerungsstück spielt dann in den Mordermittlungen der Gegenwart eine tragende Rolle – wie so viele Devotionalien aus dieser Zeit, die später noch ihre unheilvolle Wirkung entfaltet haben.

Und da ist die Familie des Großbauern, die schon immer dominant für die Region war, und diese Bedeutung auch durch den Nationalsozialismus bis in die Gegenwart gerettet zu haben scheint. Stefan Holtkötter schildert das Leben auf den Höfen und die unverkennbare Mentalität der bäuerlichen Bevölkerung in seiner Geschichte mit eindringlichen und doch unaufgeregten Worten. Und so verknüpft er die traumatische Erlebnisse der Kinder aus der Kriegszeit mit den aktuellen Ereignisse, die scheinbar unerklärlich über die heilen Welt der lauteren Dorfgemeinschaft hereinbrechen.

Angenehm ist auch, dass seine Ermittler zwar schwerwiegende familiäre Probleme haben, es aber endlich mal nicht um Alkohol geht. Vielmehr muss Hambrock angesichts des möglicherweise bevorstehenden Todes seiner Schwester sein Verhältnis zur Familie und seine Gewichtung von Beruf und Privatleben hinterfragen. Und sein Kollege Keller steckt unversehens in einem Vater-Sohn-Konflikt, ausgelöst durch Beruf und Scheidung, der ihn schier zu zerreißen droht. Stefan Holtkötter baut diese Nebengeschichten geschickt in die Ermittlungen und den eigentlichen Kriminalfall ein, es wirkt keineswegs zu konstruiert, wenn genau zum richtigen Zeitpunkt neue Aspekte in Kriminalfall oder Privatleben auftauchen. Alles in allem also abermals eine wirklich spannende und kurzweilige Unterhaltung – mit Fortsetzungspotenzial.

Düstermühle

Stefan Holtkötter, Piper

Düstermühle

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