18 Sekunden

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2008
  • 4
  • New York: Simon & Schuster, 2006, Titel: '18 Seconds', Originalsprache
  • München: Heyne, 2008, Seiten: 400, Übersetzt: Norbert Jakober
18 Sekunden
18 Sekunden
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Jochen König
52°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2008

Ein Buch der verpassten Gelegenheiten

18 Sekunden ist einer dieser unausgegorenen Romane, die sich viel vornehmen, dann auf halber Strecke im Ungefähren landen und schließlich im Nirwana des Vergessens enden.
Doch der Reihe nach...

18 Sekunden lang ist das Zeitfenster, durch das die blinde Sherry Moore in die jüngste Vergangenheit Verstorbener blicken kann, sobald sie deren Hand oder andere Körperteile berührt. Dank dieser Fähigkeit - für die Shuman sich im Text sogar eine pseudowissenschaftliche Erklärung einfallen lässt - ist es ihr möglich, diverse Todesfälle ihren jeweiligen externen Verursachern zuordnen zu können. So wird sie unter der Hand von unvereingenommenen Polizisten weiter empfohlen, erlangt dank ihrer Erfolge eine gewisse Popularität und genügend Geld, um ein halbwegs komfortables Leben zu führen. Wenn nur nicht die Alpträume wären, die der blinden Schönheit - ihr gutes Aussehen wird mehrfach im Buch betont, gerade so, als hätte das körperliche Gebrechen per se Einfluss auf die Physiognomie - immer mehr zu schaffen machen. Vor allem, als sich herausstellt, dass die letzten beiden - zusammen hängenden - Todesfälle, denen sie sich widmet, mit ihrer eigenen, traumatischen Biographie zu tun haben.

Das zumindest ist der grobe Rahmen des Romans, denn über weite Strecken wird Sherry schlicht ausgespart und macht Raum für die in ihrem Rang umstrittene Polizistin Lieutenant "Lieu" Kelly O'Shaughnessy und den psychopathischen Serienkiller Earl Sykes.

Womit wir bei den zwei Pluspunkten des Buches wären: Sykes ist endlich mal keiner dieser intellektuell überlegenen Schöngeister, die sich durch die Kriminalliteratur der letzten zwei Jahrzehnte mordeten, sondern ein von Krebs zerfressener Loser, der sich von seiner Umwelt durch seine pure, dreiste Bösartigkeit unterscheidet und abgrenzt. Diese Absenz jeglichen Gewissens ermöglichte es ihm, über Jahre unerkannt zu foltern, vergewaltigen und töten: Der Abgrund wird nicht erkannt, weil für die umgebende Menschheit überhaupt keine Tiefe wahrnehmbar ist, sondern etwas Dreckiges, dessen Existenz mit angewidert abgewandtem Gesicht nur allzu gerne verleugnet wird.

Der zweite Pluspunkt ist die Darstellung Kelly O´Shaughnessy's als erfolgsorientierte Frau in einer Männerdomäne, in der sich Kampf um Anerkennung, politisches Kalkül und strunzdummer Chauvinismus mitunter wüste und arbeitsbehindernde Grabenkämpfe liefern. DA schaut dann tatsächlich der Ex-Polizist Shuman dem Schriftsteller über die Schulter und weist ihm den richtigen Weg. Doch leider glänzt der müde Bulle viel zu oft durch Abwesenheit, und der Autor Shuman ignoriert die meisten Hinweisschilder.

Denn neben den durchaus respektabel gezeichneten Schattenseiten des Polizeialltags, macht sich die "Slaughterisierung" des Genres breit, d.h. dienststellenübergreifende Liebeshändel werden über viele Seiten erörtert, dargestellt, plakativ ausgeführt und irgendwann mehr oder minder desinteressiert fallen gelassen. Gartenlaube goes serial killing. Das ist langweilig, unerheblich, verrät nichts über das Seelenleben der Protagonisten, außer wie schwer es ist, sich für den ein oder anderen Mann zu entscheiden. Dass dabei die Polizeiarbeit leidet, ergibt sich fast zwangsläufig, fällt aber irgendwie nicht allzu sehr ins Gewicht. Denn wenn Wildwoods wilde Polizeifraktion ihre Hausaufgaben gescheit gemacht hätte, wäre Sherrys Anwesenheit gar nicht nötig gewesen, um den gerade aus dem Gefängnis entlassenen todkranken Mörder zu überführen.

Was den ganz großen Schwachpunkt des Buches kennzeichnet: Sherry Moore ist eigentlich einem ganz anderen Roman entsprungen. Einem, der sich bewusst dafür entscheidet, die Grenzen zur Phantastik zu überschreiten und Spannung aus diesen Grenzgängen zu ziehen. Hier wirkt die titelgebende, seherische Fähigkeit Sherrys nur aufgesetzt, etwas das anscheinend Shuman selbst aufgestoßen ist, verbannt er Moore doch aus wesentlichen Teilen des Romans und schickt sie eher beiläufig ins Finale. Ein Einzug, den sie weniger ihrer einzigarteigen Fähigkeit, sondern einem dummen Zufall zu verdanken hat. In Nebenepisoden bekommen die 18 Sekunden entscheidenden Raum, doch für die eigentliche Story sind sie nahezu überflüssig. Der psychotische Killer sorgt ganz alleine dafür, dass er genügend Aufmerksamkeit bekommt. Drei Engel für Charlie sind nichts gegen eine Blinde, eine desorientierte Polizeibeamtin und Sykes letztes Entführungsopfer, eine geschundene Proletengattin mit Wut im Bauch. Die Hölle für misogyne Psycho-Killer.

Die Figur des hundsgemeinen Earl Sykes, die Ansätze zum sarkastisch-beobachtenden Cop-Roman reißen 18 Sekunden mit viel gutem Willen aus tiefsten Bewertungsrängen. Shumans Debüt ist ein Buch der verpassten Gelegenheiten; als phantastischer Thriller zu lahmarschig und spannungsarm, als harter Polizeiroman zu esoterisch und kolportierend. Eine Gratwanderung, die Abstürze in beide Richtungen produziert. Für den eigenwilligen Versuch, die halbwegs gelungenen Charakterzeichnungen und meine Fähigkeit das allzu Dämliche schnell zu überlesen, gibt´s sehr, sehr freundliche 52 Grad.

18 Sekunden

George D. Shuman, Heyne

18 Sekunden

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