Viper

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2008
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  • London: Penguin Books, 2009, Titel: 'Viper', Originalsprache
  • München: Heyne, 2008, Seiten: 560, Übersetzt: Jürgen Bürger und Peter Torberg
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Jochen König
37°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2008

Serienkiller-Roman und Mafiathriller

Jack King, der Ex FBI-Ermittler, jetzt als reisende Profiler-Koryphäe unterwegs, steht vor einem andächtig lauschenden Publikum und erklärt allen ernstes, das Menschen wie Eisberge sind. Nur zehn Prozent sichtbar, die restlichen neunzig müssen von fähigen Profilern entschlüsselt werden. Der im Publikum sitzende Luciano Creed ist derart beeindruckt von King und seinen Theorien, dass er ihm seinen Verdacht unterbreitet, hinter dem spurlosen Verschwinden einiger neapolitanischer Frauen stecke ein perfider Serienkiller. Wenig angetan von dem obskuren Möchtegern-Kollegen, der eher einem Stalker gleicht, als einem Profilfahnder, lässt sich King doch auf seine Auslassungen ein und findet sich alsbald an der Seite der italienischen Polizistin Sylvia Tomms wieder und muss zusehen wie auf einem Feld die verbrannten Überreste mehrerer Frauenleichen ausgegraben werden.

Zur gleichen Zeit wird Bruno Valsi, der Schwiegersohn des Camorra Oberhauptes Don Fredo Finelli aus dem Gefängnis entlassen. Ehrgeizig ohne Maß, zeigt er seiner Gattin Gina die kalte Schulter, sehr zum Missfallen seines mächtigen Schwiegerpapas. Als Valsi auch noch Geschäfte auf fremdem Territorium abwickelt, scheint sein baldiges Ableben gewiss. Doch zwischen Serienmord und Mafiakrieg kann vieles passieren. Das bekommen auch der alte Schrottplatzbesitzer Antonio Castellani, sein durch das Werner-Syndrom verunstalteter Enkel Franco und dessen Cousin Paolo zu spüren, die plötzlich im Fokus der polizeilichen Ermittlungen stehen. Wir, die wir schon einige Krimis gelesen haben, wissen natürlich, das alles böse enden wird. Mit Blut, Schweiß und Tränen. Ob die Guten mit heiler Haut davonkommen, bedarf allerdings keiner ausführlichen Spekulation.

Michael Morleys Viper ist ein Buch, das sich Goethes beliebte Weisheit aus dem West-östlichen Divan "Getretner Quark wird breit, nicht stark" herzlichst aufs Banner schreiben könnte. Morley verquickt Serienkiller-Roman und Mafiathriller zu einem Gebräu, das nicht sonderlich bekömmlich ist. Zwar ist der Mafiateil passagenweise ganz ordentlich geraten, verrät dennoch kaum etwas, dass Tony Soprano nicht schon längst wusste. Der Serienkillerpart wird um so stereotyper abgehandelt, bekommt aber immerhin einen Täter serviert, der mal eine wirklich coole Begründung für sein verderbliches und tatsächlich nachvollziehbares Handeln auf Lager hat. Das, und die leidliche Spannung, die Morley mitunter aufbaut, retten Viper vor dem kompletten Absturz.

Bleibt der traurige Rest. Alleine die Ausführungen um Jack Kings "Eisbergtheorie" sind an Albernheit kaum zu überbieten. Wenn derartige Binsenweisheiten kennzeichnend für hervorragendes Profiling sind, sollte sich das FBI in bundesdeutschen Eckkneipen umsehen, denn irgendwo sitzt immer ein angesäuselter Stammgast herum, der genau weiß, das man den "Leuten nur vor den Kopf schauen kann" und zumindest ahnt, dass das Verborgene hinter der hohen Stirn, für all die Malaisen zuständig ist, die das einfache Leben so kompliziert gestalten.

Kompliziert ist auch die Personalpolitik Morleys; der Nebenplot um die abgewrackte Castellani-Sippe bläht den Roman unnötig auf. Er dient nur der bewussten Verwirrung des Lesers und der billigen Spannungssteigerung. Zum Finale wird die Episode auf melodramatische und peinliche Weise abgehakt; genauso ergeht es dem unangenehmen Zeitgenossen Luciano Creed, den Morley am Ende komplett aus den Augen verliert. Das Buch zerfällt, je weiter es fortschreit, in seine Einzelteile. Es besitzt zwar gelungene Momente, scheitert aber auf ganzer Linie an seiner desaströsen erzählerischen Diskontinuität. So fühlt sich Morley zu Beginn bemüßigt, eine äußerst brutale Szene einzubauen, die möglicherweise die Hostel-Anhänger unter den Lesern befriedigen soll. Dass das organisierte Verbrechen keine Skrupel besitzt, auf brutalste Weise missliebige Zeitgenossen zu beseitigen, ist kein großartiges Geheimnis.

Dass ein durchschnittlich begabter Autor wie Morley eine derartige Beseitigungsszene en Detail ausmalen muss, ist im gewählten Kontext komplett überflüssig und schlicht und einfach widerlich. Unverständlich vor allem, weil Morley sich im weiteren Verlauf seines Romans nicht mehr in akribisch ausgeführte Gewaltexzesse steigert. So wirkt die aufgesetzte Brutalität zum Einstieg nur wie eine Anbiederung ans Publikum, das mit einem Versprechen auf einen Ausflug in die Schlachthöfe geködert werden soll, aber vor der Tür abgewiesen wird.

Viper ist bis auf die genannten Ausnahmen ein missratenes Werk, schlecht durchkomponiert und in seiner dümmlichen Handlungsführung überflüssig wie die Testikel eines Kirchenfürsten. Hier zeigt sich auch die Begrenztheit unserer Gradbewertung. Aufgrund der wenigen, aber durchaus vorhandenen positiven Aspekte, bleibt der Nullpunkt einige Garde entfernt, und Viper landet in etwa dort, wo sich auch Thomas Raabs rot sehender Metzger befindet. Doch beide Bücher trennen literarische Welten.

Viper

Michael Morley, Heyne

Viper

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