Totenseelen

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2008
  • 2
  • München: Goldmann, 2008, Seiten: 220, Originalsprache
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Jörg Kijanski
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2008

Ein Skelett aus den 30er Jahren sorgt für Unruhe auf Hiddensee

September auf der Osteseeinsel Hiddensee: Polizeiobermeister Daniel Pieplow und Polizeihauptmeister Lothar Kästner erhalten einen besorgten Anruf von Rieke Voss, da bei Arbeiten in ihrem Garten ein Bagger menschliche Gebeine freigelegt habe. Pieplow und Kästner eilen zum vermeintlichen Tatort und stellen fest, dass unter dem Fundament des Sommerhauses tatsächlich ein menschliches Skelett liegt. Umgehend wird der Kriminaldauerdienst in Bergen informiert, der sofort in Person des selbstherrlich auftretenden Kommissars Sandy Böhm die Ermittlungen an sich zieht. Da das Skelett sich teilweise unter dem Sommerhaus befindet müssen Teile desselben abgerissen werden.

Das Haus wurde 1939 fertig gestellt und seitdem nicht mehr verändert. Somit drängt sich der Verdacht auf, dass vor der Fundamentierung noch schnell eine Leiche vergraben wurde. Doch sollte ein Verbrechen tatsächlich vorliegen, müsste dieses schon rund siebzig Jahre zurückliegen. Wie sollen da noch Zeugen aufzufinden sein, denkt sich Pieplow, der für seinen am Fuß verletzten Chef die Laufarbeit erledigen muss. Umso überraschter ist er, als ihm Böhm eine Liste der über 80-jährigen Einwohner der Insel vorlegt. Stolze 103 Namen umfasst die Liste, die alle befragt werden müssen. Viel Arbeit zumal die Insulaner auf Hiddensee dafür bekannt sind, dass sie ungern mehr Worte als nötig verlieren. Vor allem dann, wenn an lange zurückliegenden Erinnerungen gerührt wird, die niemand an die Oberfläche holen will....

Endlich mal wieder ein "Krimi des Monats". Zumindest laut Aufkleber

Totenseelen sind in den Augen eines alten Fischers die Möwen, wenn sie nicht wie üblich kreischen und fast ohne Flügelschlag im Wind schweben. So viel zur Erklärung des Buchtitels bei dem es sich laut Cover-Aufkleber um den "Krimi des Monats" handelt. Nehmen wir an, beim herausgebenden Goldmann-Verlag, denn angesichts der Fülle vergleichbarer Aufkleber, kann man in dem Buchladen seines Vertrauens ja gerne schon mal den Überblick verlieren; erscheinen die Bücher mit entsprechendem Aufkleber die Anzahl der Monate eines Jahres doch bei Weitem zu übersteigen. Aber zurück zum vorliegenden Werk.

Der nur knapp über 200 Seiten kurze Roman ist durchaus beachtenswert und dies nicht nur, weil er auf einer Insel spielt, die bisher kaum auf der deutschen Krimilandschaftskarte vorkam. Das Autorenpaar Birgit Lautenbach und Johann Ebend (Das Kind der Jungfrau) haben einen gelungenen Plot gebastelt, wenngleich das Ausgangsszenario nur all zu bekannt erscheint. Bei Ausgrabungsarbeiten wird ein menschliches Skelett gefunden und im Ergebnis wir ein Verbrechen nach vielen Jahrzehnten aufgeklärt, wobei die Ermittler bei den Einheimischen auf Unverständnis und zudem eine Mauer des Schweigens treffen.

Hiddensee-Fans aufgepasst

Dass das Autorenduo Hiddensee bestens kennt, ist durchgehend bemerkbar. Die Besonderheiten des Eilands werden ebenso gelungen dargestellt wie die von Natur aus schweigsamen und bisweilen störrischen Insulaner selbst. Entweder man hält dicht und redet nicht mehr als zwingend nötig oder spielt sich beim Klönen und dem ein oder anderen Schnaps in den Vordergrund. So gelingt es Pieplow nur sehr mühsam, das damalige Geschehen zu rekonstruieren und die einzelnen Mosaiksteine zusammen zu tragen. So unternimmt Pieplow gemeinsam mit den Lesern einen Ausflug in das Hiddensee der späten 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. 1938 und 1939 war offenbar einiges los auf der Insel, die - wie das restliche Reich auch - nicht vom Nationalsozialismus und dessen Auswüchsen verschont blieb.

Von wegen kleine, ruhige Insel

So kommen Pieplow im Laufe seiner Ermittlungen mehr menschliche Schicksale und Tragödien zu Ohren als dieser sich anhören möchte. Ein junges Mädchen ertrinkt in der Ostsee als es sich vor einem Elch (auf Hiddensee!) in Sicherheit bringen will, eine junge Frau wird brutal vergewaltigt, eine andere (oder dieselbe?) verlässt schwanger die Insel, da sie um ihr Leben fürchtet und ein Ingenieur verschwindet von einem Tag auf den anderen mit 2.000 Reichsmark. Zudem sorgen zahlreiche fremde, oft angetrunkene und lautstarke Arbeiter, die unter anderem den Hucke-Damm sowie neue Siedlungen errichten sollen, für Unruhe unter den Einheimischen. Zu allem Überfluss wird bei dem Skelett auch noch ein Parteiabzeichen mit goldenem Eichenkranz gefunden. Pieplow ahnt, dass die Ereignisse womöglich miteinander zusammen hängen und als er das ganze Ausmaß der Tragödie vor Augen hat, wünscht er sich, er hätte die alten Wunden nie aufgerissen.

Wie gesagt, der Plot ist nicht neu, aber dennoch im vorliegenden Fall überzeugend durch seine atmosphärische Dichte. Allein die völlig verunglückte Darstellung des extrem klischeehaften Kommissars Böhm trübt den positiven Gesamteindruck. Hier haben die Autoren leider deutlich über das Ziel hinaus geschossen. Dennoch bleibt zu hoffen, dass sich das Autorenpaar für den nächsten Hiddensee-Krimi nicht wieder mehrere Jahre Zeit lässt.

Totenseelen

Birgit & Ebend Lautenbach, Goldmann

Totenseelen

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