The American

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2010
  • 4
  • London: Century, 1991, Titel: 'A very private gentleman', Seiten: 336, Originalsprache
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2010, Seiten: 396, Übersetzt: Giovanni Bandini & Ditte Bandini
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Jochen König
44°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2010

Viel reden, wenig sagen: die Memoiren eines Schaumschlägers

Die Dienstmüdigkeit eines Killers ist ein gern genommenes Sujet in Kriminalromanen und –filmen. Ob er sich verliebt, wie Raven in "This Gun For Hire" ("Die Narbenhand"), basierend auf Graham Greenes A Gun For Sale (Das Attentat), oder der eiskalte Engel Jeff Costello; auf der Kippe zwischen ausführendem Täter und Zielsubjekt steht (Max Allan Collins´ Quarry) oder beides Hand in Hand geht (Barry Eislers John Rain, der Crying Freeman), die Motive und Motivationen sind meist recht ähnlich. Es beginnt mit einem leisen Zweifel, Mitleid mit einem potenziellen Opfer oder ist schlicht eine Alters- und Gesundheitsfrage (Angelo Ledda in "The Alzheimer Case"). Spannend ist in erster Linie die jeweilige Biographie des Killers, die Entscheidungen, wie er seinen gewählten Weg zu Ende gehen wird oder welche Widrigkeit, bzw. Widersacher, ihm bei der Findung des inneren Friedens in die Quere kommen. Was dann meist zu einem Rückfall in alte Muster führt: die akribische Planung und Ausführung von Morden. Je ausgefeilter umso besser – für den Leser. Den letzten Thrill ergibt die Frage: wird unser (meist sympathischer) Profi-Killer davon kommen oder opfert er sich mit großer Geste?

Seit Graham Greenes Attentat sind mehr als 75 Jahre vergangen. Selbst als A Very Private Gentleman 1990 das erste Mal erschien, lagen Buch und Verfilmung ein gutes halbes Jahrhundert zurück. Eine Menge Profis der tödlichen Zunft erblickten das Licht der Welt in diesem Zeitraum und sahen es zum Teil auch wieder verlöschen. Eines hatten sie fast alle gemein: sie waren stille, verschlossene Einzelgänger, denen die Sehnsucht nach menschlicher Nähe allzu oft die Erlösung oder den Tod brachte. Manchmal beides gleichzeitig.

Martin Booth kreiert nun einen neuen Typus: den des ewig lamentierenden Schwätzers. Sein Signor Farfalla ("Mr. Butterfly") ist allerdings auch weniger ein Killer als ein Zulieferer. Der beste seiner Art – zumindest behauptet er das von sich selbst -, baut er Präzisionswaffen, die professionellen Attentätern die Erledigung ihrer Aufträge erleichtern sollen.

Er ist viel herum gekommen in der Welt, wurde gejagt, war selbst der Jäger und findet sich in gesetztem Alter in einem italienischen Bergdorf wieder. Dort will er eine letzte Waffe bauen; für eine schöne Killerin, deren Ziel im Vagen bleibt (die Vermutungen erreichen politische Dimensionen zwischen Maggie Thatcher und Yassir Arafat). Doch leider hat sich jemand an die Fersen des vorgeblichen Schmetterlingsmalers und heimlichen Waffenbauers gesetzt, ein "Schattenbewohner", wie Farfalla seine Verfolger nennt, der dem alternden Todeskünstler seinen (wohlverdienten?) Ruhestand nicht gönnt. Es kommt wie es kommen muss: Wege kreuzen sich, und in den Gassen eines malerischen italienischen Örtchens fließt Blut.

Danyel Gerard singt "Butterfly, my Butterfly" dazu… Tut er natürlich nicht, aber das schwülstige Pathos des ollen Gassenhauers würde wunderbar zum sehr privaten Gentleman passen, der nach 20 Jahren unter dem tollen teutschen Titel The American seine Wiederauferstehung feiert. Und wer ist schuld daran? George Clooney, der smarte Wahlitaliener, der sich die Rechte an Booth´ Roman sicherte, um in seiner zweiten Heimat ein gemütliches Filmchen drehen zu dürfen. Können wir ihm nicht übel nehmen, der hoch geschätzte Robert Mitchum spielte auch im letzten Murks mit, wenn ein Urlaub an der Cote D’Azur für ihn und seine Familie dabei heraus sprang.

Zurück zum Buch. Das, einen Kriminalroman zu nennen, schwer fällt. Prangt zwar auf dem Umschlag, hat mit Mord und ganz wenig Totschlag zu tun, und am Ende wird es sogar ein bisschen spannend. Doch da steckt der bunte Schmetterling bereits auf der Nadel und schlägt nur noch matt mit den Flügeln, bevor er verendet. In erster Linie ist The American die Autobiographie eines Jammerlappens – der zudem nicht einmal mit Sicherheit Amerikaner ist.

 

Ich behaupte nicht, Engländer oder Franzose, Deutscher, Schweizer, Amerikaner, Kanadier oder Südafrikaner zu sein. Ich mache diesbezüglich keinerlei Angaben.

 

Die ersten hundert Seiten passiert: Nichts. Bzw. nicht viel. Farfalla berichtet von seinem Versteck, gibt Einblicke in seine wechselhafte Geschichte und trinkt Wein mit dem Dorfpfarrer. Booth gibt Farfalla dabei eine bilderreiche Sprache mit auf den Weg, die ihn als Poeten ausweisen soll, doch letztlich nur den widersprüchlichen Kleingeist durchschimmern lässt, der sich zum Weltmann hochstilisiert. Denn Farfalla schildert ausladend ein schlichtes Postkartenidyll, das so an jedem x-beliebigen Kiosk in hundertfacher Ausfertigung zu kaufen ist. Sein idealisiertes Italien ist ein Abziehbild aus dem Reisekatalog, aufgepeppt mit wohlklingenden Worten und hohlen Phrasen. Verweigert Farfalla zunächst im Gespräch mit Don Benedetto die Bedeutung der Historie für das Leben jedes Individuums anzuerkennen, ergeht er sich auf den nächsten Seiten ausladend über historische Ereignisse, Artefakte und ihre Bedeutung (die Italiener natürlich wahrnehmen. Im Gegensatz zu Franzosen, die nur an fressen, saufen und dieses andere denken. An dasselbe denken Italiener zwar auch gerne, aber mit Stil. Und Geschichtsbewusstsein…). Dieser Dualismus könnte zwar eine interessante Grundlage bieten, doch wie so vieles im Buch wird er zerredet, zerredet und noch einmal zerredet. Vermutlich, damit nicht hervorsticht auf welch tönernen Füßen das ganze Konstrukt steht.

Signor Farfalla findet sich ganz toll, bei allem was er anpackt. Doch bleibt er jeden Beweis dafür schuldig. Wenn er über sein Geschäft als Waffenbauer spricht, lobt er sich zwar über die Maßen, haften bleiben aber all die Fehler, die er während seiner Arbeit gemacht hat. Bis zuletzt, und vielleicht zu seinem Glück. Ähnlich verhält es sich mit seiner Lebensführung: da wird seitenlang darüber examiniert wie wichtig eine gute Tarnung ist, und was macht unser kluger Protagonist? Verbirgt sich als Amerikaner in einem kleinen Bergdorf, auf das er bald so bekannt ist wie ein bunter Hund. Nicht einmal als unauffälliger Interessent bzw. Exporteur lokaler Erzeugnisse oder reicher Privatier, nein als kleiner Schmetterlingsmaler, der trotzdem durchschimmern lässt, dass er finanziell sehr gut ausgestattet ist. Reicht ihm das um aufzufallen? Natürlich nicht. Also schickt er sich dutzendfach Briefe und Päckchen unter falschem Namen, die seine Vermieterin beharrlich annimmt. Italienische Klatschweiber sind ja so verschwiegen. Zur Krönung lädt er tatsächlich seine Auftraggeberin in die eigene Wohnung ein. Ein Präsentierteller so groß wie der Petersdom. Wahre Paranoiker wie John Rain oder Andrew Vachss´ Burke hätten sich längst totgelacht oder Farfalla ohne Aufsehen totgemacht.

Dann gibt es noch jenen "Schattenbewohner" der Farfalla so offensichtlich – und immer im gleichen Wagen – verfolgt, als bettele er geradezu darum, umgebracht zu werden. Doch selbst dazu stellt sich unser genialischer Todesbote (zunächst?) zu dämlich an. Auch wird nie recht klar, worin denn Farfallas großes Können bestehen soll, dass ihm Geheimdienste der ganzen Welt Assassinen an den Allerwertesten heften. Waffenproduzenten gibt es viele und was Farfalla preisgibt, lässt den Schluss zu, dass jeder halbwegs begabte Schlosser mit Interesse an Waffenkunde in seine Fußstapfen treten könnte.

Das wackelt nicht nur, sondern kracht gelegentlich polternd zusammen. Dass Farfalla der Prototyp eines unsympathischen, von sich selbst und den Makeln der restlichen Welt überzeugten amerikanischen Touristen ist, mag ja angehen. Neben den Franzosen ("Land provinzieller Banalität", "Armut des Geistes") kommen noch die Spanier ("ölige Frauen", "Männer mit Wespentaillen", unzivilisierte Erben mittelalterlicher Mauren) und die Schweden ("humorlose, dröge Rasse", "sie ähneln Bulldoggen, ständig angriffsbereit, kläffend und effizient") schlecht weg. Die Briten bekommen miese Noten hauptsächlich wegen des Wetters. Während in England Regengüsse wie Peitschenhiebe niederknallen, sorgt derselbe Regen in Italien für blühendes Leben. Das ist so platt wie lächerlich.

Doch Booth trötet ins gleiche Horn wie sein Held von der traurigen Gestalt und vermittelt ein kitschiges Italienbild, in dem sich Kunst und Kirche, Madonnen und ehrbare Huren treffen. Viel mehr verbirgt sich nicht hinter all den ausschweifenden Worten und beschreibenden Gesten.

Lediglich ein bisschen: zwischen all dem oberflächlichen Tand gibt es ein, zwei, drei kluge Betrachtungen, Gespräche und Gedankengänge. Hauptsächlich wenn es um die geschichtliche Rolle der Kirche geht. Don Benedettos und Farfallas Zwiegespräche über Erlösung, Hölle und die Liebe sorgen für kurze Nachdenklichkeit, bevor man sich wieder wichtigeren Dingen zuwendet.

Mit Farfallas Rückbesinnung auf seine kurze Zeit in Schweden gibt es immerhin eine nachdrückliche Episode, die mehr über seine Lust und sein Leid aussagt, als die restlichen 380 Seiten des Romans. Hier stimmen Beschreibung und Beschriebenes, Handlung und Idee in konzentrierter und ergreifender Form erst- und einmalig überein.

Der Rest ist die langweilige Tragödie eines lächerlichen Mannes. Getarnt als Suche nach der verlorenen Zeit, gesehen durch die Augen eines selbstmitleidigen Snobs voll weinerlicher Sentimentalität und leer an durchdringendem Intellekt. Lauwarme Kost für die nächste Italienische Reise. Aber bitte ohne mich.

The American

Martin Booth, Rowohlt

The American

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