Engel und Einsame

  • Diogenes
  • Erschienen: Januar 2000
  • 3
  • Santiago de Chile: Planeta, 1995, Titel: 'Angeles y solitarios', Originalsprache
  • Zürich: Diogenes, 2000, Seiten: 330, Übersetzt: Maralde Meyer-Minnemann
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Wolfgang Weninger
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2003

Fesselt von der ersten Minute ohne große Schnörkel - mit sprachlicher Substanz

Santiago de Chile. Gelegentlich kommt der heruntergekommene Privatdetektiv Heredia aus seinem selbst auferlegtem Umfeld aus Stolichnaya und Mief, aufgefangen in den zahlreichen Kaschemmen der chilenischen Hauptstadt. Seine Wohnung spiegelt die tristen Verhältnisse wieder, die in dem Land seit Beendigung der Militärjunta unter General Pinochet für die Durchschnittsbevölkerung zum Alltag geworden ist.

In einem lichten Moment der Nüchternheit liest Heredia nach einer seiner gewohnten Diskussionen mit dem zugelaufenen Hauskater die Post in seiner Tasche. Darunter ist auch eine Karte seiner früheren Geliebte Fernanda, die darauf ihr Kommen ankündigt. Allerdings ist die Karte schon drei Tage alt und Heredia muss erst einmal darüber nachdenken, wann er die alte Liebe aufsucht und das macht er am liebsten bei einem oder mehreren Drinks. Sein alter Freund Dagoberto Solis, seines Zeichens Kriminalbeamter, enthebt ihn dieser Entscheidung, denn Fernanda ist tot. Selbstmord.

Fernanda und Selbstmord? Nie und nimmer. Heredia säuft sich nüchtern und beginnt zu ermitteln. Denn in dem Luxushotel, in dem Fernanda der Tod ereilt hat, sind kurz zuvor noch zwei andere, angebliche Selbstmorde passiert. Einer betraf den amerikanischen Journalisten Hillerman und der andere einen einheimischen Koch. Und irgendwie hängen für Heredia diese scheinbaren Zufälligkeiten zusammen.

Unterstützt vom Kioskbesitzer Anselmo und dem blinden Nachbarn Stevens sucht Heredia Steinchen für Steinchen zusammen. Auch Solis unterstützt ihn so gut als möglich, obwohl die chilenische Polizei wegen ihrer Korruption gezielte Nachforschungen nicht erlaubt und Solis Privatleben durch familiäre Probleme, Alkohol und Koks reichlich belastet ist. Zwischenzeitlich schneit auch noch die Tochter eines alten, verstorbenen Freundes zur Tür herein und macht sich in Heredias Wohnung breit.

Dass der alternde Detektiv und das junge Mädchen liebend zueinander finden und im Lauf der Handlung ein Team werden ist eigentlich nur eine Nebengeschichte bei der Klärung der Morde, die Heredia in den Sumpf illegaler Waffengeschäfte und politischem Machtmissbrauch führen.

Eterovic hat hier einen Privatdetektiv geschaffen, der (wie fast alle Privatdetektive?) am Anfang der Handlung ziemlich heruntergekommen ist und gnadenlos den Promillen im Glas zuspricht. Trotz der tristen Anfangsstimmung entwickelt sich bereits auf den ersten Seiten eine Spannung, die nicht nur durch das Ambiente Santiago de Chiles, sondern auch die versponnene Eigenartigkeit des Protagonisten fasziniert. Ein Mensch, der sein Leben mit Gelegenheitsjobs in der Halbwelt zwischen Säufern und Huren fristet und Zwiesprache mit einem Straßenkater hält, ist ja nicht gerade der nette Junge von Nebenan. Dennoch hat er sich sein Ehrgefühl bewahrt und vertritt die alten Tugenden von Freundschaft und Ritterlichkeit, wobei Eterovic die Grenzen zwischen Gut und Böse durch die auferlegten Schicksalsschläge und ihre Folgen nahtlos verwischen lässt, genau wie es die Handlung braucht.

Dieser Buch gibt einen interessanten Einblick in eine andere Kulturlandschaft, die wahrscheinlich vielen von uns längst nicht so vertraut ist, wie es die Geschichten aus Italien, Griechenland oder Schweden sind. Gerade durch diese anders wirkende Lebensart gewinnt der Krimi an Interesse und an Leidenschaft. Dazu noch eine Geschichte, bei der man sich in jeder Phase vorstellen kann, dass sie sich genau so und nicht anders abspielen musste. Eine klare Topwertung, die sich nicht nur auf die Andersartigkeit dieses Krimis bezieht, sondern auch für die sprachliche Substanz, die es versteht, ohne große Schnörkel schon von der ersten Minute an zu fesseln und über die volle Länge die Spannung zu erhalten.

Engel und Einsame

Ramón Díaz Eterovic, Diogenes

Engel und Einsame

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