Hundeelend

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2012
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  • London: Headline, 2009, Titel: 'The day of the Jack Russell', Seiten: 375, Originalsprache
  • München: Heyne, 2012, Seiten: 368, Übersetzt: Alexander Wagner
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Jochen König
87°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2011

Zu jedem schlimm existiert ein schlimmer

Der Misanthrop unter den Buchhändlern und Detektiven ist wieder da. Freundlich ausgedrückt. Ein nahezu autistischer Hypochonder, der sich die Welt in Muster aufteilt, damit er nicht komplett in ihr verloren geht. Colin Bateman traut sich was: Einen Erzähler ins Rampenlicht zu schicken, der eigentlich ein komplettes Ekel ist. Der sich nicht scheut seine schwangere Freundin/Partnerin/Hassliebe Alison vorzuschicken, wenn’s gefährlich wird oder seinen unbedarften Handlanger Jeff. Getreu seinem Motto: Jeder der sich nicht in erster Linie um ihn kümmert ist ein selbstsüchtiger Bastard. Und davon wimmelt unser Planet nun mal.

Als Detektiv bietet sich der "Mann ohne Namen" (wenn er mal einen benutzt, ist dieser der Literatur entliehen - wie "Chandler") geradezu an; ein Fass bodenlosen Wissens, deduktiv begabt und Voyeur aus Leidenschaft. Da er seine Buchhandlung als menschenfeindliche Eliteanstalt führt, deren Kunden Bücher mit Ehrfurcht begegnen müssen, kann er die zusätzlichen Einnahmen aus der Detektivarbeit gut brauchen.

Bedauerlich nur, dass die kleinen, unbedeutenden Fälle wie der des "schwanzköpfigen Mannes" sich zu Blutbädern auswachsen, in die eine nahezu unüberschaubare Anzahl von Parteien verwickelt ist. Von Malern und Lackierern über schwangere Freundinnen, gewalttätige Straßenkriminelle bis hin zur Polizeispitze und dem englischen Geheimdienst MI5. Und so wird Belfast für den Buchhändler, seine Alison und den armen, unentschlossenen und arg gebeutelten Jeff zum ganz heißen Pflaster mit zahlreichen Schlaglöchern.

Hundeelend ist wieder eine schräg-komische Tour De Force durch die Kriminalliteratur der letzten anderthalb Jahrhunderte. Colin Bateman nutzt das Konzept der scharfzüngigen Überdrehung nicht nur für Pointen und Abrechnungen mit den Kollegen, sondern erschafft mit dem Protagonisten eine Figur, die ihr Leben ganz der Literatur gewidmet hat. Sie liefert ihm die Muster, die er zusammensetzen muss, um Fälle zu lösen und sein Leben im Griff zu behalten. Dabei gelingt ersteres mit der Spitzfindigkeit eines Sherlock Holmes. Wobei sich Bateman den kleinen Spaß erlaubt, seinen Buchhändler messerscharf Schlussfolgerungen anstellen zu lassen, von einleuchtender Brillanz – und doch… Alte Fußballerweisheit: Knapp daneben ist auch vorbei. Aber immerhin eine explosive Mischung.

Das Leben zu meistern fällt unserem Helden schon schwerer. Dank seines ausgeprägten Selbstbewusstseins nimmt er dies aber nicht zur Kenntnis. Er ist einer jener Handlungsträger, die man liebt zu hassen. Voller Komplexe, eingebildet todkrank, so egozentrisch wie egoistisch, ein Feigling mit großer Klappe, immer bereit hinter dem erstbesten Schutz in Deckung zu gehen, wenn die Lawine losbricht, die er meist selbst losgetreten hat. Und sich anschließend lautstark darüber zu mokieren, bis die nächste den Hang herunter gewalzt kommt. Dabei von geradezu entwaffnender Ehrlichkeit. Und seine Angst nahezu komplett verlierend, wenn er sich einem Fall unter erschwerten Bedingungen und Zeitdruck widmen muss. Alison weiß Bescheid:

 

"Es geht gar nicht um Jeff, und schon gar nicht um mich oder das Ungeborene oder um die Gerechtigkeit. Es dreht sich um das ungelöste Rätsel, vor dem du niemals kneifen würdest. Und was die Geschichte noch spannender für dich macht, ist das Zeitlimit. […] Du wirst alle Fakten, Hinweise, Spuren und Gerüchte wild in die Luft wirbeln und, während sie langsam zu Boden sinken, nach verborgenen Mustern darin suchen. Du wirst den Fall lösen."

 

Das ist weit weg vom harten, moralisch gefestigten, methodisch unorthodoxen P.I. Chandlerscher Prägung. Näher schon beim selbstgefälligen Gestus eines Hercule Poirot und doch noch etwas ganz anderes - das Abbild des Lesers, der sich eine (literarische) Welt wünscht, die Entschlüsselung verheißt. Anhand der Vorgaben, die man selbst aus dem Text zieht. Deshalb bleibt man dem Buchhändler auch gewogen, trotzdem er ein selbstsüchtiger Hasenfuß ist, aber a) dazu steht und b) genau von jener Sehnsucht getrieben wird, die man sich manchmal für’s eigene Leben erhofft: Es fassbar zu machen.

Irrtümer und Kollateralschäden nicht ausgeschlossen. Colin Bateman vermeidet es glücklicherweise, seine Figuren zu bloßen Karikaturen zu degradieren. Er überzeichnet, lässt das Labyrinth des Seins zu einem literarischen werden – voller List, Witz, (Heim)tücke und auch Dramatik. Während Alison den einen Hundefall zu Beginn nach wenigen Sätzen und Minuten abschließt, wächst sich der andere zur zerstörerischen Orgie aus. Quasi die Krimi-Variante einer bitterbösen Laurel & Hardy-Komödie. Und es geht nicht einmal um ein Lebewesen, sondern nur um ein ausgestopftes Exemplar.

Ein weiterer enger Verwandter ist auch Tom Sharpes Henry Wilt. Doch wo dieser aus wohlmeinender Schusseligkeit von einem Fettnäpfchen ins nächste tritt und sich damit immer weiter in die Bredouille bringt, stapft Batemans Buchhändler sehenden Auges und bewusst Schritt für Schritt voran. Von Fettnäpfchen zu Treibsand zu Sumpf. D.h. gelegentlich schickt er auch die schwangere Freundin vor.

Der Kriminalroman als existenzialistische Fingerübung. Von absurder Komik, die trotzdem Blicke auf die dahinter liegende Finsternis zulässt. So ist die von einem Schlaganfall gezeichnete Mutter auch kein Skelett in einem Rollstuhl, das in einem Motel auf die Erlösung wartet, sondern genau der Kampfhund, mit dem Alison sie verwechselt. Und spätestens wenn der Mann ohne Namen jene Kindheitsepisode Revue passieren lässt, während der seine Mutter ihm die Schwimmflügel an den Fußknöcheln befestigt, damit er erfährt wie es sich anfühlt zu ertrinken, liest man den perfiden Witz und fragt sich dennoch: "Könnte es wirklich sein, das..."? In dem von Colin Bateman kreierten Kosmos sehr wohl.

Hundeelend

Colin Bateman, Heyne

Hundeelend

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