Innere Sicherheit

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2006
  • 9
  • München; Zürich: Piper, 2006, Seiten: 412, Originalsprache
  • München; Zürich: Piper, 2007, Seiten: 412, Originalsprache
  • München; Zürich: Piper, 2009, Seiten: 412, Originalsprache
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Thomas Kürten
72°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2008

Flucht aus der totalen Überwachung

Christa Bernuth ist mit "Innere Sicherheit" in eine klaffende Lücke vorgestoßen, die bislang durch deutsche Kriminalliteratur viel zu selten aufgearbeitet worden ist. "Innere Sicherheit" spielt in den 1980er Jahren, zu einer Zeit, in der in Ost und West wohl noch niemand an die nahende Vereinigung von DDR und BRD erwarten konnte. Und er spielt ausschließlich in der ehemaligen DDR, obwohl auch dieser Roman eine beide deutschen Staaten umfassende Thematik beschreibt. Dabei schildert Christa Bernuth die Besonderheiten und Tücken, die ein auf Überwachung ausgelegtes Staatssystem mit sich bringt.

Martin Beck heißt Bernuths Hauptfigur. Eine zufällige Namensgleichheit mit dem großartigen schwedischen Kommissar, der der Protagonist in den zehn Romanen des Autorenduos Sjöwall / Wahlöö war? Seisdrum, hier ist Martin Beck kein exponierter und erfahrener Leiter einer Mordkommission, sondern arbeitet als ABV (Abschnittsbevollmächtigter der Volkspolizei) auf der Ostseeinsel Rügen. Als an seine Küste die Leiche einer Frau geschwemmt wird, wundert sich der junge Beamte zunächst über die Umstände ihres Todes, bald aber auch über die Tatsache, dass ihm der Fall von hoher Stelle entzogen wird. Hanna Schön war eine allseits beliebte Köchin, regimetreu und unauffällig. Durch eine Indiskretion erfährt Beck, dass sie erschossen wurde, jedoch durch keine Waffe des Grenzschutzes oder der Volkspolizei. Wer war die Frau, deren Tod so viele Rätsel aufwirft? Die Wahrheit liegt auf der anderen Seite der innerdeutschen Grenze.

Gegen das System

Der Autorin gelingt es gut, die besonderen Gefahren des Überwachungsstaates zu präsentieren. Auf der einen Seite bedient sich Beck selber den VP-Helfern, die der Volkspolizei offen Auskünfte über ihre Mitbürger geben. Auf der anderen Seite jedoch fürchtet er die Repressionen, die dieses System für ihn selbst birgt. Seine Mutter hat sich in den Westen abgesetzt, weswegen seine viel versprechende Karriere auf ein Abstellgleis geraten ist. Als er die Wahrheit über Hanna Schön herausfindet, gerät der Rest seines Glaubens an das System aus den Fugen. Beck, der die Arme der Behörden kennt, kann selbst nur mit viel Mühe den vielen Augen des Staates entkommen und sein Vorsprung schmilzt, je länger er seine Dienstanweisungen nicht befolgt. Bedrückend, wie der Besuch beim älteren Bruder und das Abendessen mit dessen Freunden in gegenseitigem Misstrauen beginnt. Wer ist Freund, wer ist Feind? Diese ständig lauernde Angst vor der freien Meinungsäußerung ist in Bernuths Roman sehr gut heraus gearbeitet.

Doch genau in der Figur des Martin Beck liegt der größte Kritikpunkt an diesem Roman. Ein Rätsel, woraus dieser Mann seine Motivation schöpft. Als einer der wenigen Seeleute der DDR sah er entfernte Länder. Kuba, Vietnam. Seinen Augen blieben die Entbehrungen seines Landes nicht verborgen, Geschenke, die von den kommunistischen Bruderstaaten verschmäht wurden. Hier bereits stellte er das System in Frage. Aus der Marine auszutreten, um dann an der Berliner Mauer Dienst an der Waffe zu leisten, erscheint dem Leser schon nicht nachvollziehbar. Warum er auch hier traumatische Ereignisse verdrängt und fortan Karriere bei der Volkspolizei machen will, wirkt unlogisch. Und warum ist der Tod einer Köchin plötzlich so interessant für ihn, dass er dann auf einmal gegen das System ermittelt?

Drohkulisse

Ausgerechnet zwei zusammengeknüllte Briefe, die die Beamten des Ministeriums für Staatssicherheit bei ihrer Hausdurchsuchung bei Hanna Schön "übersehen" haben, führen Beck auf eine heiße Spur. Auch dies kann nicht gerade überzeugen. Doch sobald er erst einmal den Weg zur Schlüsselperson gefunden hat und sich damit gegen das System gewendet hat, gewinnt der Roman ungemein an Dramatik.

Der Roman profitiert von dieser gründlich recherchierten Drohkulisse. Hier ist Bernuth stark, hier kann sie den Leser in ihren Bann ziehen. Auch der Hintergrund, den sie für diesen deutsch-deutschen Krimi gewählt hat, ist brisant und für Verschwörungstheorien geeignet. Jedoch wagt die Autorin hinsichtlich ihres Protagonisten und des Falles einen Drahtseilakt, der nur schwer zu bewältigen ist - und den sie letztlich in ein aufregendes Finale führt.

Innere Sicherheit

Christa Bernuth, Piper

Innere Sicherheit

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