Gott schütze Amerika

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2009
  • 15
  • New York: William Morrow, 2007, Titel: 'Crooked Little Vein', Originalsprache
  • München: Heyne, 2009, Seiten: 304, Übersetzt: Conny Lösch
Gott schütze Amerika
Gott schütze Amerika
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Jochen König
87°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2009

Hit Me With Your Rhythm Stick

Gott schütze Amerika beginnt mit einer Superratte, die in einen Kaffeebecher pisst und endet mit einer Gruppe von Nekrophilen, die Leichen hinter Wänden verstecken. Wer sich dazwischen wohlfühlt, dürfte mit Warren Ellis Romandebüt sein Gebetbuch für die Zeit bis zum prophezeiten Weltuntergang 2012 gefunden haben.

Wer hinter dem großmäuligen Titel einen Politthriller erster Güte erwartet, könnte jedoch sein blaues Wunder erleben. Das diesmal nicht Viagra heißt. Obwohl dies durchaus nahe läge.Der Originaltitel, der übersetzt ungefähr "schrumpelige, kleine Vene" bedeutet, ist mal wieder gefälliger. Denn jene verkorkste Vene führt tief ins Herz Amerikas.

Der Pech-Magnet

Dorthin verschlägt es den Privatdetektiven Mike McGill, den selbst ernannten "Pech-Magneten". McGill - eine Hommage an unseren herzallerliebsten Mann mit dem Koffer? - einst das detektivische Wunderkind der Pinkerton-Detektei, fristet sein solistisches Dasein als Jäger der hoffnungslosen Fälle. Wenn er Ehebrecher verfolgt, endet das nicht im Bett einer drallen Geliebten mit neckischen Dessous, sondern beim tantrischen Sex auf einer Straußenfarm.

McGill, der Mann der so viel gesehen und erlebt hat, und immer noch erschüttert ist, wenn er eine neue Perversion entdeckt, die ins Tagesgeschäft drängt, scheint der richtige Mann zu sein, um im Auftrag des Stabschefs des Weißen Hauses, ein seltenes und einzigartiges Buch zu finden, das die verschrobene Welt angeblich wieder in Ordnung zu bringen vermag. Bewaffnet mit einer halben Million Dollar und einem leistungsfähigen Palmtop, begibt sich McGill auf die Spur jener alternativen Verfassung der Vereinigten Staaten, die dem wahnsinnigen Treiben einer hedonistischen Gesellschaft den Garaus machen soll.

Zusammen mit der neu erworbenen Partnerin Trix hetzt er quer durch die USA. Begegnet Makroherpetophilen ("Leute, die Godzilla ficken wollen"), schwulen Bodybuildern, die sich Salzlösung in die Genitalien spritzen, einem reichen texanischen Clan (sagt da jemand Rockefeller?), der zwischen dem Erwürgen von Rindern und paranoiden Anfällen, den Weg ins Capitol so gerne antreten möchte und einem Anwalt, der Teil einer Partygemeinschaft ist, die mit Vorliebe Russisches Roulette mit Infektionskrankheiten spielt.

Thompson, Chandler und Burroughs

Hätten Hunter S. Thompson, ein delirierender Raymond Chandler und William S. Burroughs in seinen leichteren Momenten - also etwa bevor er betrunken versuchte, seiner damaligen Lebensgefährtin eine Dose vom Kopf zu schießen - je gemeinsam einen Kriminalroman geschrieben, so etwas wie Gott schütze Amerika hätte dabei heraus kommen können.

Stattdessen ist ein englischer Familienvater für die verquere Chose verantwortlich, ein Mann, der vorher durch seine Graphic Novels, Drehbücher und Videospiele ein gewisses Maß an Berühmtheit erlangt hat. Von seinen Küchentipps ganz zu schweigen.

Warren Ellis hatte die einfache, aber recht geniale Idee, einen Teil der Absonderlichkeiten, die das weltweite Netz seinen Besuchern mit offenen Armen bietet, zur Grundlage eines Kriminalromans zu machen. So begegnen wir, neben den bereits erwähnten Possenreißern, redseligen Serienkillern, fröhlichen Detektiven, die sich an letalen Sexualpraktiken delektieren, Menschen, die sich alles in die Venen spritzen, was sich verflüssigen lässt und Hoffnung auf ein besseres Leben weckt; so wie jener Spezies ohne Skrupel, die einen schleichenden Tod an Kinder weiter gibt - einfach weil sie Macht dazu hat.

Mitschwimmen

Todtraurige Themen eigentlich, doch Warren Ellis bastelt daraus einen der hinterhältigsten, urkomischen Romane der letzte Jahre. An den apokalyptischen Wahnwitz eines Kurt Vonnegut kommt er zwar nicht ganz heran, aber die haarsträubende Odyssee seines spleenigen Helden durch eine Welt, die völlig aus den Fugen geraten ist, überzeugt durch sarkastischen, derben Witz und Einsichten, die unter die Haut gehen. Denn wie bei allen großen Komödien, schimmert auch im Gott geschützten Amerika jene Traurigkeit durch, die aus dem Roman mehr als einen bloßen Witz am Rande macht. Natürlich weiß Ellis genau, dass noch die aberwitzigste, verwerflichste Handlung nur ein matter Abglanz dessen ist, was das vernetzte Leben morgen zutage bringen wird.
Oder, um es wertneutral zu sagen: was heute Avantgarde ist, ist morgen Mainstream. Und fast jeder schwimmt mit.
Nicht so McGill und Trix.

Im zweiten Drittel übertreibt es Ellis ein wenig mit den Marotten seiner Figuren. Da wäre ein Versicherungsangestellter mit zwei Kindern, dem sehnsuchtsvollen Wunsch abends nach Hause zu kommen, um es sich in der Missionarsstellung gut gehen zu lassen, eine wohltuende Bereicherung gewesen. Doch Ellis versagt sie uns, bleibt dem alltäglichern Wahnsinn hörig, schafft aber mit einem Knicks im Tütü und der Hilfe eines verrückten Wissenschaftlers ("dem ersten anständigen Kerl, dem ich seit einer gefühlten Ewigkeit begegnet war") am Ende sogar noch die Kurve zum regelgerecht spannenden Krimi.

Gott schütze Amerika wird polarisieren. Manch einem wird der Witz zu platt und offensiv sein, die kriminalistische Komponente zu dünn. Wer sich aber auf die wilde Hatz durchs moderne Leben einlässt, wird einen Roman finden, der auf einer Seite mehr Lebensweisheiten zu bieten hat, als der durchschnittliche Markthändler in der kompletten Tageszeitung, mit der er seine Fische verpackt.
Auf seine eigene Art große Kunst und ein wirklich wildes Kind.

Gott schütze Amerika

Warren Ellis, Heyne

Gott schütze Amerika

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