Still Missing - Kein Entkommen

  • Argon
  • Erschienen: Januar 2011
  • 30
  • Berlin: Argon, 2011, Titel: 'Still Missing - Kein Entkommen', Seiten: 6, Übersetzt: Laura Maire, Bemerkung: autorisierte Lesefassung
  • New York: St. Martin’s Press, 2010, Titel: 'Still Missing', Seiten: 342, Originalsprache
Still Missing - Kein Entkommen
Still Missing - Kein Entkommen
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Silke Wronkowski
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2011

Hölle hoch drei!

Chevy Stevens Debütroman Still Missing verrät eigentlich im Klappentext schon alles, was man wissen muss. Annie O'Sullivan, Immobilienmaklerin Anfang 30 aus Clayton Falls, Typ unabhängige Karrierefrau mit Haus und Hund und frisch verliebt, wird eines Tages während der Arbeit überwältigt und entführt. Ihr Entführer verschleppt sie in eine einsame Berghütte, diktiert ihr wie und vor allem was sie zu tun hat, vergewaltigt sie, schwängert sie, bestraft sie. Nach etwa einem Jahr gelingt es Annie ihren Peiniger zu töten und zu fliehen. Ende gut, alles gut. Aber ist damit wirklich alles gut? Denn an der Stelle ist das Buch noch lange nicht zu Ende.

Stevens' Protagonistin Annie findet sich in einem Albtraum wieder. Nachdem sie "ihrem" Psychopathen bei einer Open-House-Besichtigung nur kurz den Rücken zugewandt hatte, war sie auch schon überwältigt, betäubt und verschleppt worden. Sie wacht in einer Ein-Raum-Holzhütte auf, die Schränke allesamt verschlossen, die Fensterläden ebenfalls. Ihr Entführer, ein Kontrollfreak wie aus dem Bilderbuch, stellt Regeln auf, die nach seinem Zeitplan penibelst eingehalten werden müssen. Hält Annie sich daran, wird sie "belohnt", widersetzt sie sich, wird sie körperlich brutal bestraft. In etwa ein Jahr dauert Annies persönliche Hölle, Teil eins. Dann gelingt es ihr "Psycho", wie sie ihn nennt, umzubringen und zu entkommen.

Wieder zurück in Clayton Falls ist Annie O'Sullivan völlig traumatisiert. Sie löst sich nur langsam von den "Regeln", nach denen sie in Gefangenschaft leben musste, hat eine paranoide Angst vor allem und jedem, was dazu führt, dass sie – wenn überhaupt – nur im Schrank schläft. Die Welt außerhalb ihres Gefängnisses hat sich weiter gedreht. Fast all ihre Ersparnisse gingen für die Suche und die ausgesetzte Belohnung drauf, so dass Annie – psychisch ein Wrack - gar keine andere Wahl hat, als sich der sensationslüsternen Öffentlichkeit und den Reportern zu stellen. Hölle, Teil 2.

Nach mehreren gescheiterten Versuchen, macht sie nun endlich eine Therapie um ihr Leben wieder zurückzugewinnen. Doch ist ihre immer noch währende Angst wirklich so unbegründet? Schließlich ist "das Monster" tot, sie hat ihn umgebracht, sich sogar davon persönlich überzeugt. Aber es gilt noch die Identität des Täters aufzuklären, dabei hilft ihr der Polizist Gary, der auch an den Ermittlungen in ihrem eigentlichen Entführungsfall beteiligt war. Und das Ergebnis dieser Suche? Eindeutig Hölle, Teil 3!

Chevy Stevens zäumt das Pferd von hinten auf, indem sie uns ausschließlich an den Therapiesitzungen der Hauptdarstellerin dieses beklemmenden Kammerspiels teilhaben lässt. In 26 Kapiteln - Entschuldigung: Sitzungen – erfährt der Leser das gesamte Ausmaß von Annies Martyriums, völlig ungeschminkt, direkt aus dem Munde des zynischen, verbitterten, traumatisierten Opfers. Denn die Perspektive, die Stevens wählt, ist die der Patientin Annie O'Sullivan, die als Ich-Erzählerin über 400 Seiten ihre eigene Geschichte monologisiert. Auf der einen Seite der ehrlichste Blick auf den "Fall", den man als Leser haben kann, auf der anderen Seite aber auch der Blickwinkel einer labilen Frau mit posttraumatischen Zwangsstörungen, Paranoia und Depressionen. Und trotzdem kann man nicht anders, als schnell Sympathie und Verständnis für Annie aufzubringen, selbst ihre widersprüchlichen Gefühle für ihren Entführer klingen plausibel, und ihre Stärke und ihr Überlebenswille sind bewundernswert.

Stück für Stück, Sitzung für Sitzung, bauen sich parallel zwei Geschichten auf. Zum einen der Fall der Entführung, zum anderen Annies Leben "danach", mit der Klärung der Identität des Täters und einer außergewöhnlichen, lange überhaupt nicht vorhersehbaren, Wendung zum Schluss. Man fasst leicht Fuß in Stevens Erstlingswerk, setzt mit ihrer Hilfe das Puzzle mühelos zusammen. Simpel geschrieben, stellenweise zwar sehr detailverliebt, aber trotzdem immer schockierend genug, dass man mit einer kuriosen Mischung aus Neugier und Abscheu weiter lesen muss. Und das geht durchaus auch in einem Rutsch, denn schnell wird ein einziger Punkt – abgesehen von Annies Entkommen – vorhersehbar: Chevy Stevens setzt immer noch eins drauf, wenn man gerade denkt die Psyche der Romanfigur habe doch jetzt bereits genug durchgemacht. Und trotzdem versteht es Stevens dabei nie langweilig zu werden und inhaltlich eben nicht vorhersehbar, denn der Schluss ist die Kirsche auf dem Sahnehäubchen, mit der man lange nicht rechnen konnte.

Hut ab, Mrs. Stevens, gelungenes Debüt. Wir dürfen gespannt sein, ob ihr nächstes Werk an Schwung verliert nach diesem gut gemeisterten Eröffnungstanz, oder ob der zweite Thriller Never Knowing - Endlose Angst ebenso leichtfüßig über's Parkett wirbeln wird.

Still Missing - Kein Entkommen

Chevy Stevens, Argon

Still Missing - Kein Entkommen

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