Das Karpaten-Projekt

  • Grafit
  • Erschienen: Januar 2010
  • 1
  • Dortmund: Grafit, 2010, Seiten: 258, Originalsprache
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Andreas Kurth
95°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2010

Auf den Punkt wie ein guter Zeitungsartikel

Hannes Schreiber, Reporter beim Hamburger "Magazin" und passionierter Waidmann, bekommt mal wieder einen speziellen Auftrag. Beim Sommerfest in der Berliner Außenstelle stellen die Kanzler-Kandidatin einer großen Partei und ihre Freundin Diana Steinkamp dem Chefredakteur ein Bären-Projekt in den Karpaten vor. Die junge Erbin eines Schuh-Herstellers – es wird auch in Rumänien produziert – unterstützt einen "Bärenflüsterer", der angeblich die gefährdeten Petze vor der Ausrottung retten will. Hannes bricht zu einer abenteuerlichen Recherche-Reise auf – und erlebt dramatische Momente. Im undurchdringlichen Wald wird er gemeinsam mit dem "Bärenflüsterer" überfallen. Und am nächsten Morgen wird der Forstamtsleiter tot aufgefunden - und Teddy gerät unter Mordverdacht. Schreiber nimmt notgedrungen eigene Ermittlungen auf, um nicht ebenfalls in den Fokus der Polizei zu geraten - und gerät zwischen die Fronten.

Wer Schreiber und der Wolf mit Vergnügen gelesen hat, wird beim neuen Roman von Werner Schmitz feststellen, dass dieser Autor durchaus noch steigerungsfähig ist. Das neue Buch ist gespickt mit offener oder auch unterschwelliger Gesellschaftskritik, und die zahlreichen Anspielungen sind ein echter Genuss – nicht nur für politisch interessierte Leser. Im Roman wird kein konkretes Datum genannt, aber wer mit der Kanzler-Kandidatin gemeint ist, dürfte eindeutig sein – es hat in Deutschland ja bisher nur eine gegeben. Und die hat halt ihre Netzwerke, sogar in der Schuhindustrie. Werner Schmitz kommt wie seine Romanfigur Schreiber aus Bochum, und so wird schnell klar, wen er als Vorbild für den Schuh-Fabrikanten und seine Tochter mit dem erfolglosen Öko-Label vor Augen hatte. Schließlich gibt es im Bochumer Stadtteil Wattenscheid einen Textil-Fabrikanten, dessen Tochter mit einer nicht allzu erfolgreichen Produkt-Linie aus Naturstoffen auf den Markt gegangen ist.

Die Verbrüderung des Reporters mit Steinkamp Senior im Trophäen-Zimmer des Firmen-Patriarchen bei Malt-Whisky und Jagderinnerungen ist ein echtes Glanzstück. Der Alt-68er und der Kapitalist finden einen guten Draht zueinander – und der Abend endet mit dem Brüderschaft-Trinken auf Ruhrpott-Art und einer Jagdeinladung für Hannes. Und neben den entscheidenden Informationen zum Projekt der Fabrikanten-Tochter in den Karpaten bringt der Abend mit der Verabredung zur gemeinsamen Bären-Jagd ein wichtiges Puzzle-Teil für den weiteren Verlauf der Geschichte – mehr wird aus dramaturgischen Gründen nicht verraten.

Die ausgeprägte Selbstironie des Autoren ist übrigens bemerkenswert. Er macht sich über etliche Gepflogenheiten aus seiner Heimat lustig, und auch die Waidmannszunft bekommt hier und da kräftig ihr Fett ab. Werner Schmitz macht jedenfalls mehrfach deutlich, was er unter ordnungsgemäßer Jagd versteht - und was für ihn kommerziell motiviertes Abknallen ist. Richtig klasse ist Schreibers Gespräch mit seinem alten Kumpel aus den Bochumer 68er-Zeiten. Wer Karsten Voigt kennt, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion während der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder, kann sich die Figur im Buch bestens vorstellen. Und das "Geätze" zwischen dem Ex-DKP-Mitglied und dem einstmals linken Jungsozialisten amüsiert außerordentlich. Jedes Wort sitzt – Unterhaltung im besten Sinne. Der Leser lernt in dem Buch ganz nebenbei auch einiges über die gesellschaftlichen Verhältnisse im post-sozialistischen Rumänien. Während es in den kommunistischen Diktaturen Mittel- und Osteuropas üblich war, dass Parteikader unbestrittene Vorrechte bei der Jagd hatten, werden mittlerweile Bären-Abschüsse an zahlungskräftige Ausländer verkauft. Bewirtschaftung des Bestandes wird das dann verharmlosend genannt – eine Terminologie, die auch aus Deutschland wohlbekannt ist. Der Verkauf von Abschuss-Genehmigungen an Trophäen-Jäger ist leider auf der ganzen Welt verbreitet, und wird auch in deutschen Forsten praktiziert.

"Bärenflüsterer" Teddy wird im Roman als der Prototyp des anarchistischen Tierschützers dargestellt. Mit Diesel-Kraftstoff vergällt er die Pellet-Fütterungen, an denen die durchaus zahlreich vorhandenen Bären von der weit angereisten Kundschaft hingerichtet werden – von waidgerechter Jagd kann da kaum die Rede sein. Die Front zwischen den korrupten Förstern und ihren Unterstützern auf der einen und dem Öko-Waldläufer auf der anderen Seite ist überaus glaubwürdig und nachvollziehbar dargestellt. Zur traurigen Rolle von Diana Steinkamp wird hier nichts verraten, nur soviel: es ist mehr als bizarr. Das fulminante und blutige Finale birgt dann noch so einige Überraschungen und ein offenes Ende.

Als Journalist wundere ich mich überhaupt nicht darüber, dass ein Kollege derart gute Bücher schreiben kann. Offensichtlich akribisch recherchiert, nachvollziehbare Zusammenhänge herstellend, voller hintergründiger Anspielungen, mit witzigen und geschliffenen Dialogen. Sparsam und knapp formuliert, auf überflüssige Formulierungen und ausschweifende Beschreibungen verzichtend – auf den Punkt wie ein guter Zeitungsartikel. Verwunderung ist es also nicht, eher Bewunderung, die ich empfinde. In Hannes Schreiber, der als Journalist mit Berufsethos und passionierter Jäger dargestellt wird, steckt sicherlich ein gutes Stück seines Erfinders, der sich schon vor langer Zeit mit seinen Kriminalromanen mit gesellschaftskritischem Anklang einen guten Namen bei den Lesern gemacht hat. Und so bleibt neben dem Lob für die gute Arbeit zu hoffen, dass Werner Schmitz nach dem Ende seines Berufslebens als Reporter mehr Zeit finden wird zum Schreiben, damit die Leserschaft noch einige seiner brillanten Romane genießen kann. Denn deutsche Krimis, die nicht nur perfekt unterhalten, sondern auch den Intellekt angemessen beschäftigen, gibt es selten genug.

Das Karpaten-Projekt

Werner Schmitz, Grafit

Das Karpaten-Projekt

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