Die Liebhaberin

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2011
  • 2
  • London: Hutchinson, 2007, Titel: 'The woman in the fifth', Seiten: 386, Originalsprache
  • München: Heyne, 2011, Seiten: 446, Übersetzt: Christiane Burkhardt
Die Liebhaberin
Die Liebhaberin
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Jürgen Priester
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2011

Succubus oder Engel?

Harry Ricks ist ein Amerikaner in Paris. Leider ist es ihm nicht vergönnt, singend und tanzend durch Frankreichs Metropole zu flanieren. Als Filmwissenschaftler wird er sich wehmütig an die Filmkomödie von 1951 mit Gene Kelly und Leslie Caron erinnern, denn Harrys Leben in der Stadt der Liebe ist alles andere als eine Komödie. Harry ist mit sich und der Welt so ziemlich am Ende.

In den USA war Harry Ricks Dozent für Filmwissenschaften an einem kleinen College in Ohio gewesen. Dort war er auch Eheman von Susan und Vater der fünfzehnjährigen Megan – bis katastrophale Ereignisse seinem dortigen Leben ein Ende setzten, die ihn zwangen, nach Paris zu fliehen. Mit einem unvollendeten Roman auf dem Laptop, einem Köfferchen mit all seinen Habseligkeiten und ein paar tausend Dollar will er sich in der Stadt der Bohemiens versuchen. Doch Paris empfängt ihn nicht mit offenen Armen. Fiebernd, von einem Virus geplagt strandet er in einem heruntergekommenen Hotel, dessen Manager ihn ausnimmt wie eine Weihnachtsgans.

Ein wenig Freundlichkeit erfährt Harry von dem im Hotel angestellten Türken Adnan. Dieser kann ihm ein kostengünstigeres Quartier vermitteln. Doch das Geld bleibt immer knapp, da er als Tourist keiner offiziellen Arbeit nachgehen kann. Das Angebot "schwarz" als Nachtwächter in einem zwielichtigen Geschäftshaus zu arbeiten, kommt ihm da ganz gelegen, obwohl die Modalitäten des Jobs ihn eigentlich skeptisch machen sollten. Alternativen sind keine in Sicht. So richtet Harry sein "neues" Leben ein: von Mitternacht bis morgens um sechs versieht er seinen ereignislosen Job, der ihm sogar die Gelegenheit bietet, seinen begonnenen Roman weiter zu schreiben; nach ausgiebigem Schlaf schwelgt er im ausgezeichneten Kinoangebot der Stadt. Alles, nur nicht nachdenken, scheint seine Devise zu sein. Die unbewältigte Vergangenheit drückt ihn zwar - besonders leidet er unter dem fehlenden Kontakt zu seiner Tochter - und seine Zukunft ist ungewiss, doch Harry ist einer, der vor Problemen lieber die Augen verschließt.

Auf der Soirée einer verarmten Muse lernt er die Exil-Ungarin Margit Kadar kennen, eine attraktive, verführerische Frau, Mitte fünfzig. Nach einigen heißen Stunden im Bett ist Harry verliebt wie ein kleiner Junge und möchte am liebsten seine ganze freie Zeit mit Margit verbringen. Doch diese gibt sich distanziert und reglementiert die Stunden ihres Zusammenseins.

Douglas Kennedy stellt uns seinen Helden aus der Ich-Perspektive vor. Harry Ricks ist ein typischer Amerikaner, der mit vierzig seinen "American Dream" verwirklicht zu haben glaubt. Familie, Haus, Beruf – alles scheint in bester Ordnung. Naiv und selbstzufrieden übersieht er die dunklen Wolken an seinem begrenzten Horizont. Das Unwetter, das da über ihn hereinbricht, trifft ihn unvorbereitet. Was da im Einzelnen in Amerika passierte, bleibt lange Harrys Geheimnis. Erst wenn es dramaturgisch sinnvoll ist, offenbart Kennedy die ganzen Ausmaße des Skandals und welche Auswirkungen er auf Harrys Verhalten in Paris hat. Eine Welt ist für ihn zusammengebrochen; sich eine neue zu erschließen, fällt ihm schwer, da er die Spielregeln nicht kennt. So begibt er sich vorsichtshalber in Hände einer erfahrenen Frau – ein Faustischer Pakt, wie er schnell feststellen wird. Als in seinem Umfeld plötzlich ihm missliebige Menschen verunglücken oder ermordet werden, will er lieber an den Zufall denken, als an das Schicksal, weil das einen Namen haben könnte: Margit.

Douglas Kennedy war bisher noch nicht auf der Krimi-Couch vertreten. Das mag u.a. daran liegen, dass seine Romane nicht einfach in ein Schema zu pressen sind. Die Liebhaberin ist denn auch von einem Kriminalroman weit entfernt, obwohl Morde geschehen, ermittelt wird und der Protagonist in polizeilichen Verhören hart ran genommen wird. Kennedy benutzt diese Krimi-Elemente, um die bedrohliche Situation zu verdeutlichen, in der der Held steckt, aber der Schwerpunkt der Handlung liegt, wie auch in den anderen Kennedy-Romanen, im Beziehungsgeflecht der Hauptakteure zueinander. Es ist begrüßenswert, dass der Heyne-Verlag es gewagt hat, Die Liebhaberin als Psycho-Thriller auszuloben, denn das trifft auf viele Romane Kennedys zu, auch wenn die Grenze zum Liebesroman mal mehr, mal weniger überschritten wird. Harry Ricks´ devote Liebe zu der Frau in den Fünfzigern (The Woman in the Fifth) ist eine grandiose amour fou, die in Dimensionen vordringt, die außerhalb der Realität liegen. Das Gebot der Verschwiegenheit lässt es nicht zu, das näher zu erläutern. Man stelle sich nur auf eine abenteuerliche Entwicklung ein, die manchem Meister der Täuschungen und Wendungen gut gestanden hätte.

Interesse geweckt? Die Liebhaberin ist ein kleines unerwartetes Highlight von einem Autor, der sich in anderen Gefilden schon einen Namen gemacht hat.

Die Liebhaberin

Douglas Kennedy, Heyne

Die Liebhaberin

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