Die Todeskarte

  • Knaur
  • Erschienen: Januar 2008
  • 7
  • London: Hodder & Stoughton, 2004, Titel: 'Dead Sight', Originalsprache
  • München: Knaur, 2008, Seiten: 560, Übersetzt: Stefan Troßbach
Wertung wird geladen
Lars Schafft
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2008

Konkurrenz für Peter James

Chandler - mit diesem Nachnamen hat man es nicht leicht im Genre. Doch der gebürtige Schotte muss sich nicht hinter dem Großmeister des American Noir verstecken, was nicht daran liegt, dass es recht wenige Anknüpfungspunkte zum Namensvetter gibt, sondern weil Glenn Chandler es ebenso vermag, "amerikanisch" zu schreiben. Bekannt vor allem als Autor der überaus erfolgreichen Krimi-Fernsehserie Taggart, schrieb Chandler 2003 mit Savage Tide seinen ersten Kriminalroman um Detective Inspector Steve Madden, beheimatet im idyllischen Brighton an der Südküste Englands. Dead Sight erschien ein Jahr später - und liegt nun in deutscher Übersetzung als Die Todeskarte vor. Endlich!, möchte man ausrufen.

Madden ist noch arg traumatisiert vom Mord an seinem Sohn Jason (siehe Savage Tide) und von der Trennung von seiner Frau Clara, als ihn im Büro ein Anruf einreicht: Seine damalige Jugendliebe (einseitig) Lavinia Roberts ist am anderen Ende der Leitung. Diese ist mittlerweile hauptberuflich Hellseherin und hat mit den Jahren - und mit dem Alkohol - so ziemlich jegliche Faszination verloren, die sie damals auf den zwölfjährigen Stevie ausgeübt hatte. Dass sie nun einen Serienmord vorauszusagen meint, macht Madden dann aber doch neugierig. Besucht sie abends und lässt sich die Karten legen.

Zum einen behauptet Lavinia Roberts steif und fest, dass eine "böse Aura" einen ihrer gestrigen Kunden umgab, dass er gefährlich, dass er gar zum Serienmörder werden würde. Und ein totes Kind habe sie gesehen. Madden gibt nicht viel darauf, doch als Lavinia zum anderen meint, Signale seines toten Sohns erhalten zu haben, zweifelt der Inspector an seiner Rationalität. Zu recht: Kurze Zeit später wird die in die Jahre gekommene Hellseherin erschlagen, ein Esoterik-Laden ausgeraubt und ein totes Kind aufgefunden, dem das Herz herausgerissen wurde. Sollte Lavinia Roberts vielleicht doch in die Zukunft gesehen haben?

So weit, so vermeintlich hanebüchen. Doch haben wir es bei Die Todeskarte keineswegs mit einem Thriller mit übernatürlichem Anklang zu tun. Vielmehr ist Chandlers zweiter Madden-Fall ein Police Procedural britischer Schule, in denen sich die Ereignisse nun wirklich nicht überschlagen - die Ermittlungen kommen nur schwer voran. Bis zum Auffinden der Kinderleiche ist das Buch bereits zur Hälfte gelesen - und doch kam bis dahin alles andere als Langeweile auf.

Dafür beherrscht Glenn Chandler sein Handwerk nämlich zu gut und spielt seine Erfahrungen als Drehbuchautor auf ganzer Linie aus. Seine Charaktere sind sauber gezeichnet, vielschichtig und glaubhaft. Glücklicherweise macht Chandler aus Steve Madden nicht das, was dessen Vorgeschichte zu befürchten ließe. Nämlich nicht einen Weltverzweifler, der sich betrübt durch den Alltag schleppt. Madden ist menschlich, hat mit seiner Last zu kämpfen, aber zerfließt nicht in Trauer und Selbstmitleid. Er bleibt hartnäckig am Fall, nutzt alte Bekanntschaften aus der südenglischen Unterwelt wie er versucht, wieder bei seiner Ex-Frau zu landen. Was ihm freilich bei seiner attraktiven Kollegin Jasmine, einer Hindu, hin und wieder weitaus besser gelingt als bei Clara, deren neuer Ehemann mit Buchhalter-Job in London und blitzblanker Yacht prahlt.

Auch wenn Glenn Chandler seinen Plot so durchaus oft mit Privatepisoden seiner Figuren unterbricht, bleibt der rote Faden über die gesamten 550 Seiten streng gespannt. Die dialogreiche Erzählweise, die Nebenschauplätze sowie die Mystik des Übernatürlichen treiben die Story voran; ein Tempo, das den Leser nicht so schnell von der Stange lässt. Und selbstverständlich darf auch eine Prise britischen Humors nicht fehlen:fghgfh

 

Er hielt Jasmine ein luftdicht verschlossenes Glas vors Gesicht [...] "Die Asche eines Menschenschädels, Fleisch, Nägel und Haare eines hingerichteten Mörders - fragen Sie mich nicht, wen er ermordet hat; in Italien brachte von jeher einer den anderen um -, eine Eulenfeder, das erste Menstruationsblut einer Jungfrau und der erste Samen eines Jünglings sowie die Nachgeburt einer Schlange."
"Gehört in jeden Haushalt", bemerkte Madden.

 

Das einzige Problem, was Die Todeskarte mit sich bringt, hat Glenn Chandler zwar nicht zu verantworten, dürfte es ihm aber schwer machen, eine große Leserschaft  zu erreichen: Er ist beileibe nicht mehr einer von wenigen Krimiautoren von den britischen Inseln, die solide Polizeiromane schreiben können. Ian Rankin, Peter Robinson, John Harvey, Mark Billingham - sie alle waren vor ihm auf dem deutschen Markt und haben ihr Terrain abgesteckt. Dazu kam dann noch ein Peter James, dessen DI Roy Grace ebenfalls in Brighton ermittelt - und der es in Stirb ewig (2005) auch mit Hellsehern zu tun bekommt. Dies schmälert ein wenig die Originalität von Die Todeskarte - aber wie gesagt: für deutsche Verlagspolitik kann Glenn Chandler wohl am allerwenigsten.

Andersherum: Wer die aufgeführten Autoren gerne liest, ist in Chandlers Händen bestens aufgehoben. Und in punkto Plotting und schneller Erzählweise ist der Schotte nicht nur ebenbürtig, sondern manchen ganz bestimmt auch eine Nasenlänge voraus.

Die Todeskarte

Glenn Chandler, Knaur

Die Todeskarte

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Die Todeskarte«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren