Das Alphabethaus

  • Der Audio Verlag
  • Erschienen: Januar 2012
  • 51
  • Kopenhagen: Cicero, 1997, Titel: 'Alfabethusen', Seiten: 393, Originalsprache
  • Berlin: Der Audio Verlag, 2012, Seiten: 6, Übersetzt: Wolfram Koch
Das Alphabethaus
Das Alphabethaus
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Jürgen Priester
67°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2011

1997 - Jussi Adler-Olsen übte noch

Mit seiner Krimi-Reihe um Kommissar Carl Mørck und dem Sonderdezernat Q war Jussi Adler-Olsen der Abräumer des letzten Jahres im Krimi/Thriller-Segment. Naheliegend, dass der Deutsche Taschenbuch Verlag (dtv), der die Rechte an sämtlichen Adler-Olsen-Romanen besitzt, nun peu à peu die der erfolgreichen Serie vorangegangen Romane unters Volk bringen wird. Das Alphabethaus, Adler-Olsens Debütroman aus dem Jahre1997, profitiert vom aktuellen Bekanntheitsgrad des Autors. Nach Einschätzung des Rezensenten wäre der Roman vor zehn Jahren nicht weiter beachtet worden, denn der Autor begibt sich auf unsicheres Terrain, das zudem auch noch mit etlichen Stolpersteinen gepflastert ist.

Autoren, die ihre Geschichte in der historischen Vergangenheit ansiedeln, sehen sich mit der Aufgabe konfrontiert, ein möglichst authentisches Bild der gewählten Geschichtsperiode zu schaffen. Krimi-Couch-Kolumnist Dieter Paul Rudolph hat mal in einem lesenswerten Essay (KC-Ausgabe: 6/2010) auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die bei der historischen Verankerung eines Plots auftreten können.

Jussi Adler-Olsens Das Alphabethaus spielt in Deutschland nahe Freiburg im Kriegsjahr 1944 und in seinem zweiten Teil ebendort 28 Jahre später. Der Autor hat die Zeiten und die Örtlichkeiten ausführlich recherchiert, da sie nicht zu seiner Erfahrungswelt gehören. Trotz der 48 schriftlichen Quellen, die im Anhang des Buches zu finden sind, ist ihm schon ganz zu Anfang ein dicker Lapsus unterlaufen. Seine beiden Protagonisten, die englischen Aufklärungsflieger Bryan und James sind auf der Flucht, nachdem ihr Flugzeug über Feindesland abgeschossen wurde. In einem Lazarettzug kommt ihnen die rettende Idee, die Identität zweier hochrangiger SS-Offiziere anzunehmen. Um Echtheit bemüht versuchen sie, mittels einer Infusionskanüle und eigenem Fingernageldreck sich die bei der SS obligatorische Blutgruppentätowierung zu applizieren. Eine unnütze Quälerei, wie sich jeder vorstellen kann, die eigentlich von wenig Erfolg gekrönt sein dürfte, aber hier hält sie für Jahre. Um noch einen draufzusetzen und in Unkenntnis (des Autors), tätowieren die zwei auch noch ein Pluszeichen für den Rhesusfaktor, der zur damaligen Zeit zwar gerade entdeckt wurde (Landsteiner,USA,1940), aber aus naheliegenden Gründen nicht die Oberarme der SS-Bonzen zierte. Das mag man als Kleinigkeit abtun, doch diese Markierung ist ein wichtiger Baustein im Verwechslungsspiel der Engländer.

Schwerfällig, teilweise hanebüchen und konstruiert – so kann man über den ersten Teil des Romans urteilen, der mit dem Absturz des Flugzeuges beginnt und im sogenannten Alphabethaus endet. Die Ereignisse während der Zugfahrt sind schon ziemlich unglaubwürdig und eine Enttarnung der beiden Freunde wäre zwangsläufig gewesen. Allzu viele glückliche Zufälle retten die beiden ins Lazarett für psychisch traumatisierte Offiziere, dem Alphabethaus. Dort spielen sie ihre Rollen als geistig verwirrte Soldaten weiter. Verabredungsgemäß sprechen die beiden kein Wort, da sie sonst als Engländer entlarvt würden, obwohl James der deutschen Sprache mächtig ist. Bryan, der auch die Haupterzählperspektive innehat, versteht indes kein Wort von dem, was um ihn herum gesprochen wird,  nichtsdestotrotz schnallt er, dass es unter den deutschen SS-Oberen auch Simulanten gibt, die ihr Umfeld argwöhnisch sondieren und ihre Interessen brutal zu schützen wissen.

Während James, auch durch die verabreichten Psychopharmaka bedingt, immer tiefer in Lethargie und Schwermut versinkt, treiben Bryan Fluchtgedanken um. Gegen Ende 1944 nach zehn langen und gefahrvollen Monaten ist die Westfront nahe an den Oberrhein gerückt und Bryan rechtet sich gute Chancen aus, bis zu den Alliierten vorzudringen. Äußere Umstände lassen ihn die Flucht allein antreten.

Jussi Adler-Olsen schreibt in seinem Nachwort, dass er wegen des Berufes seines Vaters (Psychiater) quasi in psychiatrischen Anstalten aufgewachsen ist und mit dem Verhalten und den Sonderheiten der Patienten vertraut ist. Es mag dem Respekt vor diesen Insassen geschuldet sein, dass er die Zustände in dieser Nazi-Nervenheilanstalt eher zurückhaltend beschreibt und nicht voyeuristisch die Qualen der Elektroschocktherapie offenbart. Dass im Alphabethaus Menschenversuche mit den gerade entdeckten Psychopharmaka durchgeführt wurden, erfährt der Leser mehr oder weniger erst im Nachhinein. Realismus oder Verharmlosung – wer kann das schon entscheiden. Auf jeden Fall nimmt es seiner Fiktion den Thrill.

Während der erste Teil der zweigeteilten Geschichte nicht nur einen diffusen, sondern auch einen trägen Eindruck hinterlässt, überrascht der zweite Teil mit einer erstaunlichen Dynamik.

28 Jahre nach den Ereignissen im Kriegswinter 44/45 sind vergangen. Bryan Young heißt jetzt Scott mit Nachnamen und hat sich nach seinem Medizinstudium ein kleines Imperium durch den Vertrieb von medizinischen Artikeln aller Art geschaffen. Nach seinen Angaben hat er die ganzen Jahre nach dem Verbleib seines Freundes James forschen lassen – eine bisher erfolglose Suche. Jetzt, anlässlich einer Beratertätigkeit bei den Olympischen Spielen in München fühlt er sich gedrängt, selbst vor Ort aktiv zu werden. In Freiburg trifft er auf Personen und Konstellationen, mit denen er als Ausländer nicht gerechnet hat. (Jeder, der sich mit der deutschen (Nachkriegs-)Geschichte beschäftigt hat, weiß aber, wer damals seine geraubten Schäflein ins Trockene gebracht hat.

Um dem potenziellen Leser nicht auch den Rest an Spannung zu nehmen, verbietet es sich, näher auf die Geschehnisse in Freiburg einzugehen. Es ist halt ein ziemliches Hin und Her, das man wohlwollend als überlangen Showdown mit einigen Actioneinlagen  bezeichnen könnte.

"Großer Roman über eine Freundschaft in Zeiten des Krieges" - so oder so ähnlich tönt es aus etlichen Redaktionen. Das mag wohl oberflächlich so stimmen. Bryan und James kannten sich schließlich von Kindesbeinen an. Aber bis auf die dramatische Schlusssequenz ist von einer emotionalen Verbundenheit zwischen den beiden "Freunden" wenig zu spüren. Schon im Alphabethaus zeigt Bryan wenig Anteilnahme am psychischen und physischen Untergang seines Kumpels. Darum ist die Frage nach Schuld, Mitschuld und Verrat am Ende der Geschichte eher eine akademische, besonders, wenn man bedenkt, mit welcher Kaltschnäuzigkeit beide einen unschuldigen Menschen (den Zugbegleiter) dem Tode überantworteten.

Jussi Adler-Olsens Ausflug in die deutsche Vergangenheit ist letztendlich wenig überzeugend. Angelesenes Wissen ersetzt nicht Eigenerfahrung, kann aber in Kombination mit gutem Einfühlungsvermögen zu respektablen Ergebnissen führen. Adler-Olsen kann dem ebenfalls unkundigen Leser weder ein Gefühl für die Zeit und die Örtlichkeiten geben, noch schafft er es, seinen Charakteren eine glaubhafte Tiefe zu verleihen. Was bleibt, ist ein aktuell bekannter Name, ein Interesse weckender Titel und eine vage, flachschürfende Story. Trotz der sicherlich tollen Verkaufszahlen kein Roman, den man gelesen haben müsste.

Das Alphabethaus

Jussi Adler-Olsen, Der Audio Verlag

Das Alphabethaus

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