Ein bitterkalter Nachmittag

  • Luchterhand
  • Erschienen: Januar 2010
  • 4
  • London: Scribner, 2003, Titel: 'Schopenhauer´s Telescope', Seiten: 306, Originalsprache
  • München: Luchterhand, 2010, Übersetzt: Thomas Gunkel
Ein bitterkalter Nachmittag
Ein bitterkalter Nachmittag
Wertung wird geladen
Wolfgang Franßen
35°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2010

Die Bürde der Tiefsinnigkeit

Wer sich Mord und Totschlag von diesem Roman verspricht, wird enttäuscht werden. Dies ist alles schon geschehen. In seinem Erstling widmet sich Gerard Donovan ausgiebig der Suche nach Schuld und Gerechtigkeit und entwickelt ein eisiges Kammerspiel um Verrat und Überleben. Auf den Winter versteht sich der Autor. Schon im Vorgänger Winter in Maine war der eigentliche Held der Geschichte die Natur, in der sich die Menschen eine Schlacht lieferten. Gerard Donovans nun auf deutsch erschienener Erstling landete auf der Longlist des Man Booker Prize 2003. Wer sich mit dem höchsten britischen Literaturpreis auskennt, weiß, dass dort zumeist keine Mainstream-Krimis landen, sich höchstens ein feiner kriminalistischer Plot mit literarischem Anspruch hin verirrt.

 

Was würden Sie tun, wenn sie sich entscheiden müssten, entweder ihre Freunde zu verraten oder zu sterben?

 

Diese Frage stellt der Autor seinen Lesern im Anhang. Sie hat ungefähr die alles entscheidende Bedeutung der früheren Gewissensprüfung bei den Wehrdienstverweigern, wenn der Vorsitzende fragte: "Was machen Sie, wenn ein Russe mit einer Kalaschnikow aus dem Gebüsch springt und ihre Familie niedermetzeln will."

Bei Donovan kommen ein Bäcker und ein Lehrer zu Wort. Es bedarf allerlei Verrenkungen, um den Bäcker literarisch und philosophisch so auszustatten, dass er sich ganz im Sinn Platons auf einen Dialog einlässt, um sich der Wahrheit zu widmen. Der Bäcker schaufelt ein Loch. Es sieht lange Zeit so aus, als hebe er sein eigenes Grab aus. Wenn schon nicht für sich, dann für die auf Lastwagen herbeigeschafften Menschen. Es herrscht Krieg in Donovans winterlicher Landschaft. Die schwarzen Soldaten haben den grünen Soldaten Platz gemacht. Die karge Winterlandschaft passt zu diesem Ambiente. Sie bietet keine Ausflüchte und der Autor findet in kurzen Zwischenkapiteln die treffende Sprache für die Bedrohung, der man sich aussetzt, begibt man sich erst mal in die Kälte hinaus.

Diese Passagen und die eingestreute Erzählung, bei der ein Bäcker mit Hilfe von Sunzis Die Kunst des Krieges die Schlacht gegen eine Kundin gewinnt, die nicht anderes im Sinn hat, als seinen Laden zu betreten und seine Kuchen zu begrapschen, zeigen das erzählerische Vermögen des Autors. Der Rest der Geschichte zerfällt leider in Einzelteile und kann allenfalls als Thesenroman durchgehen. Bei der Verbrechen an der Menschheit begangen werden, wie sie der belgische König Leopold im Kongo verübt hat, um Kautschuk zu gewinnen, oder wenn Backöfen dazu errichtet werden, um Leichen zu verbrennen. Eine mit viel geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen aufgeblasene Geschichte, die sich mit Hilfe der Philosophen dem Thema des Verrats in Zeiten des Krieges nähert.

Donovan bedient sich Platons, Lockes, Descartes, um mit deren Hilfe Gericht zu halten. Deswegen ist der deutsche Titel irreführend. Im Original lautet er treffender: Schopenhauer’s Telescope.

Zwischenzeitlich öffnet sich das Gespräch zu einem Rollenspiel, um einem Kollaborateur in ein Schuldeingeständnis zu treiben. Das wirkt bemüht, konstruiert, unglaubwürdig und ist bar der fröstelnden, kargen Poesie, die Donovan in Winter in Maine auszeichnete. In seinen Gedanken zum Schluss beschreibt der Autor, wie er allmählich für sich zum Kern der Geschichte vorgedrungen ist:

 

Am Ende fand ich den Bäcker interessanter. Die Perspektive des Mannes, der bis zu diesem Tag die Kunst des Überlebens perfektioniert hat, zog mich an: Jemand, der alles tun wird, um am Leben zu bleiben, selbst wenn das für andere den Tod bedeutet.

 

Hätte er nur davon erzählt, statt dem philosophischen Diskurs eine Plattform zu bieten, es wäre eine spannende Geschichte geworden.

Ein bitterkalter Nachmittag

Gerard Donovan, Luchterhand

Ein bitterkalter Nachmittag

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Ein bitterkalter Nachmittag«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren