Eine Messe für die Toten

  • Zsolnay
  • Erschienen: Januar 2002
  • 2
  • London: Collins, 1999, Titel: 'The Office of the Dead', Seiten: 420, Originalsprache
  • Wien: Zsolnay, 2002, Seiten: 396, Übersetzt: Renate Orth-Guttmann
  • München: Goldmann, 2005, Seiten: 379
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Lars Schafft
40°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

Ein Page-Turner im negativen Sinn

Eigenartig, diese Konstruktion. "Eine Messe für die Toten" ist der dritte Teil einer Serie und doch ihr Anfang. Autor Andrew Taylor, hochgelobt für seinen "psychologischen Scharfsinn", zäumt das Pferd von hinten auf und erzählt eine Serie eben chronologisch rückwärts. Insofern beunruhigte es mich auch nicht, den letzten bzw. ersten Teil dieser Reihe als meinen ersten Taylor zu lesen. Hoch waren meine Erwartungen an den Briten, "ein exzellenter Kriminalroman" urteilte Donna Leon. Allein dieses Zitat hätte mich schon stutzig machen sollen - aber das ist eine andere Geschichte.

Die Geschichte, die Andrew Taylor erzählt, beginnt vor dem 2. Weltkrieg mit der Mädchen-Freundschaft von Janet Byfield geborene Treevor und Wendy Appleyard schon im Internat und geht weiter und weiter und weiter. Janet heiratet David, Wendy heiratet Henry. Henry betrügt Wendy. Wendy flüchtet zu Janet, die mittlerweile Mutter von Rosie ist. Was dies alles mit einem "exzellenten Kriminalroman" zu tun hat? Ich weiß es nicht, es passiert auf den ersten zweihundert Seiten nämlich nichts, was sich nicht in diesen Paar Sätzen wiedergeben lässt. Wer sich in "Eine Messe für die Toten" vertiefen will, kann also getrost mit Kapitel 27 anfangen.

Folgendes hilft dem Späteinsteiger vielleicht noch weiter: David ist Geistlicher und wohnt mit seinen zwei Frauen auf der Domfreiheit in Rosington. Ach ja, Janets Vater, der an Altersdemenz leidende Mr. Treevor, wohnt nach dem Tod seiner Frau auch dort. Und Wendy, aus deren Perspektive Andrew Taylor die Geschichte rückblickend erzählt, arbeitet teils zum Zeitvertreib, teils zum Geldverdienen in der Dombibliothek, wo sie die Bücher katalogisiert.

Das war´s bis dahin an Plot. "Eine Messe für die Toten" ist ein "Page-Turner" der schlechten Art. Ich habe einige Absätze überlesen - nicht, weil ich es vor Spannung nicht aushalten konnte. Sondern ständig mit dem Gedanken: Jetzt muss doch endlich mal etwas passieren. Tut es aber nicht. Nicht wirklich.

Wendy stößt bei Ihrer Arbeit auf den verstorbenen Domherrn und Ex-Bibliothekar Francis Youlgreave, der damals eigenartige Ansätze (Frauen vor die Kanzel) vertrat und mit derart ketzerischen Aussagen und merkwürdigen Tiersezierungen für einen handfesten Skandal sorgte. Irgendwie hat der "Rote Domherr" (der an einer Stelle im Buch fälschlicherweise als "Roter Chorherr" bezeichnet wird) auch noch mit dem Verschwinden einer kleinen Nancy zu tun, deren Bruder behauptet, dass sie mit ihm nach Kanada ausgewandert ist. Diese Ungereimten und das Buch Francis Youlgreaves, "Engelszungen", machen Wendy neugierig und zur Detektivin.

Im Vordergrund steht jedoch weiterhin das Familienleben der Byfields, das immer schwieriger wird. Mr. Treevor benimmt sich äußerst eigenartig, kuschelt mit der minderjährigen Rosie, sieht schwarze Männer und Engel im Garten, Janet hat eine Fehlgeburt und dann: ja dann ist Mr. Treevor tot. Mit durchgeschlitzter Kehle hat er der Welt Lebewohl gesagt. Wenige Zeit später ist Janet auch tot. Überdosis Tabletten.

Wer jetzt als verwöhnter Leser knisternden Nervenkitzel und fein herausgearbeitete Psychogramme erwartet, wird enttäuscht. Die Ursache für den Tod Janets und ihres Vaters ist schnell erklärt und schnell erzählt. Bleibt noch die Sache um den unseligen Domherrn Youlgreaves. Der war beileibe kein unbeschriebenes Blatt und die Bezeichnung "rot" bekommt hinterher nicht nur eine politische Bedeutung.

Dass Andrew Taylor es schafft, diesen mageren Plot auf fast 400 Seiten zu strecken, ist bewunderswert. 150 hätten gereicht und selbst dann wäre das zuwenig Handlung für einen Krimi. So ist "Eine Messe für die Toten" eine durchaus gelungene und flüssig zu lesende Beschreibung des erzgläubigen Lebens auf dem englischen Land, gewürzt mit einer Familientragödie in der Neuzeit und einem brutalen, unmenschlichen Verbrechen um 1900. Mehr nicht. Eigentlich schade. Denn die Ansätze für einen Mystery-Psycho-Thriller waren gegeben. Leider hat es Andrew Taylor vorgezogen, daraus eine zwar tragische, letztlich aber doch ziemlich gemütliche Story um zwei Frauen zu machen. Eine verpasste Chance.

Eine Messe für die Toten

Andrew Taylor, Zsolnay

Eine Messe für die Toten

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