Einer kam heim aus Afghanistan

  • Ed. Köln
  • Erschienen: Januar 2010
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  • Köln: Ed. Köln, 2010, Seiten: 337, Originalsprache
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Jürgen Priester
62°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2011

Durch's wilde Afghanistan

Autor Heinz-Joachim Simon scheint ein großer Karl-May-Fan zu sein oder gewesen zu sein. Nicht gerade der erste, sondern der zweite Eindruck, den der Protagonist dieses Romans evoziert, lässt an Karl Mays Alter Ego Kara Ben Nemsi denken. Wie weiland Mays unverwüstlicher, unüberwindbarer Held von den Schluchten des Balkan durch's wilde Kurdistan zog, so kämpft sich hier Peter Gernot, das "schwarze Schaf" der Unternehmerfamilie Gernot, Hoch- und Tiefbau, durchs unwirtliche Afghanistan. Ein Vergleich mit Kara Ben Nemsi stellt per se kein Negativum dar, schließlich zeigte dieser weit mehr Skrupel als unser neuzeitlicher Held, der auch gerne mal den Rambo macht, doch die Arroganz des überlegenen Europäers (Deutschen?) gegenüber der indigenen Bevölkerung schimmert in beiden Fällen durch.

Schon witzig, dass ein Leser an anderer Stelle zu Simons phantastisch-historischen Roman Barabbas, der zweite Sohn Gottes ebenfalls eine Parallele zu Kara Ben Nemsi entdeckt zu haben glaubt. Könnte also etwas dran sein an Simons Faible für Karl May, zumal man mit etwas Fantasie in Afghanistan noch einen Hadschi Halef Omar ausmachen kann.

Im Gegensatz zum beliebten deutschen Volksschriftsteller, der die Länder, über die er schrieb, nie bereist hat, kann man bei Heinz-Jürgen Simon davon ausgehen, dass er sich vor Ort kundig gemacht hat. Seine detaillierten Beschreibungen der afghanischen Städte und Landschaften setzen eine Ortskenntnis voraus. Wie auch sein Wissen um die komplizierten politischen Verhältnisse in einem Afghanistan der Vergangenheit und der Gegenwart als profund zu bezeichnen ist. Allein Simons kritische Haltung gegenüber des Einsatzes der multinationalen Truppen unter der Federführung der USA innerhalb der Mission "Enduring Freedom" machen dieses Buch lesenswert. Der Autor schreibt, was da Sache ist, und entlarvt somit die offiziellen Fehlinformationen, die der Weltgemeinschaft glauben machen wollen, es ginge in diesem Krieg hauptsächlich um humanitäre Belange.

So muss man dann einen Rambo Ben Nemsi in Kauf nehmen, der uns als Ich-Erzähler durchs wilde Afghanistan führt.

Peter Gernot arbeitet in Berlin als Bodyguard für Polit- und Wirtschaftsprominenz. Bis auf die Ressentiments gegenüber seinem Elternhaus ist er mit sich und der Welt ganz zufrieden. Als Produkt eines Seitensprung seines Vaters, des Großbauunternehmers T. Gernot, hat er nie die gleiche Anerkennung erfahren, die seinen Halbbruder zum Kronprinzen in ihres Vaters Konzern machte. Die Gernot-Hoch-und Tiefbau ist ein weltweit operierendes Unternehmen, das zur Zeit auch Straßen in Afghanistan baut. Dieses Projekt wird vom Juniorchef persönlich betreut, da dort viel Geld zu machen ist, schließlich werden die Infrastrukturmaßnahmen am Hindukusch zum Teil vom deutschen Steuerzahler bezahlt. Kronprinz schmiert auch die Kontakte zu den örtlichen Machthabern. Einem von ihnen ist das Bakschisch wohl nicht ausreichend gewesen. Detlev wird entführt, ein hohes Lösegeld gefordert.

Vater Gernot besinnt sich seines ungeliebten Sohnes und zwingt Peter, sich nach Afghanistan aufzumachen, um den Bruder frei zu bekommen. Peter entdeckt wider Erwarten doch eine familiäre Ader, vernascht noch schnell seine zukünftige Schwägerin und befindet sich tags darauf schon im schmachtenden Schoß der heißblütigen Djamila, Tochter eines afghanischen Geschäftsfreundes. Sie verlieben sich stante penis in einander. Man verzeihe mir den flapsigen Ton, aber diese Liebesgeschichte ist wirklich der Schwachpunkt des Romans. Sherazade erzählt aus 1001 Nacht, nur dass hier die Geschichte nicht märchenhaft endet.

In Kabul trifft Peter Gernot auf Djamilas Bruder Faiz, der ihm als Dolmetscher und Kontaktperson avisiert wurde. Die beiden begeben sich auf eine abenteuerliche Irrfahrt durchs ganze Land – von Stammesfürst zu Stammesfürst, die sich alle sehr empfänglich für Gernots dickes Geldbündel zeigen. Trotz vieler widersprüchlicher Informationen kommen Gernot und Faiz den Entführern auf die Spur, müssen dann aber feststellen, dass der Entführte längst sein eigenes perfides Spiel aufgezogen hat.

Der Satz Einer kam heim aus Afghanistan entstammt der Ballade "Das Trauerspiel von Afghanistan" des deutschen Dichters und Publizisten Theodor Fontane, der sich Mitte des 19. Jahrhunderts in dieser Form kritisch zum englischen Kriegsdebakel in Afghanistan im Januar 1842 äußerte. Ein ähnliches Fiasko widerfuhr den Russen in den 1980er Jahren. Nun sind es die US-Amerikaner, die sich ein zweites Vietnam einhandeln wollen, und die Völkergemeinschaft – mit hehren Zielen auf den Fahnen – unterstützt sie.

Simon zeigt auf wie ausweg- und sinnlos das Unterfangen ist, die verschiedenen, zum Teil rivalisierenden Volksgruppen zu befrieden. Seine an Fakten orientierte Bestandsaufnahme und Vorausschau machen das Buch lesenswert. Weniger gelungen ist da der umrahmende Thrillerplot, außer man steht auf rambomäßiger Action. Der alles dominierende Protagonist wird kaum von Selbstzweifeln geplagt – selbst das Töten von Menschen lässt ihn relativ kalt. Sein Waffenarsenal ist ja nicht gerade leichtgewichtig. Diese Brutalität steht im Widerspruch zum friedliebenden Grundtenor von Simons Geschichte und kann auch nicht durch den plötzlich aufkeimenden Familiensinn des Helden gerechtfertigt werden. Wenn man halbe Dörfer niedermetzelt, nur um den "möglicherweise" entführten Halbbruder zu retten, stellt man sich auf die Stufe eines Aggressors gleich welcher Couleur. Da sind dem Autor wohl die Pferde durchgegangen.

Nicht minder deplatziert wirkt besagte Liebesgeschichte zwischen dem Helden und einer Muslima, die nach fünf Minuten Smalltalk mit dem Helden in eine unsterbliche Liebe zu ihm verfällt, auf dass sie ihren gesunden Menschen vergisst und sich auf diese Harakiri- Liaison einlässt. Das sind Altmänner-Phantasien und die untergraben die eigentliche Intention, auf die prekäre Situation von Frauen in islamischen Staaten aufmerksam zu machen.

So hinterlässt Einer kam heim aus Afghanistan unterm Strich einen zwiespältigen Eindruck - auf der einen Seite die überzeugende realistische Beschreibung von Land und Leute, auf der anderen Seite ein unsympathischer Held mit machohaftem Gebaren, dessen Heimkehr Afghanistan sicher aufatmen lässt.

Einer kam heim aus Afghanistan

Heinz-Joachim Simon, Ed. Köln

Einer kam heim aus Afghanistan

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