Das Jesusporträt

  • Knaur
  • Erschienen: Januar 2008
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  • Newcastle: Myrmidon, 2007, Titel: 'The Painted Messiah', Originalsprache
  • München: Knaur, 2008, Seiten: 457, Übersetzt: Michael Benthack
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2009

Mord & Totschlag um ein heiliges Bild

Kate und Ethan sind Kunstdiebe von internationalem Format. Als Extrembergsteiger verschaffen sie sich auch in festungsähnliche Privatgalerien Einlass. Ihre Beute bringen sie über Kates Vater, den Kunsthändler Roland Wheeler, für viel Geld an Sammler, die keine Fragen stellen.

Aktuell hat das Diebesduo dem Chateau des am Vierwaldstättersee in der Schweiz residierenden Privatiers Julian Corbeau einen nächtlichen Besuch abgestattet. Dort stahlen sie eine unermesslich kostbare Reliquie: das einzige authentische Porträt von Jesus Christus, entstanden im Auftrag des römischen Statthalters Pontius Pilatus. Für 25 Mio. Dollar soll es seinen Besitzer wechseln.

Ex-CIA-Agent Thomas Malloy, der sich nun als Spezialist für heikle und nicht unbedingt legale Missionen verdingt, soll das Bild aus der Schweiz schmuggeln. Er ahnt nicht, mit wem er sich anlegt: Corbeau ist Oberhaupt des nie untergegangenen Templerordens und Adept der Schwarzen Magie. Auf das Porträt will er auf keinen Fall verzichten. Wer ihn beraubte, hat Corbeau inzwischen herausgefunden. Er setzt seinen Söldner Xeno und drei Dutzend ebenso skrupelloser wie schwer bewaffneter Männer in Marsch. Sie sollen das Bild finden und ihm Kate bringen, die er für ihren Frevel höchstpersönlich und besonders grausam bestrafen will.

Malloy gerät zwischen die Fronten; eine Herausforderung, der er dank außergewöhnlicher Verbündeter allerdings gewachsen ist. Am Ufer des sonst so stillen Vierwaldstättersees bricht ein Feuersturm los, der nur mit dem Tod einer der kampfstarken Parteien enden wird ...

Glücklicherweise keine Illuminaten ...

Seit Dan Brown sie aus dem Schlaf gerissen hat, schwärmen uralte Geheimorden jeglicher aber meist christlicher Couleur über den Erdball. Sie nennen sich gern "erleuchtet", obwohl ihre Absichten finster sind. Oft sind sie unauffällig mit dem Vatikan verbandelt, der als monströse, sehr weltliche Machtelite dargestellt wird, der die eigentliche Botschaft der Bibel unterdrückt und manipuliert.

Der Templerorden, der im frühen 12. Jh. gegründet wurde und der knapp 200 Jahre später ein böses, in der Tat vom Papst - wenn auch vom französischen König Philipp IV. in dieser Sache unter Druck gesetzt - mitverantwortlich inszeniertes Ende nahm, gilt der Unterhaltungsliteratur der Dan-Brown-Ära entweder als Hüter des heiligen Grals der Christenheit oder als machtlüsterne Teufelsanbeter. In unserem Fall zieht sich der Verfasser geschickt aus der Affäre, indem er die historischen Templer außen vor lässt und die Organisation des Julian Corbeau als pervertierte Mutation des ursprünglichen Ordens darstellt.

Damit gibt Craig Smith eine Richtung vor, die seinen Roman von den meisten modernen Mystery-Thrillern (angenehm) unterscheidet: Er verknüpft seine Geschichte mit realen historischen Fakten, ohne sich in Geschichtstümelei zu ergehen. Geschickt nutzt er diverse Überlieferungslücken, die ihm eine eigenständige - und eigenmächtige - Interpretation vergangener Ereignisse gestatten. Dabei deckt Smith zeitlich ein breites Spektrum ab. Er beginnt mit der Entstehung des Jesusporträts im Palästina des 1. Jh. n. Chr. und schließt mit der Erwähnung des Bildes durch den englischen Schriftsteller Oscar Wilde ab, dem es angeblich als Inspiration für seinen berühmten Roman vom Bildnis des Dorian Gray (1891) diente: ein hübscher Einfall, wie überhaupt Smith elegant die Waage zwischen Wahrheit und Fiktion zu halten versteht.

Spannungslektüre als saubere Handwerksarbeit

Zurückhaltung ist ohnehin eine Tugend, der sich Craig Smith durchweg befleißigt. Das Jesusporträt ist ein Roman und keine Vorstufe des Drehbuchs für eine zukünftige Verfilmung und Smith ein Autor, der sein Handwerk versteht; die Betonung liegt auf Handwerk, denn Das Jesusporträt ist pure Unterhaltung ohne tieferen Sinn oder Anspruch. Das ist kein Werturteil, sondern - zumal in diesem Fall - positiv gemeint. Viel zu viele Thrilleristen der Gegenwart meinen atemlose Spannung zu erzeugen, indem sie ihre Story in unzählige Mini-Kapiteln zerrupfen und dabei von Schauplatz zu Schauplatz springen. Smith nimmt sich Zeit für Stimmung und Hintergrundinformation, ohne es damit zu übertreiben. Die Ökonomie seines Stils ist dem Leser (auch in der Übersetzung) ein Genuss.

Seine Stimme behält Smith auch bei, wenn er tief in die Vergangenheit abtaucht. Er versucht nicht, was sowieso meist schiefgeht: Die Ereignisse um die Entstehung des Porträts gerinnen nicht zur sprachlichen Imitation angeblich "historischer" Originale. In diesem Fall wäre die Gefahr besonders groß. Viele Autoren sehen sich plötzlich als Inkarnation des Markus, Matthäus, Lukas oder Thomas, wenn es gilt, die palästinische Welt zur Zeit Jesus Christus´ zu beschwören. Smith behält den sachlichen Ton des primären Handlungsstrangs bei. Das funktioniert hervorragend.

Tohuwabohu am trügerisch stillen See

Dass der wiedergeborene Statthalter des Bösen auf Erden sein Hauptquartier ausgerechnet in der Schweiz aufschlägt, ist durchaus ironisch gemeint. Außerdem liegt es nahe, ist doch Craig Smith ebendort ansässig, wo er seine Geschichte spielen lässt. Seine Ortskenntnis beschränkt sich nicht auf die Beschreibung lokaler Landschaften. Auch die politisch-wirtschaftliche Sonderstellung der Schweiz wird von Smith kenntnisreich adaptiert.

Denn sowohl das weltweit bekannte "Untertauchen" eines gesuchten aber finanzstarken Schurken wie Julian Corbeau als auch der "Handel" mit einer gestohlenen Antiquität könnte so, wie Smith es inszeniert, nur in der Schweiz geschehen. Dort pflegt man seit Jahrhunderten im vollen Wissen um damit oft einhergehende Verbrechen seinen Ruf als Steueroase bzw. Depot für Schwarzgeld und andere illegale Kostbarkeiten und legt denen, die dagegen angehen, unermüdlich Steine in den Weg.

Die akkurate Darstellung einer weißkragigen Verbrecherelite, die ihre Verantwortung ignoriert bzw. durch betont korrektes Auftreten zu vertuschen bemüht ist, sorgt für eine gewisse Nachdrücklichkeit in einer Handlung, die ansonsten eine Folge spannender Actionszenen darstellt. Ständig verfolgen die Vertreter von Gut & Böse einander zu Wasser, zu Lande und in der Luft, wobei permanent aus penibel beschriebenen und ungemein großkalibrigen Waffen aufeinander gefeuert wird. Damit es nicht gar zu unwahrscheinlich wirkt, dass unsere zahlenmäßig notorisch unterlegenen Helden dabei nie auf der Strecke bleiben, tragen sie kugelsichere Westen von einer Qualität, um die sie die US-Army sicherlich beneidet, halten sie doch ganze Kalaschnikow-Salven ab ...

Ein Thriller wie dieser besticht halt nicht durch Raffinesse, Logik oder Handlungsrealität. Gefragt sind andere Qualitäten, über die Das Jesusporträt verfügt: Die Story ist und bleibt spannend. Der Verfasser hat die reichlich eingesetzten Klischees sicher im Griff. Die Figuren wirken lebendig und überzeugend; wiederum keine Selbstverständlichkeit, da überlebensgroße Übeltäter wie Corbeau oder Xeno leicht eher lächerlich wirken, wenn sie ihre Bosheiten mit der ganz groben Kelle über ihr Publikum bringen.

Realität und Reliquienkult

Immer wieder finden sich im Text Einschübe, die aus dem 21. ins 1. Jh. und aus der Schweiz ins römisch besetzte Palästina blenden. Hier erzählt Smith von der Entstehung des Jesusporträts, ohne es jedoch in den Mittelpunkt zu stellen. Tatsächlich beschreibt er am Beispiel des Statthalters Pontius Pilatus den politischen Alltag in einer unruhigen Provinz. Pilatus ist eine historische Person, über die nicht viele Fakten sicher sind. Das verschafft Smith die Möglichkeit, sein Pilatus-Bild in die Figur zu projizieren.

Der Autor scheut nicht die schwierige Darstellung der Ereignisse, die von den vier Evangelisten des Neuen Testaments niedergeschrieben wurden. Realität mischt sich hier mit Glaube, Gleichnisse verschlüsseln tatsächliches oder idealisiertes Geschehen. Smith beschränkt sich auf das Sachliche. Er beschreibt ein Palästina, in dem viele verfeindete Gruppierungen um die Macht streiten. "Die Juden" als "auserwähltes Volk Gottes" gibt es nicht. Es sind ausgerechnet die Römer, die für ein mühsam aufrecht erhaltenes Gleichgewicht sorgen. Religiöse Konflikte sind an der Tagesordnung. Jesus ist keineswegs der erste Messias, und er wird nicht der letzte bleiben. Smith sieht ihn als Bauernopfer in einem komplexen politischen Intrigenspiel, das von einem idealistischen aber von Pilatus geschickt getäuschten Judas Ischariot ans Messer geliefert wird.

Das Jesusporträt bleibt eine Randepisode. Wieder übt Smith sachte Ironie: Dieses Bild ist eigentlich nur aus der Laune des Pilatus entstanden, der das Bild für einige Zeit in seiner Trophäenhalle aushing, bevor er die Lust daran verlor und es vergaß. Erst die Nachwelt hat das Bild eines durchschnittlichen Mannes aus Palästina zur Reliquie erhöht. Der reale Jesus ist an diesem Prozess nicht beteiligt; er ist hier überflüssig und womöglich störend. Zweitausend Jahre später sterben immer noch Menschen für dieses Porträt. Der Leser, von Smith in Kenntnis gesetzt, weiß anders als Corbeau, Richland, Malloy oder die Contessa de Medici, wie absurd der Kult ist, der um diese Reliquie getrieben wird, die nie eine sein sollte.

Die Würfel sind gefallen bzw. die Weichen gestellt

Craig Smith ist mit seinem findig konstruierten Thriller auf eine Goldader gestoßen. Das Jesusporträt ist Auftakt einer Reihe von Romanen, die Thomas Malloy auf der Suche nach weiteren mystischen Artefakten schildern. Mit "The Blood Lance" fiel 2008 der Startschuss für eine weitere Hetzjagd um die Welt. Dieses Mal geht es um die Heilige Lanze, was Smith die Gelegenheit bot, die für US-Autoren so unwiderstehlichen Nazis als Bösewichte einzusetzen ...

Das Jesusporträt

Craig Smith, Knaur

Das Jesusporträt

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