Schwarzer Tod

  • Bastei Lübbe
  • Erschienen: Januar 2000
  • 6
  • New York: Dutton, 1995, Titel: 'Black Cross', Seiten: 516, Originalsprache
  • Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 2000, Seiten: 686, Übersetzt: Wolfgang Thon
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Michael Drewniok
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2003

Starker Tobak für einen ´reinen´ Unterhaltungsroman

Europa im Kriegswinter 1944. Der Siegeszug Nazideutschlands ist an allen Fronten ins Stocken geraten. Das Reich ist angeschlagen, aber nicht besiegt - eine gefährliche Situation für die Alliierten, die intensiv mit den Vorbereitungen zur Großen Invasion beschäftigt sind. Sie soll und wird den Krieg entscheiden, das wissen alle kämpfenden Parteien. Mit Verzweiflungsaktionen des Reiches muss gerechnet werden, die das Blatt erneut wenden sollen.

Der britische Geheimdienst ist einem streng geheimen Projekt auf die Spur gekommen. Deutschen Wissenschaftlern ist es gelungen, das tödlichste Giftgas der Welt zu entwickeln - Sarin, ein Nervengas, gegen das kein Schutz bekannt ist, und mit dem Kampfgas Soman kündigt sich eine noch apokalyptischere Waffe an.

Die Briten setzen auf das Gleichgewicht des Schreckens. Hitler ist bisher vor dem Einsatz von Giftgas zurückgeschreckt. Sein Paladin Heinrich Himmler, der infame "Reichsführer SS", hat in dieser Beziehung allerdings keine Skrupel. An abgeschiedenen, streng geheimen Stätten in Deutschland arbeiten "seine" Wissenschaftler fieberhaft an der Entwicklung neuartiger Giftgase. Mit Sarin und Soman möchte Himmler seinen "Führer" im Rahmen einer praktischen Vorführung "überraschen"; er ist fest davon überzeugt, Hitler auf diese Weise zum Kampfeinsatz des Gases überreden zu können.

Kriegsminister Winston Churchill glaubt dies ebenfalls. Die Ächtung chemischer Waffen nach dem I. Weltkrieg führte dazu, dass die Forschungen auf diesem Gebiet nur noch halbherzig betrieben wurden. Nun verfügen weder die Briten noch die Amerikaner oder ihre Verbündeten über ein ähnlich wirkungsvolles Gas. Doch genau das will man die Deutschen glauben machen. General Duff Smith von der "Special Operations Executive" hat einen ebenso genialen wie wahnwitzigen und menschenverachtenden Plan entworfen. Ein kleines Spezialkommando soll Kanister mit dem neuesten britischen Kampfgas ins Konzentrationslager Totenhausen nahe Rostock in Mecklenburg schaffen und dort zünden. Wachmannschaft wie Gefangene würden umkommen und dem Naziregime drastisch vor Augen führen, dass auch die Alliierten über ein einsatzbereites Kampfgas verfügen, mit dem sie sich jederzeit für Gasangriffe von deutscher Seite revanchieren könnten.

Duff Smith betraut zwei auf den ersten Blick völlig ungeeignete Männer mit diesem diabolischen Auftrag. Mark McConnell ist ein amerikanischer Arzt und Chemiker und bekennender Pazifist, der in Oxford neue Methoden zum Schutz gegen chemische Waffen entwickelt. Der Jude Jonas Stern hat als zionistischer Partisan in Palästina gegen die britische Oberherrschaft und für einen eigenen jüdischen Staat gekämpft. Nun will er seinen Teil dazu beitragen, dem millionenfachen Völkermord durch die Nazis ein Ende zu setzen - und sei der Preis die Vernichtung eines Konzentrationslagers, in dem hauptsächlich Juden einsitzen!

Niemand spielt mit offenen Karten in diesem schmutzigen Spiel. McConnell, der vor Ort die Labors der Nazi-Chemiker untersuchen soll, ahnt nichts vom wahren Ziel der Mission. Aber auch Stern wird betrogen - vom undurchsichtigen Duff Smith, der längst Maßnahmen getroffen hat, seine nichtsahnenden Agenten spurlos verschwinden zu lassen, sollten sie scheitern ...

Dies ist nur in ganz groben Zügen die Geschichte, die Greg Iles in "Schwarzer Tod" erzählt. Bei einem Roman von annähernd 700 Seiten ist es schwer, den Inhalt knapp und doch angemessen zu umreißen. Ganze Handlungsstränge müssen hier unerwähnt bleiben. Vermerkt sei weiterhin, dass es außer McConnell und Stern noch eine ganze Reihe weiterer Hauptfiguren gibt.

Es ist aber aus einem anderen Grund besonders schwierig, ein Buch wie "Schwarzer Tod" zu besprechen. Ganz objektiv betrachtet haben wir es hier mit einem historischen Thriller zu tun, der beschreibt, wie eine kleine Gruppe wackerer Helden es mit einem übermächtigen Feind aufnimmt und wider alle Gesetze der Wahrscheinlichkeit siegreich bleibt. Das Schema ist bekannt und bewährt, und es funktioniert auch hier zufriedenstellend.

Doch manchmal ist die Form wichtiger als der Inhalt: Iles läßt seine Geschichte über weite Strecken in einem Konzentrationslager der Nazis spielen, das gleichzeitig eine medizinische Experimentalstation ist, in der unbeschreibliche Menschenversuche durchgeführt werden. Damit begibt er sich auf gefährlich dünnes Eis. Das weiß er auch; "Schwarzer Tod" ist eben doch keine simple Abenteuergeschichte bzw. möchte keine sein. Iles greift gleich eine ganze Reihe unbequemer Themen auf: Wie definiert man "richtig" und "falsch", "gut" und "böse" in einer Ausnahmesituation, wie sie ein Weltkrieg darstellt? Läßt sich die Welt in "schwarz" und "weiß" einteilen, oder ist sie nicht eher "grau" in allen Schattierungen? Ist es moralisch vertretbar, einen (oder hundert oder tausend) Menschen zu töten, um zehntausend (oder hunderttausend oder eine Million) andere zu retten? Über diese und zahllose weitere, ebenso brennende Fragen haben sich seit dem Ende des II. Weltkriegs viele, wirklich sehr viele kluge Geister ihre Köpfe zerbrochen. Restlos zufriedenstellende Antworten konnten sie nicht finden; es gibt sie womöglich gar nicht. Greg Iles ist jedoch ein Geschichtenerzähler, kein Historiker, Philosoph oder Soziologe. Er versucht das eigentlich Unmögliche: die Balance zu halten zwischen Unterhaltung und Anspruch. Das gelingt ihm nicht immer und kann ihm auch gar nicht gelingen; dafür ist der Stoff einfach zu heikel. Über den "Alltag" in einem nazideutschen KZ und die Widernatürlichkeit von "Medizinern", die Menschen umbringen, statt sie zu heilen, hat Iles sich sichtlich informiert. Seine Darstellung verläßt trotz aller Drastik den Boden der Tatsachen nicht und bleibt in der Regel zurückhaltend. Die Fakten sprechen weiß Gott für sich selbst. Das Unbehagen während der Lektüre aber bleibt.

Mängel stechen unter solchen Umständen natürlich um so deutlicher hervor. Iles kann sich nicht vollständig von alten Klischees lösen. Es gibt "gute schlechte Nazis" (das sind immer die, die auf dem Schlachtfeld, dem "Feld der Ehre" eben, soldatische Tugenden bewiesen haben), "schlechte Nazis" (grausam, aber dumm und dem Schnaps ergeben - dieses Wort muss für Briten und Amerikaner etwas Magisches an sich haben; "deutsch" und "Schnaps" - nicht "Sauerkraut" - sind für sie seit jeher praktisch Synonyme) und "böse Nazis" (schneidige, penibel auf ihr Äußeres bedachte, keiner menschlichen Regung, aber jeglicher Teufelei fähige SS-Offiziere jenseits der Grenze zur Karikatur). Selbstverständlich fehlt nicht die obligatorische Episode im britischen Ausbildungslager, die zu allerlei lustig-rauen Soldatenscherzen Anlaß gibt, und die Beischlaf-Szene am Vorabend des großen Finales, die hier indes so aufgesetzt wirkt, dass man sich fragt, ob Iles gezwungen wurde, sie nachträglich (und mit Blick auf eine mögliche Verfilmung) einzuflicken.

Manchmal übertreibt es der Autor auch einfach. Damit ist nicht die bei aller inneren Logik hanebüchene Handlung gemeint, die man einfach akzeptieren muss, denn sonst kann man sich die Lektüre schenken. Nein, es sind wiederum eher Details, die stören. Doktor Klaus Brandt darf nicht "nur" KZ-Kommandant und Menschenleben verachtender "Forscher" sein; nein, er ist auch noch Päderast und fängt sich kleine Kinder aus dem Lager; Sturmbannführer Schörner, der "gute schlechte Nazi", hat in England studiert und sich gewiß hauptsächlich deshalb einige menschliche Züge bewahren können; Anna Kaas, die deutsche Agentin der Briten in Totenhausen, hat eine Super-Nazisse wie aus dem Bilderbuch als Schwester.

Die Liste ließe sich leicht fortsetzen. Auf der anderen Seite muss man Iles zugestehen, dass er als Nichtdeutscher vergleichsweise unbelastet an seine Geschichte herangehen konnte. Tatsächlich gibt es eine lange Tradition angelsächsischer Spionage- und Militärthriller, für die der Krieg und seine Schauplätze wenig mehr als ein riesiger Abenteuerspielplatz für kernige Insel-Helden gegen finstere Operetten-Nazis darstellt. Immerhin: Iles hat die Zeichen einer sich gewandelten Zeit erkannt. "Sein" Krieg ist schmutzig - und zwar auf allen Seiten. Dabei erschöpft sich seine Kritik nicht in Phrasen wie "Krieg ist die Hölle und läßt selbst Engel zu Teufeln werden", sondern spricht auch übergreifende, sehr unbequeme Wahrheiten an. Winston Churchill ist bei Iles ein mutiger und entschlossener Staatsmann, aber gleichzeitig ein eitler, machtgieriger, pompöser und vor allem eiskalter Charakter, der Männer ohne zu zögern in den Tod schickt, wenn er es für notwendig hält. Beim Thema Gaskrieg macht Iles die ambivalente Haltung der Alliierten deutlich; nicht humanitäre, sondern primär technische Gründe verhinderten den Einsatz chemischer Waffen z. B. während der Invasion 1944. Schließlich läßt Iles auch keinen Zweifel daran, dass die führenden Köpfe des Kampfes gegen Nazideutschland von den Gräueln der Massenvernichtungslager durchaus wussten und doch nichts unternahmen: Niemand wolle die Juden, selbst wenn Hitler sie gehen ließe, spricht General Duff Smith es aus. Starker Tobak für einen "reinen" Unterhaltungsroman - und vor wenigen Jahren noch ein Tabuthema!

So bleibt es letztlich mehr als sonst dem Leser überlassen, ob er sich auf "Schwarzer Tod", diese seltsame Mischung aus Kriegsgeschichte, Medizinthriller, Melodrama und "Retro-Science Fiction", einlassen möchte. Möchte man sich nicht selbstständig ein Bild bilden, kann man sich natürlich auf das Urteil der politisch Korrekten stützen, denen Greg Iles aufwändiges Monumentaldrama ein Dorn im Auge sein dürfte. Wie gesagt: Es gibt gute Gründe gegen diesen Roman, aber er ist auf seine Weise auch ein interessanter Indikator. Iles beschreibt in "Schwarzer Tod" die uralte Methode, mit der vor allem Bergleute früher ihre Stollen auf das Vorhandensein giftiger Gase prüften: Sie trugen einen Käfig mit einem Kanarienvogel mit sich. Sobald dieser von seiner Stange fiel, wussten sie, was die Stunde geschlagen hatte. "Schwarzer Tod" ist so etwas wie ein Indikator für den Leser und seine (oder ihre) Haltung zu den weiter oben skizzierten Fragen zum und über den bis heute nachwirkenden Zweiten Weltkrieg.

Schwarzer Tod

Greg Iles, Bastei Lübbe

Schwarzer Tod

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