Das letzte Hemd hat keine Taschen

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 1989
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  • London: Arthur Barker, 1937, Titel: 'No Pockets in a Shroud ', Seiten: 307, Originalsprache
  • Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1989, Seiten: 175, Übersetzt: Gabriele Kunstmann
Das letzte Hemd hat keine Taschen
Das letzte Hemd hat keine Taschen
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Guido Billstein
95°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2010

Das meint Krimi-Couch.de: Von Gangstern und Reportern – ein klassischer Noir

Zugegeben: Horace McCoy ist kein von der Welt, sagen wir: vergessener Autor. Und sein Werk ist auch nicht wirklich verschollen. Dennoch geht McCoy zumeist verloren im Gedränge der vielen Noir Stories, Romane und Filme. Dies liegt zum einen an seinem relativ schmalen Werk mit gerade mal vier Noir Romanen sowie einigen Kurzgeschichten. Zum anderen – und wichtiger – aber auch daran, dass McCoys Weltsicht ausgesprochen düster ist. Nicht mit nostalgisch-schicken Schwarzweiß-Kontrasten geschmückt sondern: düster. Wie in die Abwesenheit von Licht.

Insgesamt höchste Zeit also, Horace McCoy einmal wieder neu zu präsentieren. Zum Beispiel anhand von Das letzte Hemd hat keine Löcher aus dem Jahr 1937.

Der Ort der Handlung: Colton, eine fiktive US amerikanische Stadt mittlerer Größe an der Pazifikküste. Sagen wir, wie San Francisco. Die Zeit: Mitte der Dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Die Große Depression ist gerade vorüber – ihre Nachwirkungen sind es nicht. Korruption und organisiertes Verbrechen sind überall. Ganz oben in der Politik, bei Regierungsbehörden und in der Geschäftswelt. Und in Europa droht ein neuer Weltkrieg.

Der Held: Mike Dolan, ein wütender junger Journalist. Reporter bei der örtlichen Tageszeitung Daily Times. Ein kompromissloser Idealist, aber auch ein womanizer, salopp gesagt: ein Schürzenjäger. Lässt sich gerne von reichen und schönen Frauen aushalten. Er hasst die Korruption, die Verstrickung von organisiertem Verbrechen und Politik. Den Rassismus und die Gewalt gegen Minderheiten. Mehr noch hasst er jedoch den scheinheiligen Umgang der amerikanischen Presse mit diesen Missständen: Die Presse schweigt oder spielt herunter. Nichts Neues hier: Die Zeitungswelt ist ebenso korrupt. Käuflich durch einflussreiche Anzeigenkunden, finanzkräftige Polit- und Stadtprominenz und so weiter. Dafür aber verklären amerikanische Zeitungen Hitler und Mussolini als "neuen Friedrich der Große" und "neuen Cäsar" – und als künftige Verbündete für Amerika im Kampf gegen das Gespenst des Kommunismus.

 

Er wünschte, er hätte damals in den Zeiten von Dana und Greely gelebt, als eine Zeitung eine Zeitung war und einen Hurensohn einen Hurensohn nennen konnte, und sich einen Teufel um den Rest scherte.

 [Anm. d. Verf.: Richard Henry Dana, Jr. 1815-1882 und Horace Greely 1811-1872 waren für ihr Eintreten gegen die Sklaverei bekannte politische Aktivisten und Publizisten in den USA im 19. Jahrhundert]

 

Dolan muckt auf gegen dieses System der Korruption. Durch seine investigativ recherchierten Leitartikel. Selbstverständlich werden die meisten von ihnen vom Verleger der Daily Times abgelehnt. Wichtige Anzeigenkunden wollen sich eben nicht auf der Anklagebank wiederfinden. Freie Presse eben.

Eines Tages schmeißt er desillusioniert den Job hin und kündigt. Dolan will ein eigenes Nachrichtenmagazin gründen. Um endlich unzensiert schreiben zu können. Unterstützt von seinen Partnern Eddie Bishop, einem Polizeireporter der DailyTimes und heimlichen Unterstützer der kommunistischen Partei und Myrna Barnovsky, einer Art Zufallsbekanntschaft, gründet er den Cosmopolite. In diesem Gesellschaftsmagazin enthüllt Dolan von nun an die Skandale der Wirtschaftbosse und Stadtprominenz. Schreibt über großangelegte Schiebung in der nationalen Baseball-Liga. Über Frauen als Opfer eines prominenten Abtreibungs-Kurpfuschers. Der nebenbei der jüngere Bruder eines führenden Mitglieds des organisierten Verbrechens ist. Und über die Crusaders, eine dem Klu-Klux-Klan ähnliche Geheimgesellschaft, die Rassenhygiene nach dem Vorbild des Nationalsozialismus verwirklichen will. Die brutal gegen alle Farbigen oder sonstwie als unamerikanisch empfundene Menschen vorgeht. Und in der natürlich viele der Gesellschafts- und Wirtschaftsgrößen von Colton vertreten sind.

Dolan finanziert die Cosmopolite Ausgaben eher durch seine amourösen Eskapaden als mit Anzeigen. Die vierundzwanzigstündige Blitz Ehe mit dem High-Society Girl Lillian Fried, der Tochter eines einflussreichen Bankvorstands und ex-Senators zum Beispiel beschert ihm ein kleines Vermögen als Abfindung.

Die Reportagen Dolans erregen größte Aufmerksamkeit in Colton. Zerren vertuschte Skandale an die Öffentlichkeit. Treffen die, die sie treffen sollen. Und das ist gefährlich. Ein von Dolan der Korruption überführter Baseball Star versucht, ihn zu erschießen. Geht nochmal gut. Der prominente Kurpfuscher begeht Selbstmord. Sein Bruder, Jack Carlisle, große Nummer in der Coltoner Geschäfts- und Verbrecherwelt, sinnt auf Rache. Versucht mit Hilfe seiner Gangs den Vertrieb weiterer Ausgaben des Magazins zu verhindern. Zunächst erfolglos. Aber Leute wie er haben natürlich noch ganz andere Methoden in der Hinterhand.

Die Auflage des Cosmopolite steigt. Aber Dolan spielt trotz dieses Erfolges ein gewagtes Spiel. Legt sich mit den großen Nummern in der Stadt an. Die über Leichen gehen. Das letzte Hemd hat keine Taschen, sagt Bishop einmal zu ihm. Um ihn zu warnen. Doch Dolan ist besessen. Kennt keine Kompromisse. Nach der Veröffentlichung seiner bislang größten Enthüllungsstory – eben jener über die Geheimorganisation der Crusaders - wird er als Zeuge zu einer Anhörung des obersten Stadtgerichts geladen. Denn er kann Beweise und Namen präsentieren. Werden seine Feinde aber eine Aussage von Mike Dolan zulassen?

McCoys Roman aus dem Jahr 1937 ist über weite Strecken ein autobiographisch gefärbter Bericht. Und ein bitterer Kommentar über den Stand der Dinge der US Gesellschaft sowie der Presse in den Dreißiger Jahren. McCoy war selbst über lange Jahre Kolumnist und Sportreporter eines Nachrichtenmagazins in Dallas/Texas. Bereits in den ersten Zeilen des Romans wird klar: Das letzte Hemd hat keine Taschen ist ein voller Wut geschriebenes Buch. Zeitgenössisch, tendenziös und parteiergreifend. Ungewöhnlich nihilistisch und gesellschaftskritisch – selbst für die Noir Szene jener Zeit.

McCoys Amerika: Eine Welt ohne Zukunft. Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, der unüberschaubar seine Schatten voraus wirft. Und die Helden? Dolan ist eher ein Besessener als ein Moralist oder Idealist. Er ist aggressiv und autokratisch. Taumelt von einer Affäre in die nächste und bleibt ein Einzelgänger ohne echte Freunde. Myrna, seine Partnerin? Sagt von sich, sie sei Nymphomanin. Ihre Motive bleiben letztlich unklar. Gemeinsam ist beiden nur die Unfähigkeit, emotionale Bindungen einzugehen und Gefühle zu zeigen. Bishop? Bekennender Kommunist. Allerdings nur hinter vorgehaltener Hand. Hat schließlich Familie, erfahren wir nebenbei. Diese "Helden" haben keinen wirklichen sozialen oder familiären Background, keine Vergangenheit. Sie treten schlaglichtartig auf die Bühne. Und haben, so fürchten wir, wohl auch keine Zukunft.

McCoys Stil: Keine stimmungsvollen, nostalgisch-düsteren Beschreibungen. McCoy ist kein Noir Romantiker wie Raymond Chandler. Auch keine detaillierte Action in Zeitlupe. Stattdessen: Kurze Szenen und Kapitel. Gradlinige Erzählstruktur. Messerscharfe Dialoge. Und Tempo. Kurz: Man liest den Roman in einem Rutsch  - und ist betroffen. Ein Noir Klassiker eben.

Das letzte Hemd hat keine Taschen

Horace McCoy, Ullstein

Das letzte Hemd hat keine Taschen

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