Sturms Jagd

  • Blanvalet
  • Erschienen: Januar 2011
  • 10
  • München: Blanvalet, 2011, Seiten: 431, Originalsprache
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Jochen König
23°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2011

Köln. Komplette Flaute. Aber die Frisur sitzt!

Michael Quandt ist von Beruf Kriminalbeamter. Das merkt man Sturms Jagd an. Teilweise. So bekommen Dienstränge vorbildlich ein Kürzel angehängt, von "KHK" über den "EKHK" bis zum "PP". Die in jedem Fernsehkrimi herbeizitierte Spurensicherung heißt korrekt "Erkennungsdienst" (ED) und Quandt weiß, wo in Köln das böse Kokain verkauft wird. Nicht nur dies, er verrät dem Leser sogar, woher der Ausdruck "eine Linie ziehen" stammt. Da haben wir ganz fein etwas gelernt (was wir eigentlich bereits längst wussten) und ahnen bald, dass sich Quandt mit Dienstordnung und –rängen auskennt, Dienstgebäude (Kriminalkommissariat, kurz KK u.a.) zu benennen weiß und locker einen Passus über Rauschgift einflechten kann, der für einen Wikipedia-Eintrag kaum redigiert werden müsste. Dass er zu jenem Typus Autoren gehört, die ihren Lesern selbst das schlichte Öffnen einer Tür ausführlich erklären, fällt kaum noch ins Gewicht. Führt nur zu gesteigertem Querlesen.

Erbsen zählen zu können trägt leider immer noch nichts zu einem schmackhaften Gericht bei. Es mag Konditoren geben, die hervorragende Beiträge für die "Bäckerblume" verfassen und Pharmazeuten, die die "Apotheken-Umschau" mit ihrem Fachwissen spannend bereichern. Doch zwingend ist dies nicht. Selbiges gilt auch für Polizisten, die Kriminalromane schreiben (möchten). Zwar gibt es Beispiele, denen der Umstieg von akzeptabel bis hervorragend gelungen ist wie Norbert Horst, Ulrich Hefner, Robert Daley oder Joseph Wambaugh. Ob sich Michael Quandt dazu gesellen wird, darf noch bezweifelt werden.

Denn der Kampf eines weiblichen Äquivalents zu Horst Schimanski, gegen die "Glorreichen Sieben" der Russenmafia, ist ein delirierender und gleichzeitig ermüdender Aberwitz von viel zu vielen Seiten.

Das fängt schon bei der Hauptfigur an. Oberkommissarin Tamara "Mara" Sturm ist 37 Jahre alt, sieht atemberaubend aus und hat ganz tolles langes Haar, das ihr bis zum Po reicht. Eine Beschreibung, die dem Autoren derart gefällt, dass sie in Abwandlungen wieder und wieder zelebriert wird, bis auch der kleine Nils in der letzten Reihe begriffen hat, was für ein scharfes Geschoss die Titelheldin ist. Wie das Buch überhaupt gerne nach notgeilen Stammtischparolen klingt. So fährt Mara völlig sinnlos in knappster Unterwäsche durch Köln, hat natürlich eine Autopanne, woraufhin sie der zufällig herumlungernden Männerwirtschaft zum willigen und visuellen Peep-Show Objekt wird. Mit ihrem Motorrad, auf dem die "heiße Braut" normalerweise unterwegs ist, wäre das nicht passiert. Im Anschluss traut Quandt sich allerdings nicht, Sturms Ente Lustopfer einer testosterongeschwängerten Meute werden zu lassen. Stattdessen löst sich alles in närrisches Wohlgefallen auf. Macht nix, an anderer Stelle muss dafür Entführungsopfer Laura (die jüngere Quasi-Doppelgängerin Maras) herhalten, um einen ihrer Entführer zu befriedigen; einen "gigantischen Berg aus Fett", dessen

 

Pfahl […] in ihr die bildhafte Vorstellung einer Dose mit Ölsardinen heraufbeschwor, die seit Tagen in der Sonne stand und vor sich hin gammelte.

 

Unbeholfener Sexismus, der mit Tabubrüchen spielt, aber letztlich nur bewirkt, dass sämtliche Frauenfiguren, auch wenn sie scheinbar noch so stark anmuten, nichts anderes sind als gefügige Opfer, die glücklicherweise in der Dummheit ihrer kriminellen Gegner einen starken Verbündeten besitzen. Manchmal sind sie auch bloß hässlich, spielen in diesem Fall aber keine große Rolle. Keine Spur von Gesellschaftskritik, sondern nur die verklemmten Obsessionen eines Pennälers, der sich auf den Spuren des Marquis de Sade im Irrgarten des Kölner Rotlicht-Milieus verlaufen hat. Unerquicklich, schlecht geschrieben und wie der Rest des Romans, völlig inkonsequent.

Zwar wird immer behauptet, was für eine toughe "Pistolen-Lady" Tamara Sturm sei, doch mehr noch als durch ihre freche Klappe, fällt sie durch ihre Unfähigkeit auf, Zusammenhänge zu durchschauen, auf Indizien in ihrer nächsten Umgebung zu achten, für eine gescheite Absicherung zu sorgen und vor allem situativ und flexibel zu handeln. Wenn ihr Verhalten auf Quandts "Wissen aus seiner beruflichen Praxis" hinweist, das laut Nachwort des fiktiven Juniorpartners Bodo "Micky Maus" Lohmann, in "diesen Roman eingeflochten" ist, dann sollten wir uns ernsthaft Sorgen um den (Geistes)-Zustand deutscher Polizisten machen.

Nun ist es ja nicht verwerflich in einem fiktiven Werk zu übertreiben, Klischees zu strapazieren (weil sie halt doch allzu oft wahr sind), und überhaupt mit Bazookas auf cholerische russische (und verbündete) Spatzen zu schießen. Aber auch hier schießt Quandt weit übers Ziel hinaus. Dass seine vernarbten, tätowierten, fetten, strunzdoofen, aus unterschnittigen James-Bond-Kopien herausgefallenen Albino-"Gauner" keine ausgewiesenen Blumenkohlohren haben, ist auch schon alles. Es passt wunderbar ins Bild, dass mit dem eigenen Firmenwagen zu einer Entführung vorgefahren wird, damit der aufmerksame Eisverkäufer von gegenüber sich das Nummernschild genau einprägen kann. Schließlich ist man in der Eis- und Kidnappingbranche Polizistinnen mit Traumfigur und der "wie flüssiges Feuer" glänzenden "kastanienbraunen Mähne" gerne behilflich. Da lobe ich mir die Panzerknacker Walt Disneys. Die scheitern zwar auch regelmäßig und machen unbeeindruckt weiter. Aber sie sind eindeutig klüger als Quandts ungewaschene Russenrasselbande und vor allem ungleich komischer.

Dramaturgisch werden die Hauptfigur(en) leider ebenfalls im Stich gelassen. So bekommt die angeblich so autarke Kommissarin Sturm in der Mitte des Romans aus fast heiterem Himmel einen Lover an die Hand und ins Bett gedichtet, der für die weitere Handlung noch unheilvolle Bedeutung gewinnen wird. Während dem wachen Leser schon beim ersten Auftritt Toms dämmert, um wen es sich handelt, muss die völlig unglaubwürdig verliebte Polizistin Arglosigkeit vortäuschen. Wer vorher schon vermutete, dass es mit den angeblich so starken Frauen in diesem Buch nicht weit her ist, sieht sich jetzt endgültig bestätigt. Braucht es doch den großen und zwielichtigen Bruder, Mara auf den rechten Pfad zu weisen.

Sturms Jagd ist ein unausgegorenes, dilettantisches Stückchen Kriminalliteratur, das größeren Vorbildern bemüht aber vergeblich hinterher schielt, durch Übertreibungen und beamtendeutsche Besserwisserei nervt und irgendwo zwischen Ratlosigkeit und gequältem Gelächter dem Vergessen entgegen taumelt.

Lediglich in einzelnen Passagen lässt Quandt schriftstellerisches Talent erkennen. Immer dann, wenn er aktionsreiche Handlungsabläufe halbwegs wertungsfrei entfaltet, wenn sich seine Antagonisten von verschiedenen Punkten aus aufeinander zu bewegen, baut sich ein wenig Spannung auf. Bloße Beobachtung äußerlicher Geschehnisse liegt dem Autor halbwegs und gönnt dem Leser Ruhe vor der Qual, die sich einstellt, sobald das beteiligte Personal sich blödsinnig verhalten, reden, denken(?) oder verheizen lassen muss.

Bei dem gewählten Titel darf ein naheliegendes Fazit natürlich nicht fehlen: Sturms Jagd ist bestenfalls ein zähes "Jagdspiel" während eines flauen Lüftchens. Ihr wisst schon; durch gewürfelte Fünfen und Sechsen abgeschossene Hasen geben 6 Punkte, Wildschweine 15 und russische Bären gar 30. Doch ob es soweit kommt? Im Augenblick klingt die einführende Mitteilung: "Weitere Fälle von Oberkommissarin Tamara Sturm sind bereits in Vorbereitung!" eher nach Drohung als freudigem Versprechen.

Sturms Jagd

Michael Quandt, Blanvalet

Sturms Jagd

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