Krimi-Hörspiele:
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"Klare Sache"

Ein Road-Audio mit Anspruch

Mit dem Hörspiel „Klare Sache“ von Denise Mina nimmt sich der NDR einiges vor. Es handelt sich um die zweistündige Hörspieladaption eines Romans von Denise Mina aus dem Jahr 2019 mit immerhin über 300 Seiten Lesestoff. Es ist auch das erste Hörspiel nach Denise Mina überhaupt und selbst im Englischen scheint es nur zwei Hörspielfassungen zu geben.
Mina ist eine erfolgreiche englische Krimiautorin, der gerne das Attribut tartan noir zugeschrieben wird, die sich selbst allerdings eher als krimischreibende Feministin bezeichnet.

Der Inhalt

Anna liebt es Podcasts zu hören, am liebsten True Crime. In der neuesten Episode hört sie den Namen Leon Parker, den sie aus ihrer Vergangenheit kennt und mit schönen Erinnerungen verbindet. Parker ist bei der Explosion seiner Yacht gemeinsam mit seinen beiden Kindern ums Leben gekommen.
Doch es wird kein guter Tag für die biedere Hausfrau Anna: An der Tür steht ihre beste Freundin mit einem Reise-Köfferchen. Sie will Annas Mann und ihre beiden kleinen Mädchen für eine Reise abholen! Annas Mann Hamish hatte leider vergessen, ihr zu sagen, dass er eine neue Freundin hat und sich trennen will. Anna rastet aus und rennt nach draußen, wo sie den verlassenen Ehemann Finn, ein abgewrackter Popstar, trifft. Die schräge Nachbarin macht ein Foto von den beiden Gehörnten und verbreitet es via Twitter. Nun beginnt die eigentliche Katastrophe.

Anna ist nicht wirklich Anna, sondern musste vor Jahren eine neue Identität annehmen, um ihr Leben zu retten. Als junge Frau wurde sie von 4 Fußballern in einem Hotel vergewaltigt. Im Prozess wurden die Fußballer freigesprochen, weil die stinkreiche Besitzerin des Vereins die Polizei bestochen hatte und auch vor einem Mord an der einzigen Zeugin nicht zurückschreckte.

Der auf der Yacht ums Leben gekommene Leon Parker war mit der Fußballoligarchin verheiratet! Anna, die erneut um ihr Leben fürchtet, begibt sich mit Finn auf Spurensuche durch Europa. Wir erleben ein Roadaudio quer durch Europa, unterwegs mit Flugzeug, Auto, Vaporetto oder Zug. Wir begegnen einem Panoptikum skurriler Menschen: Der magersüchtige Popstar Finn, der drogenabhängigen Ex-Frau von Leon, der zwielichtige Hotelmanager, der weltreisende Skipper, die alerte Sekretärin der Fußballoligarchin, ein messerschwingender Bösewicht.

Die Geschichte von Annas Leben und die Story aus dem Podcast kommen immer näher und sind irgendwann nicht mehr zu unterscheiden.
Spannender und vielfältiger kann ein Krimi kaum sein.

Was mich bewegt

Klare Sache ist mehr als ein Krimi. Hier geht es um Leiden und Leidenschaften. Anna leidet für den Rest ihres Lebens an der Vergewaltigung. Der Popstar Finn wird mit wachsendem Erfolg magersüchtig. Die meisten der Figuren haben ihren Rucksack zu tragen. In der Wirklichkeit sind die klaren Sachen eben nicht so klar, wie es aussieht. Dies wird durch die neuen, sozialen Medien anders, aber nicht besser.

Das Hörspiel wird aus der Perspektive von Anna erzählt. Dieser persönliche Charakter kann den Hörer nicht unbewegt lassen. Wenn man nicht den Kopfhörer auf den Ohren hätte, würde man bei jedem Wort die Ohren spitzen. Der renommierten Krimiautorin Zoe Beck ist eine brillante Übersetzung gelungen: Mein Gott, war ich mies darin, meine Freunde auszusuchen.

Alle diese vielen kleinen Szenen werden von ausdrucksstarken Stimmen gesprochen. Man hört hier die Sprecherprofis raus, die jede Nuance an Stimmung ausdrücken können. Musik und Geräusche drängen sich nicht in den Vordergrund, sondern verstärken, wenn nötig, die Stimmung und Atmosphäre. Die zwei Hörstunden vergehen wie im Fluge, zumal am Ende von Teil 1 ein echter Cliffhanger nochmal Lust auf Teil 2 macht.

Was noch zu sagen ist

Das Hörspiel ist nicht unbedingt tartan-noir, aber doch britisch Schwarz. Da kommt schon mal eine verwesende Unterwasserleiche oder eine blutverspritzte Drogentote vor.

Es ist nicht ganz einfach der Handlung zu folgen. Der Namen, Orte und Szenen sind es einfach zu viele. Es scheint, dass der zugrunde liegende Roman auf eine massentaugliche Verfilmung schielt. Da bleiben dann auch die Logik und Sinnhaftigkeit mancher Szene auf der Strecke.

Fazit

Definitiv ein spannender hörenswerter Krimi. Aber keine Schonkost, sondern eher ein Sternemenü. Da gibt es auch schon mal Häppchen, die schöner aussehen als schmecken. Aber attraktiver kann man brandaktuelle Themen kaum verpacken, denn der Hörer kommt trotz der vielen verwirrenden Szenen immer wieder ins Grübeln: Klare Sache ?

Couch-Wertung: 90°

Beim NDR und in der ARD Audiothek als Download.

"Mönche"

Was es bedeutet, abgeschottet zu leben

Der Deutschlandfunk Kultur gehört zu den wenigen öffentlich-rechtlichen Anstalten, die sich noch und wieder eigene Hörspielkrimiproduktionen leisten. Nach dem Ende des True Crime Booms gibt es nun wieder einen festen Sendeplatz: Montags 22.00 Uhr DLF Kultur

Der Inhalt

Eine junge Anwältin freut sich über ihren ersten Auftrag: Bei einem jungen Mann wurden bei einer Durchsuchung Waffen und Munition gefunden. Er steht in Verdacht ein Attentat auf ein Frauenhaus zu planen, wie seine Aktivitäten in entsprechenden Online-Foren zeigen. Beim ersten Kontakt mit ihrem Mandanten stellt Theresa fest, dass es ihr Bruder ist, zu dem sie seit langem keinen Kontakt hat.

Tatsächlich engagiert er sich in der Incel-Bewegung. Die Incel-Bewegung steht für INvoluntary CELibacy und propagiert offen ein rassistisches und frauenverachtendes Weltbild, ruft sogar systematisch zu Gewalttaten an Frauen auf.

Der zuständige Kommisar Zielke ermittelt nur zögerlich. Seit er einen seiner Kollegen verraten hat, wird er gemieden. Theresa ist auf Unterstützung ihrer Lebenspartnerin Mara, die selbst in dem Kommissariat arbeitet, angewiesen. Ist ihr Bruder tatsächlich zu Gewalttaten bereit? Wieso zögert der zuständige Kommissar? Haben seine Kollegen „Dreck am Stecken“? Bei der Suche nach der Wahrheit setzt Theresa auch ihre Beziehung aufs Spiel.

Was mir gefällt

Mönche ist ein spannendes Hörspiel über die schwierige Suche nach der Wahrheit. Nichts ist so, wie es auf den ersten Ton scheint. Insofern ist es schön, dass die wichtigste Rolle eine junge Anwältin ist, die zwar voller Ehrgeiz ist, aber auch hohe moralische Ansprüche hat. Das alles spielt in der besonderen Szene Berlins. Wir erhalten Einblick in die Szene der Incel-Frauenhasser, des Mobbings in der Polizei und die schwierige Arbeit im Frauenhaus.

Und dies alles nicht mit einem anklagenden, sondern neugierigen, differenzierenden Blick.

Die Anwältin Theresa ist die verbindende Figur, die wie in einem Spinnennetz ihre Kontakte zu den anderen Personen hat, ohne dass die miteinander in Kontakt sind.

Mit der weniger auffälligen Schauspielerin Anjorka Strechel ist diese Rolle brillant besetzt. Man hört ihrer Stimme die Sorge um ihren Bruder an, aber auch ihre Angst vor seinen möglichen Gewalttaten. Ihr gelingen feine Differenzierungen. Ebenso so passend besetzt ist die schwierige Rolle des zwielichtigen Kommissars Zielke. Der bekannte Fernsehschauspieler spielt ja im Prinzip immer die gleichen Rollen, allerdings passt es hier exakt: Der Kommissar, der zu jedem nett und freundlich ist, man aber nie weiß, ob er es auch so meint. Und das alles in diesem selbstverständlichen lakonischen Ton wie er nur Brambach gelingt.

Was mir nicht gefällt

Der Titel des Hörspiels ist zweischneidig. Bei der Incel-Bewegung handelt es sich um Männer, die gegen ihren Willen mönchisch leben und deswegen Frauen hassen und gewaltbereit sind. Die Kloster-Mönche hingegen haben sich für eine selbstgewählte Zurückhaltung entschieden und sind bewusst friedliebend. Allerdings leben auch sie in einer blasenähnlichen Abgeschiedenheit.

Die Hauptschwäche des Hörspiels ist die Dialog-Lastigkeit. Lange, stark psychologisch überlastete Gespräche machen es schwer, dem Handlungsfaden zu folgen. Das Hörspiel will einfach zu viel. Denn trotz Szenenwechsel passiert nicht viel. Als Nicht-Berliner fragt man sich auch, ob man außerhalb der Hauptstadt dieser Menge an Konflikten und Zuspitzung noch folgen kann. Als Autor dieser Zeilen muss ich gestehen, dass ich ohne Google nicht gewusst hätte was und wer INCEL ist.

Die Dialoge des Autors Lars Werner klingen, als seien sie für das Theater geschrieben und nicht fürs Radio. Einige Figuren wirken unglaubwürdig. Der Bruder schwankt zwischen lammfromm und cholerisch, dies ist überzeichnet. Die Lebenspartnerin Mara überzeugt in der Darstellung auch nicht. Der Spagat zwischen der Liebe zur Theresa und ihrem Pflichtbewusstsein bei der Polizei gelingt nicht überzeugend.

Insgesamt macht das Hörspiel den Eindruck einer sparsamen Produktion. Musik und Geräusche auf Sparflamme.

Erschreckend ist allerdings die Marketing-Strategie des Senders. Die Inhaltsbeschreibung des Senders und in der Audiothek sind reißerisch und werden dem Hörspiel nicht gerecht. Es ist eben nicht nur ein Hörspiel über den Frauenhass von Incels.

Fazit

Hier wurde eine Chance vertan. Das Hörspiel kann zeigen, wie problematisch es ist, wenn sich Gruppen absondern und nur ihr „eigenes Ding“ machen und wahrnehmen. Das versperrt den Blick auf die Wirklichkeit, wie Theresa spüren musste. Ein überlasteter Text und eine sparsame Inszenierung nötigen dem Hörer einige Geduld ab, um dies zu erkennen.

Couch-Wertung: 75°

Beim Deutschlandfunk Kultur und in der ARD Audiothek als Download.

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 5" von Malte Stamer, 01.2022
Hier findest Du noch mehr Tipps zu Krimi-Hörspiele: Mediatheken

Fotos: istock.com / tolgart

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