Ouvertüre um Mitternacht

  • Erschienen: Januar 2000
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Frank Machianno ist ein rüstiger, 62 Jahre alter Surferboy, den alle Leuten in San Diego als den netten Mann vom Angelladen kennen. Machianno beliefert außerdem die Restaurants mit frischem Fisch und hat einen Reinigungsdienst. Seine Tage hat er streng durchgeplant und er tut alles, um seine verbitterte Frau Patty finanziell zu unterstützen, seiner geliebten Tochter Jill das Studium zu finanzieren und seine Freundin Donna hin und wieder stilvoll ausführen zu können. Sein Leben verläuft in geregelten Bahnen.

Doch das war nicht immer so und soll auch nicht mehr lange so bleiben. Denn Frank Machianno ist Frankie Machine, der wohl gefürchtetste, kaltblütigste und professionellste Killer der italienischen Mafia im gesamten Westen der USA. Und als der Sohn eines Mafiabosses aus L.A. eine alte Schuld einfordert, rennt Frankie blindlings in eine Falle. Da er jedoch auch mit 62 noch nichts an Professionalität eingebüßt hat, kann er seinen Hals noch einmal im wahrsten Sinne des Wortes aus der Schlinge ziehen und seine vermeintlichen Mörder selber über den Jordan bringen. Den einen kennt er sogar, Vince Vena, gerade ins Präsidium der Mafia von Detroit aufgestiegen. Deshalb weiß Frankie, dass für ihn die Jagd gerade erst begonnen hat, denn Detroit wird mindestens auf Rache sinnen – oder gibt einen Grund, weswegen Detroit Frankie nun töten muss, irgendeine alte Geschichte, über die Frankie zu viel weiß?

Who the fuck is Winslow?

Es ist schwierig, näheres über den Autor Don Winslow zu erfahren. Sein Verlag Suhrkamp beschreibt ihn als ehemaligen Privatdetektiv in New York und Safariführer in Kenia, der nun als Autor in Südkalifornien lebt und arbeitet. Auf seiner Homepage, die zudem nicht den Anspruch erheben kann, sonderlich aktuell oder regelmäßig mit Inhalten bestückt zu werden (der letzte Eintrag ist über ein Jahr alt vom September 2008) steht auch nicht viel mehr. Also gut, konzentrieren wir uns auf das Wesentliche: den Inhalt.

Frankie ist also auf der Flucht und überlegt, wer ihm an den Kragen will. Er geht seine gesamte Karriere als Berufskiller durch, gekennzeichnet von Genauigkeit, Effizienz, aber auch Ehre, Anstand, und Freundschaftsdiensten. Wann hat er es sich mit wem verscherzt? Sind seine Freunde wirklich noch seine Freunde, oder kennen sie zumindest noch die Bedeutung des Wortes Freundschaft? Frankie geht zum Gegenangriff über und bringt nach und nach Licht ins Dunkel.

Frankie Machine ist ein wahnsinnig fesselnder Thriller, voller Tempo, Action und Überraschungen. Kein Wunder, dass die Verfilmung bald in die Kinos kommt. Für die Qualität des Romans spricht die Hauptrolle: Robert de Niro als Frankie. Das passt. Nur einer hätte es noch authentischer spielen können, nämlich Frank Sinatra. Aber von dem und seiner Rolle in The Mann with the Golden Arm (1955) hat Frank Machianno schließlich schon seinen Spitznamen.

In der neuen Krimireihe von Suhrkamp ist Frankie Machine bereits der zweite Roman von Winslow, der eine deutsche Übersetzung erhalten hat. Ein Hochkaräter, der durchaus das Zeug hat, zum Zugpferd für die gesamte Edition zu werden.

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Thomas Kürten
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2009

Ein Blick zurück mit dem Wissen der Geschichte

Gerald Kersh starb vor über 40 Jahren, 1968. Der Roman Ouvertüre um Mitternacht entstand etwas mehr als 20 Jahre vor seinem Tod, auf dem Gipfel seiner Schaffenskraft. Kersh war zu dieser Zeit bereits ein reicher Mann, mit Mitte 30 ein Bestsellerautor. Doch die 20 Jahre, die ihm noch zu leben blieben, sollten ausreichen, um ihn vollkommen verarmt sterben zu sehen.

Mit diesem Wissen über den Autor könnte man heute den Eindruck gewinnen, Kersh nähme mit seinen Romanen das eigene Schicksal mehrfach vorweg. Seine Geschichten sind randvoll geladen mit irgendwie gescheiterten und gestrandeten Existenzen. Jede davon hat irgendeine Nische gefunden, in der sie das Leben ertragen kann. Und aus dem Zusammenspiel ergeben sich die Spannungen, die für die besondere Würze sorgen und seine Romane lesenswert machen.

So auch Ouvertüre um Mitternacht. Man merkt dem Roman zwar schon allein durch seinen Aufbau an, dass er nicht mehr als zeitgenössisch herhalten kann. Doch gerade dieser Aufbau und die Genialität, mit der Kersh seine Leser mit auf eine Zeitreise nimmt in das London zwei Jahre vor und zwei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, machen diesen Roman gerade heute besonders lesenswert.

Zehn Jahre – doch die Welt ist eine andere

Kersh beginnt seine Erzählung um die Gäste der Bacchus Bar im Jahr 1947 und macht gleich klar, wie sehr sich die Dinge geändert haben:

"Kaum jemand von der alten Truppe geht noch in die Bacchus Bar, wenngleich sie fünfundzwanzig Jahre lang einer der drei beliebtesten Treffpunkte Londons war."

Nur noch Catchy Dory besucht den Laden regelmäßig, eine seelisch labile Frau, die in den letzten zehn Jahren ihre Attraktivität verloren hat. Kersh stellt sie uns vor, so wie sie damals - 1937 - war und so wie sie nun ist.

Und dann nimmt Kersh uns mit in ihr Zimmer, dass sie seit einiger Zeit nicht mehr zahlen kann und stellt uns ihre Vermieterin, die Witwe Sabatani, vor. Sie verlor vor zehn Jahren ihre neunjährige Tochter, die von einem Triebtäter umgebracht wurde, und kurz später ihren Mann, der den Kummer nicht ertragen konnte. Und weil Catchy damals so um die beiden trauerte, bringt sie es nicht übers Herz der säumigen Mieterin zu kündigen. Stattdessen unterhalten sich die beiden regelmäßig und da kommt ihr Gespräch auf Asta Thundersley. Asta? Wer ist das? Nun, Kersh wird es uns sogleich erzählen, von ihrer Extrovertiertheit, ihren Freunden und dem, was sie damals getan hat. Als die kleine Sonia Sabatani ermordet wurde.

Denn Asta war es nicht genug, was die Polizei damals in Sachen Verbrechensbekämpfung unternahm. Ihr war klar, dass der Täter aus dem Kreis der Stammgäste der Bacchus Bar kommen musste. Deshalb veranstaltete sie eine Party in der Hoffnung, dort den Mörder zum reden zu bringen.

Was damals für Gänsehaut sorgte

Nachdem uns der Autor alle möglichen, schrägen Typen vorgestellt hat, wechselt die Perspektive auf einmal zum Mörder, der von ihm zunächst noch nicht enttarnt wird. Er ist zunächst einmal einfach "der Mörder". Bis hierhin hat man beinahe gar nicht gemerkt, wie elegant der Autor mehrfach in der Zeit hin und her gesprungen ist. Aber plötzlich ist diese Spannung da, die damals den Lesern den Atem raubte. Selbst heute noch ist es verblüffend, wie einfach und doch meisterhaft der Autor hier für Nervenkitzel sorgt. Immer wieder lesen wir die kranken Gedanken des Mörders, der sich teilweise zum Führer und "Heilsbringer" berufen fühlt, um dann aus Perspektive von Asta wieder alle möglichen Gäste reden zu hören. Wer könnte der Täter sein? Selbst in dem Moment, wo er beinahe seine Tarnung auffliegen lässt, schnürt es einem vor Spannung die Kehle zu.

Ouvertüre um Mitternacht ist brillant und ideenreich. Bis zum Ende ist diese Mischung aus Gesellschaftsstudie und Psychothriller ein Pageturner, der sich auch nach 60 Jahren nicht verstecken braucht. Um so schwerer fällt es sich vorzustellen, das ein so grandioser Autor noch so tief abstürzen kann wie Kersh. Und das macht seine Beschreibung der Looser in den Bars von London umso interessanter, da man die Figuren so deuten könnte, dass Kersh sein eigenes Schicksal damit vorwegnahm.

Ouvertüre um Mitternacht

Gerald Kersh,

Ouvertüre um Mitternacht

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