Deadwood

  • Liebeskind
  • Erschienen: Januar 2011
  • 3
  • New York: Random House, 1986, Titel: 'Deadwood', Seiten: 365, Originalsprache
  • München: Liebeskind, 2011, Seiten: 448, Übersetzt: Kathrin Bielfeld
Deadwood
Deadwood
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Jochen König
91°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2011

Starke Frauen in den dreckstarrenden Bastionen der Männlichkeit

Was vorher Clint Eastwood mit "Erbarmungslos" gelungen war, schaffte ab 2005 ebenfalls eine Fernsehserie: "Deadwood" entzündete (zumindest in den USA) eine Fackel für ein ansonsten müde vor sich hin glimmendes Genre - den Western. Nach drei Staffeln fand der Ausflug in den wesentlich schmutzigeren als wilden Westen ein wenig zufriedenstellendes Ende. Doch vorher hatte man eine Stadt erbaut aus Dreck, Staub und Lehm und in ihr das Leben toben lassen. Die sieben Todsünden, mal aus Liebe mal aus Laster begangen, Legenden, Laufburschen Luden und liebreizende Damen (zumindest wenn sie sich ausnahmsweise mal gewaschen hatten und die Zähne fast vollständig fest saßen) trafen aufeinander. Verbrechen so weit das Auge reichte; auf der Gegenseite beinahe unwillige Gesetzeshüter, die lieber den eigenen Claim im Auge behielten als nachhaltig für Recht und Ordnung zu sorgen. "Häusliche Gewalt"? Das geht einen Sheriff nichts an. Ist privat. Ordnungshüter sind nur für Straftaten in der Öffentlichkeit zuständig.

Wenn man recht überlegt, hat sich in den letzten 150 Jahren eigentlich wenig geändert. Die Methoden sind verfeinert worden, die Ansprüche und Bedürfnisse hingegen so archaisch wie eh und je. Meins, meins und nochmal meins. Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlage ich dir den Schädel ein.

Pete Dexters Deadwood erschien im Original 1985, und die Fernsehserie hat sich nicht nur den Titel ausgeborgt. Ein Großteil der Protagonisten findet sich sowohl auf dem Bildschirm wie auf Papier wieder. Wenn auch leicht umgedeutet. So sind die beiden Hauptakteure der Serie, Seth Bullock und Al Swearingen, bei Dexter bestenfalls exponierte Nebenfiguren; während der ebenso nonchalante, abgeklärte wie beständig erstaunt beobachtende Charley Utter dem Leser bis zum Ende 1912 erhalten bleibt. Erst als treuer Begleiter Wild Bill Hickox´, nach dessen Ermordung als emotionaler Nachlassverwalter mit schlechtem Gewissen und Chronist eines Untergangs. Utter ist neben Wild Bills Witwe Agnes Lake die Stimme der Vernunft in heillos verworrenen Zeiten. Deadwood bringt die beiden zusammen und trennt sie wieder. Utter erliegt dem Faszinosum Deadwood, während es Agnes hinaus in die Welt treibt. Hier zeigt sich, was Pete Dexter ganz hervorragend beherrscht: komplexe Geschichten in Andeutungen erzählen. Genau wie mit den Indianern, die im ganzen Roman nie leibhaftig auftauchen, aber als Schemen für dramatische und einschneidende Wendungen sorgen. Keine Begründungen, keine Entschuldigungen, kein Hecheln nach politischer Korrektheit auf historischen Schlachtfeldern – einfach ein weiterer Schatten, der auf Deadwood fällt.

Dexter und die Welt unter dem Mikroskop. Denn nichts anderes ist Deadwood. Einblick in eine Vergangenheit, die unsere eigene ist, oder zumindest sein könnte. Starke Frauen, die trotzdem nicht unbedingt eine Chance haben zu leben, schwache Männer, am Rand des Wahnsinns, die trotzdem – oder gerade deswegen – Tod und Verderben mit sich bringen. Dexters Romane bestehen nicht nur aus Hauptstraßen, sondern aus kleinen Pfaden, Wegkreuzungen, Gabelungen und Sackgassen. Doch nie kommt es zum Stau, kein überladener LKW fährt vorbei, keine Postkutsche verunglückt, ohne dass es die Handlung voranbringt und gleichzeitig viel über das Verhältnis von Männern und Frauen zu erfahren gibt, über das menschliche Verhalten überhaupt. Genaue Beobachtungsgabe, akribische Recherche und poetische Verdichtung gehen bei Dexter Hand in Hand. Ein begnadeter Erzähler spannender Geschichten und präziser Analytiker dessen, was Menschsein ausmacht. In vielen Facetten.

Das lebende und gedankenklare Äquivalent des Flaschenfreunds, der Charley Utter so treu wie stoisch, zwischen Shakespeare und Lewis Carroll pendelnd, kommentierend begleitet. Ein dutzendfach gescheiterter Selbstmörder, der Flaschen sammelt, weil er in ihnen alle Geschichten, alles Wissen und alles Begehren gebündelt sieht.

Deadwood ist ein spannender Western. Eine komische Tragödie voller Mord, Totschlag, religiösem Eifer, tiefem Vertrauen, Sehnsucht, verzweifelter Liebe, Lüge und (Selbst)betrug. Nichts weniger als die Geschichte unserer Zivilisation für einen Sekundenbruchteil durch eine blankgeputzte Lupe betrachtet.

Einmal mehr beweist sich Pete Dexter als einer der scharfsichtigsten Autoren der Gegenwart. Einfacher gesagt: Als einer der Besten.

Deadwood

Pete Dexter, Liebeskind

Deadwood

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