Kleine Biester

  • Rotbuch
  • Erschienen: Januar 2011
  • 2
  • Berlin: Rotbuch, 2011, Seiten: 320, Originalsprache
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Jürgen Priester
84°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2011

Der ganz normale Wahnsinn

Frühling in Berlin. Die ersten Sonnenstrahlen locken Jung und Alt scharenweise in die Grünanlagen und Parks. Die Kinder in den Sandkästen und auf den Klettergeräten toben sich die Winterstarre aus den Knochen, während ihre Eltern, lässig chillend, ein wachsames Auge auf ihre Sprösslinge haben. Mir nichts, dir nichts tut sich die Erde auf, ein Kind wird verschluckt – unglaublich – wie so einiges andere in Rob Alefs Kriminalroman Kleine Biester. Für unglaubliche Fälle, mysteriöse bis monströse Ereignisse hat Rob Alef einen bewährten Mann parat: den Kriminalhauptkommissar Pachulke, der mit seiner quirligen Assistentin Zabriskie, Xenia Yolantha mit Vornamen, schon so manche harte Nuss geknackt hat. Kleine Biester ist nach Bang Bang stirbt und Das magische Jahr Alefs dritter Krimi mit genanntem Team und führt uns ins Schul-Milieu.

Anna Winter, die Unglückliche, die die Erde verschlang, ist Schülerin der 6. Klasse an der James-Hobrecht-Grundschule und eine heiße Aspirantin auf einen der begehrten Plätze am benachbarten Rosenhof-Gymnasium. Ihr Verschwinden allein ließe bei der Berliner Kripo nicht sofort alle Alarmglocken schrillen, doch in kurzen Abständen verunglücken weitere Kinder aus Annas Klasse tödlich. Pachulke und sein Team ermitteln in alle Richtungen, wie es so schön heißt. So langsam kommt bei ihnen der ungeheuerliche Verdacht auf, dass da jemand ganz bewusst dabei ist, die Zahl der Kandidaten für die Aufnahme ans Rosenhof-Gymnasium zu dezimieren. Einen konkreten Verdacht können sie nicht aussprechen, dazu geben die gefundenen Beweismittel nicht genug her, außerdem werden die Kripoleute durch einen unterirdischen Störfaktor irritiert.

Die Suche nach der verschwunden Anna führt die Ermittler in eine labyrinthische Welt unter der Oberfläche Berlins. Ein versunkener Friedhof, ungenutzte U-Bahnschächte, Fluchttunnel und die Ruinen eines fast vergessenen Dorfes bieten die Kulissen für ein Horrorszenario schlechthin. Und in der Tat scheint hier eine Kreatur zu hausen, die Spuren in Form von Pfützen organischer Säure und ausgesaugten Rattenkadavern hinterlässt. Man fühlt sich an Stephen King zu seinen besten Zeiten erinnert.

Wer bisher noch nichts von Rob Alef gelesen hat und das dürften doch einige sein, der mache sich auf was gefasst. Das Eintauchen in seine verrückte Welt macht der Autor seinen Lesern nicht gerade einfach. In die trügerisch ruhige Atmosphäre des familiären und schulischen Lebens bricht nicht nur ein unheimlicher Trichter im Sandkasten des Spielplatzes ein, sondern da macht schon mal ein Kripobeamter in einer Schule den "Rambo", verschreckt die Kinder zu Tode, demoliert das Klassenzimmer oder ein Schulpfarrer geht mit seinen pädophilen Vorlieben ganz unverblümt hausieren. Derber Klamauk, versteckte Anspielungen, Mehrdeutigkeiten, ironische Seitenhiebe - Rob Alef offeriert die gesamte Palette des humorvollen Erzählens, ohne ein einziges Mal vulgär zu werden. Er outet sich als Meister der Tragikomödie, wobei hier der komödiantische Teil überwiegt, die tragischen Ereignisse aber nicht unter den Tisch fallen.

Nach einigen Seiten der Eingewöhnung wird man von der Geschichte gepackt. Pachulke und seine Leute sind ein aufeinander abgestimmtes Team, in dem jeder die Stärken und Schwächen des anderen kennt, auf erstere bauen kann, an letzteren verzweifelt. Man spürt ihre gemeinsame Vergangenheit und wünscht sich daran teilgenommen zu haben. Rob Alef beschränkt sich nicht nur auf die Darstellung "normaler" Polizeiarbeit, sondern führt in einer zweiten Handlungsebene ein phantastisches Element ein, das jedem Krimi-Puristen ein Gräuel sein wird, das aber der Spannung einen zusätzlichen Schub gibt. Im Stile der besten Horror-Autoren kämpft ein jugendlicher Frankenstein gegen seine Monster. Abgefahren – aber es passt.

"Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir" - diesen Spruch kennen wir alle. Er geht auf den alten Lateiner Seneca zurück, doch bei Seneca steht dieser Spruch in seiner Umkehrung (Non vitae, sed scholae discimus) und gehört zu dessen Kritik an die Lerninhalte der damaligen Philosophenschulen. Rob Alef befasst sich nur bedingt mit schulischen Inhalten, er stellt vielmehr in den Raum, dass es heute nicht nur wichtig ist, eine abgeschlossene Schulausbildung zu haben, sondern auch auf der "richtigen" Schule gewesen zu sein. Wir kennen das aus den USA, wo es karriereförderlich ist, das "richtige" College oder die "richtige" Universität abgeschlossen zu haben. Wie weit eine solche Mentalität ins deutsche Schulwesen hineinreicht, wissen wohl diejenigen, deren Schulzeit noch nicht so weit zurückliegt oder die, die schulpflichtige Kinder haben. Aber Mord als Mittel, um missliebige Mitbewerber um die begehrten Plätze aus dem Rennen zu werfen, wie Rob Alef es in seiner Geschichte andeutet, ist natürlich absurd. Die Übertreibung ist nun mal des Autors liebstes Stilmittel.

Diese "Für-uns-nur-das-Beste"-Einstellung ist eine Grundhaltung, die alle Lebensbereiche betrifft. Die Zurschaustellung von Statussymbolen scheint das Lebenselixier dieser ökologisch- und sozial-unverträglichen Kaste zu sein. Zwei ihrer Mitglieder porträtiert Alef in einem wunderbaren Dialog. Hierbei merkt man, dass er den "richtigen" Leuten aufs Maul geschaut hat, deren Grundhaltung auch: nach uns die Sintflut heißen könnte.

Lustiges mit leichtem Krimi-Geschmack verkauft sich in den letzten Jahren wie blöd und die Protagonisten werden mancherorts als "Kult"figuren gehandelt. Von deren Verkaufszahlen dürfen Autoren mit Humor wie Juretzka, Haas oder Steinfest indes nur träumen. Bei den Letztgenannten wird sich wohl auch Rob Alef einreihen müssen, aber es ist gute Gesellschaft. Seine Kleinen Biester vereinen Witz, Spannung und Gesellschaftskritik – so kann (muss) Krimi sein.

Kleine Biester

Rob Alef, Rotbuch

Kleine Biester

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