Sensenmann

  • Blanvalet
  • Erschienen: Januar 2011
  • 1
  • München: Blanvalet, 2011, Seiten: 350, Originalsprache
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Andreas Kurth
73°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2011

Verdrängte Traumata brechen sich blutig ihre Bahn

In einem sächsischen Plattenbau wird eine männliche Leiche gefunden.Während Polizei und Presse rätseln, kennt Mathias Hase den Toten genau – er ist schließlich der Mörder. Der Getötete war in der DDR als Erzieher in einem Kinderheim. Dort wurden die "Zöglinge" genannten Jungen und Mädchen missbraucht, gefoltert und auch getötet. Die junge Journalistin Lara Birkenfeld ermittelt privat in diesem Fall, denn offiziell werden ihr wegen der Intrigen eines ehrgeizigen Kollegen die Gerichts- und Polizeiberichte entzogen. Während Hase weiter mordet, dauert es lange, bis Lara mit der Hilfe von Freunden und Kollegen die schwer durchschaubaren Zusammenhänge aufdeckt. Es kommt zu einem blutigen und dramatischen Finale.

Claudia Puhlfürst packt in ihrem zweiten Roman ein wirklich heißes Eisen an. Der Missbrauch in Kinderheimen ist ein lange verdrängtes Thema, und speziell in der DDR scheint man nicht so genau hingesehen zu haben. Oft waren es Kinder von gesellschaftlich nicht konformen Menschen, die in den Heimen untergebracht wurden. Wenn die Autorin akribisch und korrekt recherchiert hat, und davon gehe ich erst einmal aus, legt sie in ihrem Buch menschliche Dramen offen, die dem Leser mehr als einmal kalte Schauer den Rücken hinunter jagen.
Die Hauptfiguren des Romans sind die Journalistin Lara Birkenfeld und der psychopathische Mörder Mathias Hase. Geschickt wechselt die Autorin zwischen den Sichtweisen ihrer zwei Hauptprotagonisten. Birkenfeld ist Tageszeitungsredakteurin, und üblem Mobbing ausgesetzt. Um die Attacken abzuwehren, verbeißt sie sich in die Geschichte um die "Plattenbau-Leiche". Leicht irritierend ist ihre Fähigkeit, Dinge zu sehen, die sich gerade woanders ereignen. Das geht schon leicht in den Bereich "Mystery", gibt dem Roman jedoch auch eine ungewöhnliche Note. Glücklicherweise geht die Autorin mit dem Thema "Liebesleben der Protagonistin" recht dezent und sensibel um, es wirkt nicht aufgesetzt und spielt für die Handlung keine allzu große Rolle. Die Schilderung des Innenlebens einer Redaktion wirkt authentisch und gut recherchiert, Ekel-Paket Tom bedient perfekt alle Macho-Klischees, und die Praktikantin ist das ausgenutzte Dummchen. Ziemlich Holzschnitt-artig – aber leider nahe an der Realität. Die Zusammenarbeit mit der Polizei hätte etwas ausgefeilter dargestellt werden können, aber offenbar sollten die professionellen Ermittler in diesem Roman nur die Nebenrolle spielen. Da kann man sie ruhig als etwas unbedarft darstellen.

Der Killer ist ein höchst komplizierte Figur. Um seine Persönlichkeit und seine Beweggründe für die Morde darzustellen, holt Claudia Puhlfürst ziemlich weit aus. Die Briefe von Mathias Hase an seine ebenfalls im Kinderheim gequälte Schwester sind recht weitschweifig ausgefallen, speziell im ersten Drittel des Romans hat die Autorin sich von ihrer Erzähl-Lust offenbar etwas zu sehr treiben lassen. Weniger wäre da mehr gewesen, insgesamt hätten dem Buch 80 bis 100 Seiten weniger gut getan. Denn auch die Treffen von Lara Birkenfeld mit ihrem "Freund" bei der Polizei strapazieren zuweilen die Geduld des Lesers, die Dialoge sind oft vorhersehbar. Der ehemalige Heim-Insasse, der zum Mörder wird, ist auf jeden Fall eine gelungene Figur. Sehr differenziert dargestellt, mit allen Widersprüchlichkeiten, die dazu gehören. Und seine Sichtweise gibt dem Leser stets einen Vorsprung vor Lara Birkenfeld und ihren Freunden, die Spannung wird dadurch deutlich angeheizt.

Eine lange Zeit für den Leser nicht zu durchschauende Rolle spielt Maria Sandmann, eine Mitarbeiterin des Jugendamtes. Lara lernt die Frau in einer Gerichtspause kennen, und vermittelt sie später zur Behandlung an ihren Freund Mark, einen Berliner Psychotherapeuten. Auch Maria hat in einem DDR-Kinderheim gelebt, und dort schlimme Erlebnisse gehabt. Sie hört ständig Stimmen, schlafwandelt - und spielt später noch eine entscheidende Rolle im dramatischen Finale. Mehr darf dazu nicht verraten werden, aber es gibt einige Überraschungen in diesem Buch.

Claudia Puhlfürst kann ihre Geschichte gut erzählen, nur an der Weitschweifigkeit sollte sie noch etwas arbeiten. Auf jeden Fall wird es spätestens nach der zweite Leiche richtig spannend, bis dahin braucht der Leser etwas Geduld. Die zwei Erzählebenen werden von der Autorin geschickt eingesetzt und richtig dosiert, so bleibt es stets abwechslungsreich, und die Geschichte trägt auch über einige Längen hinweg. Erfrischend fand ich persönlich, dass mal nicht irgendein Polizist oder Privatdetektiv im Vordergrund steht, sondern eine Journalistin, die von einem Kollegen und einem Psychologen unterstützt wird. Die ungewöhnliche Art der Ermittlung trägt auch dazu bei, dass der Roman nach dem ersten Drittel richtig fesselnd wird. Ein lesenswertes Buch, trotz der beschriebenen Schwächen.

Sensenmann

Claudia Puhlfürst, Blanvalet

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