Die Nacht, der Tod

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 1990
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  • Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1990, Seiten: 207, Originalsprache
  • Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1992, Seiten: 207, Originalsprache
  • Weingarten: MediaProvo, 2003, Seiten: 219, Originalsprache
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85°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2011

Ein überaus lesenswerter und spannender Roman um Ex-Hauptkommissar Fleestedt, die an Aktualität seit ihrem Erscheinen eher noch gewonnen hat.

Hamburg. Irgendwann Anfang der 1990er Jahre. Oder auch zehn Jahre später, sagen wir, kurz bevor Ronald Schill Innensenator wurde. Jedenfalls: Es ist Nacht. Und es regnet.

Die Situation: Eine Geiselnahme in einer heruntergekommenen Hinterhofwohnung. Zwei Geiseln, eine Frau und ein Polizist. Die Geiselnehmer sind Killer. Haben einen V-Mann der Polizei in der Wohnung ermordet. Sie drohen, mit einer Handgranate die Geiseln und sich selbst in die Luft zu sprengen. Verlangen Fluchtfahrzeug und freies Geleit. Im Hinterhof: Das Sondereinsatzkommando der Polizei. Scheinwerfer im Regen. Scharfschützen. Der Innensenator der Freien und Hansestadt Hamburg. Schaulustige. Presse, Funk und Fernsehen.

Angst haben sie alle. Vor dem Tod. Täter wie Opfer. Und der Innensenator vor der anstehenden Bürgerschaftswahl. Und dem möglichen Ende seiner Karriere.

Was aber keiner weiß: Ein weiterer Killer ist unterwegs. Um die Geiselnehmer zu erschießen. Denn die könnten reden. Würden sie lebend gefasst. Über die Hintermänner. Über eine Schlepperorganisation. Illegale Immigranten aus dem Nahen Osten. Wirtschaftsflüchtlinge sagen die einen. Scheinasylanten. Aber es sind arme Schweine, die gezwungen werden, Drogen im Körper zu transportieren. Um an halbwegs legale Einwanderungspapiere zu kommen. Mit Hilfe korrupter Beamter der Behörden.

Und die Geiselnehmer könnten auch über die Verbindung dieses organisierten Verbrechens zu politischen Kreisen der Hansestadt reden. Und das in einem Wahljahr. Das zudem von der erhitzten Anti – Migrationsdebatte geprägt ist. Dumpfer Hass auf Menschen von anderswo – eingegossen in die plakativen Wahlkampfparolen des Kandidaten Rambach für das Amt des Regierenden Oberbürgermeisters. Jurist Rambach hat übrigens eine eigene Anwaltskanzlei, die über nicht unbeträchtlichen Einfluss auf die Einwanderungsbehörde in der Hansestadt verfügt.

Diese Geiselnahme-Situation steht im Zentrum des 1990 erschienen und 2003 überarbeiteten kurzen Romans von Willi Voss (der eigentlich eher eine Novelle ist). Sie umfasst knapp die Hälfte des Buches. Virtuos geschildert, aus den Perspektiven der Beteiligten auf allen Seiten: Opfer. Geiselnehmer. Polizei. Innensenator. Die Drahtzieher im Hintergrund. Und Ex-Kommissar Holger Fleestedt.

Fleestedt ist eine Figur, die bereits in früheren Kriminalromanen von Willi Voss die Hauptrolle spielte wie z.B. in "Tränen schützen nicht vor Mord" (1981) oder "Das Gesetz des Dschungels" (1988). Das war bevor er seinen Job als Hauptkommissar hinschmiss. Zuviel Bürokratie und Korruption bei den Polizeibehörden. Zuviel Scheinheiligkeit im Umgang mit dem organisierten Verbrechen. Fleestedt bringt am Anfang des Romans diese Ermittlung überhaupt erst ins Rollen. Als, sagen wir, freier Mitarbeiter im Sonderauftrag einer internen LKA-Abteilung zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens. Und es ist sein V-Mann, der den ganzen Filz zwischen Verbrechern, Polizei und Politik hätte offenlegen können. Wäre er nicht rechtzeitig ermordet worden.

Es stellt sich natürlich die Frage, ob am Ende endlich auch die Hintermänner aufgedeckt werden. Ob sie, die als Manager oder Politiker verkleideten Verbrecher, auch mal werden bezahlen müssen. Oder aber wieder einmal nur die Opfer. Und vielleicht noch die Handlanger dazu, die letzten Endes selbst auch Opfer sind. Figuren in einem schmutzigen Geschäft. Austauschbar.

Willi Voss hat mit "Die Nacht, der Tod" einen über weite Strecken brillanten Roman geschrieben. Insbesondere die eingangs erwähnte Geiselsituation sucht Ihresgleichen hinsichtlich der Intensität, mit der Voss die Auswirkungen dieser Extremsituation auf die Beteiligten, den zeitlichen und örtlichen Ablauf und die dramaturgische Auflösung beschreibt.

Nicht ganz geglückt ist der Versuch, angesichts des kurzen Handlungszeitraums – im Wesentlichen spielt die Novelle während einer Nacht – eine ausgesprochen dichte Atmosphäre zu kreieren. Voss übertreibt es ein wenig mit den Hinweisen auf den ständigen Regen, das sich in den Pfützen spiegelnde Scheinwerfer- und Neonlicht, den Regentropfen auf den Windschutzscheiben mit entsprechenden Lichtreflexen und so weiter.

Voss nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er über den Zusammenhang zwischen organisiertem Verbrechen und Politik schreibt. Nun ist das spätestens seit Sjöwall/Wahlöo kein unbekanntes Terrain mehr, aber selten kommt das Thema zumindest im deutschen Kriminalroman so authentisch daher wie bei Voss. Die Sprache ist zuweilen, sagen wir, drastisch und wenig intellektuell, aber daher auch direkter, wütender, betroffener.

 

Unter seinen Schuhen spritzte Wasser. Blaulicht zuckte durch die Nacht, über Autos, Häuser und Menschen und Wahlplakatständer hinweg, von denen Rambach feist lächelte.

Fleestedt trat zu.

Das Gestell aus Holz, Pappe und Papier brach zusammen. Ein Uniformierter schrie:

"He, sind Sie verrückt geworden?"

Fleestedt ging weiter. Koch humpelte ihm nach.

"Mensch, Holger!", brüllte er, "du kannst doch jetzt nicht…"

Die Stimme ging im Lärm unter, im Aufbrüllen der Motoren, der Stimmen, dem Rauschen, das aus den Tiefen des Gehirns kam. Fleestedt schüttelte sich, als er die Wahlplakate sah, diesen Rambach, der um Stimmen für seine Bürgerbewegung werbend in den schwarzgrauen Himmel grinste.

 

Insgesamt ist "Die Nacht, der Tod" eine überaus lesenswerte und spannende Novelle, die an Aktualität seit ihrem Erscheinen eher noch gewonnen hat.

Die Nacht, der Tod

Willi Voss, Ullstein

Die Nacht, der Tod

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