Cruel - Eiskaltes Grauen

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2007
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  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2007, Seiten: 314, Übersetzt: Anja Schünemann
Cruel - Eiskaltes Grauen
Cruel - Eiskaltes Grauen
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Michael Drewniok
55°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2010

Mutter ist die beste - Mörderin!

Seit zwanzig Jahren versucht Hannah Griffin das grausame Ende ihrer Kindheit zu vergessen. Auf einer Farm im US-Staat Oregon wuchsen sie und ihre Zwillingsbrüder bei einer psychopathischen Mutter auf, die schließlich in einer kalten Winternacht ihren Kindern das Dach über dem Kopf anzündete. Während die Brüder sowie ihre Mutter im Feuer umkamen, konnte Hannah entkommen. Bei einer Besichtigung der Brandstätte stieß die Polizei auf ein Grab. Es blieb nicht das einzige, und immer lag die Leiche eines in Uniform gekleideten, älteren Mannes darin: Claire Logan hatte als Massenmörderin genaue Vorstellungen von ihrem Opfer.

 Schon damals waren sowohl Hannah als auch Jeff Bauer, der als FBI-Beamter den Fall bearbeitete, davon überzeugt, dass die in der Ruine des Farmhauses gefundene Frauenleiche nicht die von Claire Logan war. Sie ist entkommen und verfolgt als vage Schreckgestalt ihre Tochter, die sich nie von den halb verdrängten Erinnerungen an Gräueltaten lösen konnte, deren Zeugin sie als Kind wurde.

 Inzwischen ist Hannah verheiratet und selbst Mutter einer achtjährigen Tochter. Sie arbeitet als Ermittlerin für das Bezirksgericht des Santa Louisa County nahe Los Angeles in Kalifornien. Der zwanzigste Jahrestag des Brandes naht, als Hannah anonym ein Paket mit den angesengten Kinderschuhen ihrer Brüder zugeschickt wird. Töchterlein Amber berichtet von einer unbekannten Frau, die Grüße von der Großmutter ausgerichtet hat.

 Ist Claire zurückgekehrt, will sie vollenden, was ihr einst nicht gelang? Zusammen mit Agent Bauer kehrt Hannah nach Oregon zurück. Die Odyssee führt zu einem drastisch veränderten Bild der damaligen Ereignisse, und das beschwört Gefahren herauf, mit denen weder Hannah noch Bauer rechnen konnten …

 Viele Leichen, wenig Gewalt

 Sogar der Unterhaltungs-Thriller der B-Kategorie hält sich mit Frauen in der Serienkiller-Rolle zurück; diese unschöne Variante des Kapitalverbrechens scheint auch im Zeitalter der Emanzipation buchstäblich in männlichen Händen zu liegen. Andererseits gibt es mordende Frauen. Gregg Olsen, Autor zahlreicher "True-Crime"-Bücher, hat sogar mit einigen gesprochen, denn die Dynamik zwischen Müttern und Töchtern, die entweder kriminell wurden oder das Opfer krimineller Aktivitäten wurden, sind so etwas wie seine Spezialität. (Mit der Figur der Autorin Marcella Hoffman hat Olsen – Kritikern lieber selbst den Wind aus den Segeln nehmend – seiner Zunft ein selbstironisches Denkmal gesetzt, das sämtliche Unarten des "True-Crime"-Genres verkörpert.)

 Auch sonst versteht er sichtlich etwas von der Materie. Sein Hintergrundwissen ist breit gefächert und deckt nicht nur die polizeiliche Ermittlungsarbeit ab, sondern widmet sich ebenso intensiv dem menschlichen Drama, das ein Verbrechen des hier beschriebenen Kalibers auslöst, von dem nicht nur die Mordopfer, sondern auch deren Familien und Freunde sowie – das wird oft vergessen – die Angehörigen des Täters betroffen werden.

 Die Gewaltorgien der Mörder-Lady breitet Olsen nicht so liebevoll vor seinen Lesern aus, wie es im Killer-Thriller 2.0 viel zu üblich geworden ist. Er ´beschränkt´ sich auf die Schilderung der Folgen, die sich aus den Untaten ergeben. Dieses Verb steht hier in Anführungsstrichen, weil sich Olsen zumindest in dieser Hinsicht keine Zügel anlegt. Die Exhumierung einer seit Jahren unter der Erde gelegenen Säuglingsleiche ist auch ohne Blut und Schreie reichlich starker Tobak (sowie für das eigentliche Geschehen völlig unerheblich).

 Viel Dramatik, wenig Spannung

 Was Olsen nicht gelingt, ist die Verknüpfung von Information und Handlung. Schon die Erzählstruktur wirkt unnötig sperrig: Die Geschichte startet, dann springt sie weit in die Vergangenheit zurück und unterbricht den ersten Spannungsbogen, der mühsam neu aufgerichtet werden muss, während wir uns dem Ausgangspunkt – der Gegenwart – allmählich wieder nähern. Auch sonst verwechselt Olsen beim Spannungsaufbau oft Cliffhanger und Abrisskante oder zerdehnt und verkompliziert Abläufe, die von den eigentlichen Ereignissen wegführen.

 Das Schüren von Spannung wird durch Handlungsroutinen erschwert, die jeder halbwegs eifrige Genre-Leser im Geiste abhaken kann: Zwischen dem FBI, der örtlichen Polizei und der Justiz gibt es Kompetenzrangeleien, die Presse hechelt rücksichtsfrei allen Betroffenen hinterher, und natürlich haben die Hauptfiguren auch ein Privatleben, das ausführlich vor den Lesern ausgebreitet wird, ob diese das wünschen oder nicht.

 Eher nicht, wenn sich der Autor mit der Reihung von Klischees begnügt. Vor allem Hannah ist eine Art Schwarzes Loch, das Pech und Kummer erbarmungslos in seinen Ereignishorizont reißt. Ihre Jugend als Tochter einer psychopathischen Mutter äußert sich in ständigen Albträumen und Visionen, die Fetzen der verkorksten und im Wachzustand verdrängten Vergangenheit hochkommen lassen – kein Konzept, das Überraschungen bietet.

 Um die Schrecken von Gestern möglichst drastisch mit dem Heute kontrastieren zu lassen, stellt Olsen der trotz aller Schicksalsschläge beruflich idealistisch und privat herzensgut gebliebenen (und selbstverständlich bildhübschen) Hannah eine Bilderbuch-Familie mit frauenverstehendem Gatten und offensiv niedlichen Töchterchen zur Seite, das Olsen freilich – es spricht für ihn – nicht als Spannungsreserve für das Finale dient.

 Wie im richtigen Leben

 Ohnehin nimmt das Geschehen im letzten Drittel einen völlig unerwarteten Verlauf. Was zunächst positiv klingt, relativiert angesichts der Tatsache, dass Olsen diesen Umschwung quasi aus dem Nichts heraufbeschwört. Die bis zu diesem Zeitpunkt eingefädelten Rätsel werden zwar sämtlich aufgelöst, doch wenn dies geschieht, haben sie sich längst selbst erledigt. (Was wohl auch besser ist, da sich Logik und Originalität dabei nur am fernen Horizont zeigen.)

 Der abrupte Bruch erfolgt zeitgleich mit einem gewaltigen geografischen Sprung: Plötzlich finden wir sämtliche Hauptfiguren auf der pazifischen Kodiak-Insel vor der Südküste von Alaska. Was sie dorthin verschlägt, ist ein recht dreister Winkelzug des Verfassers, denn wiederum hat der Leser keine Chance, diesen Wechsel nachzuvollziehen. Die Erkenntnis, dass sich die böse Claire in Polarnähe versteckt, reizt das Prinzip Zufall nicht nur, sondern beult seine Grenzen bedenklich aus.

 Schade eigentlich, denn Olsen, der das "true crime" wie gesagt kennt, konstruiert kein Bilderbuch-Happy-End mit dramatischem Todeskampf zwischen Tochter und Mutter, während die Familie hilflos, weil von Oma bzw. Schwiegermutter gefesselt, zuschauen und abwarten muss und der FBI-Held anderweitig beschäftigt ist. Nicht jeder Übeltäter wird erwischt. Diese Entscheidung gefällt und versöhnt – es sei denn, sie bereitet eine Fortsetzung vor …

 Den dummen Schlusspunkt setzt wieder einmal die deutsche Ausgabe, die dem Werk den denglischen Nullsinn-Titel "Cruel" zwischen die Hörner nagelt.

Cruel - Eiskaltes Grauen

Gregg Olsen, Rowohlt

Cruel - Eiskaltes Grauen

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