Inspektor O

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2008
  • 5
  • New York: St. Martin´s Minotaur, 2006, Titel: 'A Corpse in the Koryo', Originalsprache
  • München: Heyne, 2008, Seiten: 413, Übersetzt: Uli Mayer
Inspektor O
Inspektor O
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Jochen König
92°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2008

Ein meisterliches Debüt

Ein vorgeblich einfacher Überwachungsauftrag: Inspektor O. soll Fotos eines verdächtigen Wagens auf einer Schnellstraße schießen. Mangels funktionstüchtiger Batterien misslingt der Auftrag, und Inspektor O. muss sich resigniert zurückziehen. Als zwei Leichen unweit der Stelle gefunden werden, an der er auf der Lauer lag, sieht er sich plötzlich in eine finstere Intrige verstrickt. Als Drahtzieher entpuppen sich Obristen zweier verfeindeter Dienste, Kang und Kim; aber auch O.'s scheinbar loyaler Vorgesetzter Pak hat seine Finger im Spiel. So wird O. durch halb Nordkorea geschickt, gerät in die Fänge des militärischen Abschirmdienstes, dessen finsterster Vertreter der sinistre Oberst Kim ist, wird mehrfach gerettet vom undurchsichtigen Oberst Kang, der ihn in seine Dienste einspannen möchte. Ein ermordeter Finne - eben jene Leiche im (Hotel) Koryo (s. Originaltitel) wird schließlich zum Auslöser für eine Säuberungsaktion, der mehrere Hauptfiguren zum Opfer fallen. Inspektor O. kann sich mit Mühe und Not angeschlagen nach Prag retten. Dort erzählt er seine Geschichte einem irischen Agenten namens Richie, wird aber am Ende wieder in Richtung Korea aufbrechen.

Thriller, die in totalitären Systemen spielen, sind eine Seltenheit. Detektivarbeit ist demokratische Arbeit. Jeder noch so billige Kriminalroman, jede Krimiserie geht davon aus, dass Interesse daran besteht, ein Verbrechen aufzuklären. Denn das Rechtssystem einer demokratischen Gesellschaft ist (theoretisch) ein heiliges Gut; es gilt seit ehedem das einfache Prinzip von Schuld und Strafe. Nicht wegzudenken sind Behörden oder Einzelpersonen, die die Schuldigen ihrer gerechten Strafe zuführen wollen. Die wirklich guten Kriminalromane wissen davon zu berichten, wie oft dieses Rechtssystem versagt, dass nur Löcher gestopft werden, während der Staudamm bricht. Gerechtigkeit ist vielfach eine Frage der Käuflichkeit, kurz des Geldes, das eingesetzt werden kann, um ein Urteil zu kaufen. Da trifft Demokratieverständnis auf Kapitalismuskritik, und kann aus einem spannenden Timewaster ein relevantes Stück Kriminalliteratur machen. In einem totalitären System herrschen andere Gesetzmäßigkeiten. So kann korrekte Polizeiarbeit gar nicht stattfinden, da die Mittel fehlen. Da brüllen Streifenpolizisten Verdächtigen hinterher, dass sie jetzt schießen würden, wenn es eine Patronenzuteilung für ihre Dienstwaffen gegeben hätte. Da versagen Kameras, weil Batterien nicht funktionieren, eine Spurensicherung ist mangels Tatortabsicherung unmöglich, die wenigen Computer sind reparaturanfällig und nahezu unbrauchbar, selbst telefonieren wird zu einem Akt der Herausforderung. Zugleich misstraut jeder jedem, verschiedene Dienste bekämpfen sich gegenseitig, das tägliche Leben ist durchsetzt von rigiden Kontrollmaßnahmen, Observierungen und Vorgaben, die sich an hohlen Phrasen orientieren, statt an realen Gegebenheiten. Ein dumpf, aber effektiv organisierter Überwachungsstaat, der glücklicherweise seine Steinchen im Getriebe hat. Eines davon ist Inspektor O.

O. ist ein entfernter Verwandter von Kafkas Josef K., ihm wird zwar (noch) nicht der Prozess gemacht, aber er befindet sich unwillen- und unwissentlich in den Fängen einer Bürokratie, die an Wahrheitsfindung nicht interessiert ist, deren oberstes Ziel der Schutz eigener Belange ist. Wenn innerhalb dieses Apparates widerstreitende Gruppen aufeinandertreffen, ist der Ruf nach einer "Säuberung" nicht weit. Und genau die passiert und hinterlässt Leichen. Logischerweise will die siegende Gruppierung eine Entlarvung ihrer Machenschaften verhindern. Hier nähert sich Churchs Thriller dem Gestus des Hardboiled-Romans. Denn O. ist nicht bloß kafkaeske Figur, sondern ebenso die ironisch gebrochene Wiedergeburt des klassischen Noir-Helden. Gefangen in einem System, dessen Spielregeln er zwar erahnt, die er teilweise sogar gewitzt beherrscht, wollen die ausführenden Helfer des Totalitarismus ihn permanent beugen. Doch trotz aller Widerstände setzt O. hartnäckig alles daran, mehrere Mordfälle aufzuklären. Als er am Ende ein paar lose Fäden verknüpfen kann - auch wenn es keine endgültige und komplette Auflösung gibt -, sind einige Beteiligte nicht mehr zu retten. O. sieht sich allenfalls in der Lage, eine Intrige mit der vagen Aussicht zu schmieden, das ihr ein Drahtzieher und Mörder zum Opfer fallen wird.

James Church hat mit Inspektor O. ein meisterliches Debüt vorgelegt. Als mehrfach unterbrochene Rückblende angelegt, macht Church von Anfang an keinen Hehl daraus, wie die Geschichte ausgehen wird. Trotzdem ist Inspektor O. ein ungemein spannendes Werk, das seine Spannung aber nicht alleine aus O.s Ermittlungsarbeit zieht - eher im Gegenteil, es dauert weit über hundert Seiten bis die Mordfälle an Bedeutung gewinnen -, sondern aus den Unsicherheiten, den Unwägbarkeiten, die eine diktatorische Gesellschaft mit Gewalt gegen ihre Feinde aufbietet. Nur wenige Aufrechte kümmert es, ob Kinder, Frauen, unbeteiligte Zeugen oder wackere Kämpfer für die Gerechtigkeit unter die Räder kommen, oder sogar ihr Leben verlieren. Sieger haben immer Recht und keine Probleme damit, stumpfe Gewalttaten zu vertuschen. Churchs vielschichtiger Roman zeigt das beklemmende Bild einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft, die nur durch unmenschliche Kontrollmechanismen zusammengehalten wird. Er tut dies mit den Mitteln des Kriminalromans, er spielt mit Klischees und lässt ihnen eine ganz neue Bedeutung zukommen. Das macht das Originäre seines Romans aus. Inspektor O. ist ein frühes Highlight dieses Krimijahres. Kommende Bücher müssen verdammt hoch springen, um über diese Messlatte zu gelangen.

Leider lässt sich derart Gutes von der deutschen Bearbeitung kaum behaupten. Setzfehler en masse; da wird aus einem "auf" schon mal ein "auch" and so on. Der Klappentext ist eine formale und inhaltliche Katastrophe. Die Übersetzung hinterlässt ebenfalls Verwunderung, z.B. wenn Fahrradreifen "Undichtigkeit" angedichtet wird, oder ein Kühlschrank "ausgesteckt" wird. Der übermäßige Gebrauch des Plusquamperfekts "war [so oder so] gewesen" irritiert und nervt ebenfalls. Zu schade bei einem Buch, das sich eine sorgfältige und gewissenhafte Behandlung redlich verdient hat. Wo sind Harry Rowohlt oder Jürgen Bürger (meinetwegen auch Sepp Leeb), wenn man sie braucht?

Inspektor O

James Church, Heyne

Inspektor O

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