Winter in Maine

  • Luchterhand
  • Erschienen: Januar 2009
  • 28
  • Woodstock, NY: Overlook Press, 2006, Titel: 'Julius Winsome', Seiten: 224, Originalsprache
  • München: Luchterhand, 2009, Seiten: 206, Übersetzt: Thomas Gunkel
Winter in Maine
Winter in Maine
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Jochen König
91°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2009

Love Will Tear Us Apart – oder die Poesie der Stille

Julius Winsome lebt alleine in einer Hütte in den Wäldern Maines. Alleine, aber nicht einsam, denn er ist umgeben von 3282 Büchern und seinem besten Freund, dem Pitbullterrier Hobbes.

Eines Tages kehrt Hobbes nicht von einem seiner kleinen Ausflüge in die menschenleere Gegend zurück. Julius, der glaubt einen Schuss in der Nähe seines Hauses gehört zu haben, begibt sich auf die Suche. Und behält leider recht: der Schuss, den er mehr in seiner Vorstellung, als in der Realität vernommen hat, hat seinen Hund tödlich verletzt. Julius Winsome begräbt seinen Gefährten und bleibt erschüttert zurück. Mit seinen Erinnerungen und seinen Büchern. Die vielleicht wichtigsten darunter werden ihn die nächsten Tage begleiten. Shakespeares gesammelte Werke, deren antiquierte und doch so innovative Sprachphantasie er in sein kommendes tägliches Leben einbaut, das aus der beharrlichen Suche nach Hobbes Mörder besteht.

Was mit verspotteten Plakataktionen beginnt, endet mit dem Tod einiger Jäger, die zu weit in Julius Revier vorgedrungen sind. Potenzielle Killer, die mit der kalten Ruhe eines wahrhaft leistungsfähigen Scharfschützen eliminiert werden. Unbeeindruckt fällt während dessen der Schnee in den Wäldern von Maine. Weihnachten ist nicht mehr weit.

Wir können es kurz machen: Winter in Maine ist großartig. Selten waren sich Feuilleton und Hobbyrezensenten so einig, wie bei Gerard Donovans knapp zweihundertseitigem Werk. Noch seltener: beide Parteien haben vollkommen Recht.

Und das bei einem Roman, der auf seinen Protagonisten (und Titelgeber des Originals) fokussiert ist, einen (leicht) verschrobenen Einzelgänger, der sich zwischen elisabethanischem Genius und einer heimeligen Abschottung von der Außenwelt scheinbar behaglich eingerichtet hat. Bis eines Tages Claire auftaucht, aus dem Nichts in seine einsame Hütte und in sein hauptsächlich aus Büchern und familiären Erinnerungen bestehendes Leben schneit, und Julius zu neuen Blickwinkeln und Erfahrungen verhilft. Sie ist es, dank der er sich Hobbes anschafft, bevor sie sich so klammheimlich aus seinem Leben schleicht, wie sie aufgetaucht ist; und Julius, selbst als er bereits zum Mörder geworden ist, das Gefühl verleiht, ein liebenswerter Mensch zu sein.

Dabei singt Gerard Donovan kein Loblied auf die Selbstjustiz. Sein Roman ist ein Buch über Verluste und die damit zusammenhängenden Ängste, vor allem der Größten: sich selbst zu verlieren. Julius Winsome hat Ankerpunkte in seinem Leben, seinen Kumpel Hobbes, die flüchtige Claire, seine Erinnerungen an Eltern und Großeltern und vor allem sein Beheimatet sein in der Welt der Bücher. Er birst über vor Wissen und Geschichten, die er hinaustragen möchte in die Welt. Doch niemand hört zu. Bis auf Claire, in jenen seltenen Momenten, in denen sie Julius gehörte, bevor sie sang- und klanglos zu ihrem Mann zurückkehrte.  Hobbes, in den Julius seine Sehnsüchte projiziert und die verschwiegenen Winterwälder Maines. Nicht zu vergessen: die sterbenden Jäger, die Julius mit seinen William Shakespeare geschuldeten Wortschöpfungen bedenkt, welche die Sterbenden verzweifelt und ratlos zurück lassen.

Winter in Maine ist ein exzellent geschriebener Roman (auch in der Übersetzung, die gerade bei Winsomes Sprachkreationen vor einigen Herausforderungen gestanden haben dürfte), in dem die Sprache fließt und sich dem Sujet anpasst, ohne selbstverliebt in den Vordergrund zu treten. Hier sitzt jedes Wort und überträgt in poetischer Gelassenheit die Geschichte eines Mannes, der eigentlich im Einklang mit sich und der Natur existiert. Bis er feststellt, das zwischen purer Existenz und bewusstem (Er)leben etwas wichtiges fehlt: das Gefühl irgendwohin und zu jemandem zu gehören; und nicht nur in einen Raum gezwängt zu sein, der zwar angefüllt ist mit Erzähltem, Gewesenem und Ausgedachtem, dem aber ein Gegenüber fehlt. Doch wo Liebe und Zusammengehörigkeit wachsen, sind auch die Schattenseiten Verlust, Hass und Tod nah. Und jene Ambivalenz lässt Julius Winsome irgendwann innehalten; in der Erkenntnis, dass gewesene Liebe eine aktuelle für jemand anderes ist, dass der Verlust eines Einzelnen nicht gleichbedeutend damit ist, dass die Welt verschwindet.

So ist jener Winter in Maine ein Neubeginn für Julius Winsome. Indem er (fast) alles verliert, findet er sich selbst. Das macht ihn nicht stärker, besser oder klüger. Es gibt ihm aber die Ruhe und die Kraft, sein eigenes Leben zu akzeptieren. Unbeeindruckt fällt der Schnee. Bedeckt die Wälder, Hütten, Leichen. Innen prasselt das Kaminfeuer. 3282 Bücher warten darauf gelebt zu werden.

Ein großartiger Roman. Auch wenn es latent absolutistisch klingt: Pflichtlektüre!

Winter in Maine

Gerard Donovan, Luchterhand

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