Die Masken des Teufels

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2010
  • 4
  • Paris: A. Michel, 2009, Titel: 'La promesse des ténèbres', Seiten: 425, Originalsprache
  • München: Goldmann, 2010, Seiten: 496, Übersetzt: Eliane Hagedorn & Bettina Runge
Die Masken des Teufels
Die Masken des Teufels
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Jürgen Priester
68°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2010

Die Verheißung der Finsternis

"Tunnel-Menschen" heißt das Anfang der 1990er Jahre erschienene Sachbuch von Jennifer Toth über eine Art Parallelwelt, die in den Tiefen des New Yorker Untergrunds existiert. Toth schreibt über das Leben der Obdachlosen, Ausgestoßenen, Gescheiterten – aus welchen Gründen auch immer – die im Labyrinth aufgegebener U-Bahn-Schächte und Versorgungstunnels eine verzweifelte Existenz bestreiten. Dieses Buch war Grundlage, vielleicht auch Inspiration für Maxime Chattam zu seinem Thriller La promesse des ténèbres, was die Verantwortlichen im Goldmann-Verlag zu Die Masken des Teufels verhunzten. Der räumliche Abstieg in die Dunkelheit geht einher mit der innerlichen Rückwärtsentwicklung eines Mannes, der eigentlich glücklich und zufrieden sein könnte.

Chattams Roman spielt im Jahre 2000 und liegt zeitlich vor In Blut geschrieben (In tenebris,2003). Leute mit einem besseren Namensgedächtnis als der Rezensent werden sich an die beiden Ermittler, die Detectives Annabel O´Donnel und Jack Thayer erinnern. Thematisch ist Die Masken des Teufels eine entschärfte Version von In Blut geschrieben. Hier wie da führt die Spur zu gesellschaftlichen und moralischen Außenseitern, die ihre Perversionen ausleben, koste es, was es wolle.

Vorab interessant wäre wohl die Frage, wann Chattam Die Masken des Teufels geschrieben hat. Ist es ein Frühwerk, das erst jetzt veröffentlicht wurde oder ist es aktuell seiner Feder entsprungen? Es gibt da eine Szene, in der der Held über die symbolische Bedeutung der Twin-Towers des World-Trade-Centers philosophiert, je nach Entstehungsdatum ist Chattams Deutung prophetisch oder aber selten missglückt. Letzteres würde gut zu seinen Auslassungen über die männliche Sexualität passen, mit denen er seine Leser unnötig traktiert. Aber dazu später mehr.

Brady O´Donnel ist freiberuflicher Journalist, ein sogenannter Freelancer, der seine kombinierten Bild- und Textreportagen sehr erfolgreich an die renommiertesten Zeitschriften verkauft. Kaum hat er eine Arbeit über den spanischen Architekten Antonio Gaudi beendet, sinniert er auch schon über ein neues Thema. In einem Gespräch mit seinem Freund Pierre, der sich wohl sehr gut in der New Yorker Halbwelt auskennt, schlägt dieser ihm vor, doch mal einen Blick auf die hiesige Porno-Branche zu werfen, er könne ihm da einen guten Kontakt vermitteln. Vorerst zögerlich notiert sich Brady eine Web-Adresse und eine Telefonnummer, doch als er den Video-Clip im Internet sieht, ist er gleichsam fasziniert und angewidert. Fasziniert von der kaum zwanzigjährigen Schönheit mit dem Künstlernamen Rubis, angewidert von dem, was ihr angetan wurde. Brady macht ein Date mit ihr aus, das mit einem Fiasko endet. Vor seinen Augen erschießt sich die junge Frau. Er flieht völlig verstört, verständigt von unterwegs noch die Polizei, in seinem Studio angekommen, die Gedanken geordnet, beschließt er, Rubis` Vergangenheit zu durchleuchten.

Wie es der Zufall so will, wird ausgerechnet Bradys Frau Annabel mit der Untersuchung von Rubis´ Selbstmord betraut. Annabel O´Donnel und ihr Kollege Jack Thayer sind, wie Eingeweihte schon wissen, Detectives des NYPD und für alles zuständig. Da sie im Fall Sondra Ann Weaver , so Rubis´ richtiger Name, von einem Suizid ausgehen müssen, was die Obduktion der Leiche auch bestätigt, sind sie nicht sonderlich engagiert. Nur der geheimnisvolle Unbekannte, der am Tatort Spuren hinterlassen hat, macht ihnen Kopfzerbrechen. Annabel ahnt nicht, dass ihr Mann dahintersteckt.

Die O´Donnels sind seit acht Jahren verheiratet und führen eine harmonische, in allen Belangen erfüllte Ehe. Sie haben sich angewöhnt, des abends ihren Arbeitstag miteinander zu besprechen. Annabel erzählt vom Selbstmord der jungen Frau und davon, dass wohl noch eine zweite Person am Tatort war. Brady spielt den Unwissenden, lügt seine Frau an. Warum er das tut, wird nicht so ganz ersichtlich. Vielleicht aus Scham oder Verwirrung, sicher nicht aus Kalkül. Aber, eine Lüge zieht die andere nach sich. So baut sich eine Distanz zwischen ihm und seiner Frau auf, die im weiteren Verlauf der Geschichte immer größer wird. Versessen treibt Brady seine Nachforschungen über Rubis´ Leben voran, kauft sich alle Videos und DVDs, in denen sie mitgespielt hat, sieht ihren Abstieg von einer Softporno-Actrice zu einem Hardcore-Opfer. Über mehrere Mittelsmänner führt die Spur in den New Yorker Untergrund, wo Brady die Leute zu finden hofft, die ihre anomalen Spielchen mit Rubis getrieben haben, die sie wahrscheinlich auch für ihren Selbstmord verantwortlich sind.

Die Polizei, unter der Federführung von Annabel O´Donnel und Jack Thayer, schlägt einen anderen Weg ein. Sie haben Rubis´Agenten, besser Zuhälter, ins Visier genommen und treffen bei Rubis´ Kolleginnen auf einen anderen dubiosen Selbstmord. Ein weiterer Mord im Milieu bringt auch ihnen einen entscheidenden Hinweis auf die Hintermänner.

Die Masken des Teufels ist ein überdurchschnittlich spannender Thriller, der eigentlich eine bessere Bewertung verdient hätte. Die Location im New Yorker Untergrund ist albtraumartig und könnte sogar bei den Horror-Fans Anklang finden, weil Chattam Genre-übliche Elemente - leider zum Teil bis ins Groteske übersteigert- einbaut. Wer die Romane von Maxime Chattam kennt, weiß, dass er nicht gerade zart besaitet ist. Hier fließen reichlich blood, sperm & tears. Wenn selbst eine seiner Figuren feststellen muss:

 

Brady hielt dieses Schauspiel für Geisteskranke nicht länger aus, und so sah er sich den Rest im Schnelldurchlauf an.

 

Dem konnte man sich nur anschließen, da war querlesen angesagt. Gegen eine gewisse Härte kann man nichts einwenden, aber es gibt Grenzen des guten Geschmacks, die hat Chattam bei einigen Beschreibungen überschritten.

Dies soll aber nicht der Kernpunkt der Kritik sein. Ziemlich störend sind Chattams ausufernden Gedankengänge über einen Teilaspekt der männlichen Sexualität – die Befreiung der Sexualität von allen sozialen und kulturellen Zwängen, das triebhafte Ausleben eines Ur-Instinktes. Um das zu verstehen, müsste man schon bei Prof. Freud nachschlagen. Wer kann schon den Unterschied zwischen Verlangen und Trieb definieren. Natürlich ist es richtig und wichtig, die Gefühlslage der Hauptperson darzustellen. Trotz des großen Aufwandes schafft Chattam es nicht, Bradys inneren Konflikt offenzulegen. Dieser verhält sich wie ein von der Neugier getriebener Journalist, was ja auch plausibel ist, aber nicht wie einer, der von den Versuchungen der "Dunklen Seite" angelockt wird. Die ganz normale Abscheu, die ein gesunder Mensch gegenüber solchen Perversitäten empfindet, bleibt auch bei Brady bis zum Schluss erhalten. Er hat der "Verheißung der Finsternis" Gehör geschenkt, hat aber nicht die Seite gewechselt, trotzdem muss er die Konsequenzen tragen.

Ohne dieses enervierende Trieb-Brimborium hätte Die Masken des Teufels eine gute Wertung von 80° bekommen – für einen guten Thriller an einem außergewöhnlichen Schauplatz. Leider musste für jedes "Och, nee!" des Rezensenten bei der Lektüre ein Grad abgezogen werden.

Die Masken des Teufels

Maxime Chattam, Goldmann

Die Masken des Teufels

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