Der Komponist und seine Richterin

  • steinbach sprechende bücher
  • Erschienen: Januar 2010
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  • Schwäbisch Hall: steinbach sprechende bücher, 2010, Seiten: 6, Übersetzt: Moritz Stoepel
  • Berlin: Berliner Taschenbuch-Verlag, 2011, Seiten: 352, Übersetzt: Barbara Schaden
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Carsten Jaehner
58°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2011

Sektenselbstmord ohne Saft und Kraft

In der Neujahrsnacht der Jahrtausendwechsels wird am Ersten Januar 2000 in der Nähe von Montpellier eine Gruppe toter Menschen an einem Berghang aufgefunden, in einem Halbkreis drapiert, in einem kleineren Halbkreis darunter ebenfalls tote Kinder. Es gibt keine Anzeichen von Gewalt. Kommissar André Schweigen hat bereits fünf Jahre zuvor in einem ähnlichen Fall ermittelt. Am Tatort trifft er auf die Richterin Dominique Carpentier, mit der er bereits vor fünf Jahren ermittelt hat.

Die Richterin ist Expertin für Sekten und stürzt sich in den Fall. Durch ein altes Buch in einer unverständlichen Sprache kommt sie auf den Komponisten und Dirigenten Friedrich Grosz, der sie in die Welt der Musik einführt und sich schnell Hals über Kopf in sie verliebt. Schnell wird klar, dass die Lösung des Falls nur über Grosz zu finden ist, und schon bald verstrickt sie sich in einem Netz aus beruflichem und privatem. Die Richterin gerät immer tiefer in das Wesen der Sekte und braucht doch handfeste Beweise, doch es ist nicht so einfach, wie sie sich das vorgestellt hat.

Eigentlich kein Krimi

Es ist kein richtiger Krimi, den die Autorin Patricia Duncker mit Der Komponist und seiner Richterin vorgelegt hat. Auch erinnert der deutsche Titel mehr an Der Richter und sein Henker von Dürrenmatt, während der Originaltitel "The Strange Case of the Composer and his Judge” mehr an Stevensons Jekyll and Hyde erinnert. Letztlich trifft alles nicht so richtig den Inhalt und den Ablauf des Romans, wenngleich man es hier eher mit einem Psychogramm zu tun hat.

Aber von vorne. Denkt man zu Beginn noch, dass Kommissar André Schweigen die Hauptperson des Romans sein würde, schwenkt die Erzählperspektive doch bald zur Richterin um, nachdem klar wurde, dass die beiden vor fünf Jahren ein Verhältnis miteinander hatten, dass Schweigen gerne wieder aufleben lassen würde, obwohl er glücklich verheiratet ist. Diese Thematik schwebt denn auch über den Ermittlungen, und durch seine ständigen Kontaktaufnahmen nervt er die Richterin zusehends, so dass sie seine Anrufe auch regelmäßig wegdrückt und sich mehr auf ihre eigenen Ermittlungen konzentriert.

Doch nicht nur Schweigen wird von ihr mehr und mehr ignoriert, auch ihre rechte Hand Gaëlle gerät immer mehr in den Hintergrund. Die Richterin gerät immer in die Fänge des Komponisten Grosz, und so sehr sie sich auch dagegen sträubt, sie kommt nicht mehr aus dieser Spirale heraus. Dies liegt auch an Grosz’ Tochter, die die Richterin sehr gern hat und sie gerne als neue Mutter hätte. Bald sind beide per "du”, und so nimmt das Schicksal seinen Lauf.

Der Fall gerät in den Hintergrund

So spannend und interessant sich das alles auf den ersten Blick liest, so ernüchternd ist es aber letztlich, wenn man das Buch in der Hand hat. Die Reaktionen der Richterin sind nicht immer nachvollziehbar, und der Fall des Massenselbstmords gerät bald so weit in den Hintergrund, dass man ihn letztlich auf geschätzte 50 Seiten zusammen fassen könnte, wenn man großzügig formuliert. Immer wieder stemmt sich die Richterin gegen den Komponisten, tut aber dann doch das Gegenteil von dem, was sie sagt. Je länger der Roman dauert, desto inkonsequenter und unwahrscheinlicher wird ihr Handeln, so dass sie auch selbst immer mehr unglaubwürdig wird. Dass sie sich letztlich auch in den Komponisten verliebt, kommt so plötzlich, dass es den Leser unweigerlich den Kopf schütteln lässt.

Die Richterin gerät dabei nicht in die Fänge der Sekte, sondern in die des Komponisten, der ihr schon bei der zweiten Begegnung seine Liebe gesteht. Vielleicht sind die Franzosen da ja doch schneller als andere, aber Grosz ist Deutscher, und somit wirkt das ganze sehr aufgesetzt. Das Wissen der Richterin über Sekten und ihren Ursprung wird nebensächlich und nur der Vollständigkeit halber mit eingefügt.

Eine Geduldsprobe für den Leser

Irritierend - gerade für deutsche Leser - ist der Name Schweigen, denn manchmal weiß man abschnittsweise gar nicht, ob der Kommissar oder das Schweigen im Sinne von Stille gemeint ist. Auch ohne das ist man gelegentlich über Erzählperspektiven irritiert, und nur schwer kann man sich zusammenreimen, wo das ganze überhaupt spielt, und ob es tatsächlich seinen Anfang in Montpellier nimmt, weiß man eigentlich bis zur letzten Seite nicht.

Am Ende ist sich der Leser gar nicht mehr sicher, ob alle Fragen beantwortet wurden, da er über alles vergessen hat, wie denn eigentlich die Fragen lauteten. Der Leser wird unsicher sein, ob ihm das Buch gefallen hat, weil er nicht wirklich einordnen kann, was er da gerade auf den vergangenen 350 Seiten erlebt hat. Wenn er denn überhaupt so lange durchhält. Vielleicht hat die Autorin ja gerade das auch gewollt, den Leser wie die Richterin mit in den Strudel zu ziehen, in den sie gerät. Dann allerdings fehlt dem Buch trotzdem der große Spannungsbogen und eine halbwegs zufrieden stellende Auflösung.

Wer dieses Buch nicht liest, braucht sich nicht zu ärgern, wenn er es verpasst hat, den trotz allem geht es nicht wirklich um das, was man vom Klappentext her erwartet. Es wäre schön gewesen, wenn das Buch nicht gar so sehr auf der Stelle treten würde, denn so fesselt es den Leser nicht, egal welchen Standpunkt man letztlich zur Handlung einnehmen will. Und auf den letzten paar Seiten zu versuchen, nachzuholen, was man vorher versäumt hat und dem Roman doch noch Spannung und einen Auflösungsansatz zu geben, macht den Mittelteil nur noch träger. Wirklich spannend ist Der Komponist und seine Richterin nicht.

Der Komponist und seine Richterin

Patricia Duncker, steinbach sprechende bücher

Der Komponist und seine Richterin

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