Die Geiseln

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2007
  • 4
  • München: dtv, 2007, Seiten: 460, Übersetzt: Stefan Moster
  • Helsinki: WSOY, 2006, Titel: '6/12', Originalsprache
Die Geiseln
Die Geiseln
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Jörg Kijanski
65°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2007

Was tun, wenn die gesamte Staatselite als Geiseln genommen wird?

Der in Den Haag als Kriegsverbrecher verurteilte serbische Oberst Borislav Jankovic sitzt in einem finnischen Gefängnis seine Haftstrafe ab. Dessen Söhne Vasa und Radovan sehen die Ehre ihres Landes wie auch die ihrer Familie besudelt und wollen daher ihren Vater befreien. Hierzu nehmen sie die schwangere Frau von Jankovics Gefängniswärter als Geisel und erpressen die Freilassung ihres Vaters. Doch die finnische Polizei will sich international keine Blösse geben und stoppt das Fluchtauto. Bei einem Schusswechsel stirbt Radovan und auch die Geisel wird schwer verletzt. Da Oberst Jankovic gesundheitlich angeschlagen ist, muss ihn sein Sohn Vasa zurücklassen und flüchtet vor der Polizei in seine Heimat Schweden.

In Stockholm angekommen steht eigentlich der nächste Überfall auf einen Geldtransporter auf dem Programm, mit denen sich Vasa und seine Freunde ihren aufwändigen Lebensunterhalt sichern. Doch da kommt Vasa eine Idee, mit der sie nicht nur zu unermesslichen Reichtum kämen, sondern gleichzeitig seinen Vater befreien könnten. Am 06. Dezember, dem finnischen Unabhängigkeitstag, trifft sich die Elite des Landes zum Empfang beim Staatspräsidenten. Vasa und seine Freunde wollen dieses Ereignis nutzen und in den Palast eindringen, denn bei derartig hochkarätigen Geiseln würde sich die finnische Polizei nicht auf weitere Eingriffe einlassen, sondern die Forderungen der Entführer erfüllen müssen. So machen sich sechs schwer bewaffnete Serben, teilweise mit langjähriger Kriegserfahrung aus dem Kosovo, auf zu ihrer Mission, die zunächst zu scheitern droht, da Vasa und sein Kumpel Danilo vor der Besetzung des Palastes verhaftet werden. Den vier verbliebenen Freunden gelingt jedoch das scheinbar Unmögliche. Sie besetzen den Präsidentenpalast und nehmen rund 100 ranghohe Geiseln. Kurz darauf wird ihre erste Forderung erfüllt. Vasa und Danilo werden freigelassen, denn die Polizei ist mit der Situation völlig überfordert...

 

"Sollten wir schon mal die Armee um Hilfe bitten?"
"Solche Entscheidungen werden auf höherer Ebene getroffen."
"Eigentlich schon, aber die höhere Ebene ist komplett in der Residenz versammelt."

 

Klar, dass in einer solch' ausweglos erscheinenden Situation nur zwei Menschen die Geiseln retten können. Kommissarin Johanna Vahtera von der KRP, dem zentralen Kriminalamt Finnlands, und Timo Nartamo von der TERA, der Anti-Terror-Einheit der EU.

Leider einige Schwächen.

Freunden des finnischen Topautors kann dieses Buch natürlich nahezu uneingeschränkt empfohlen werden, da Remes ein weiterer Pageturner aus der Feder gerutscht ist. Dieser hat allerdings einige Schwachstellen, die man zweckmäßigerweise großzügig übersehen sollte, da sonst auch Remes-Fans die Freude über dessen neues Werk ein wenig vergehen dürfte. So stellt beispielsweise nach der Befreiung von Oberst Jankovic die Polizei das Fluchtauto. Warum bei dem folgenden Schusswechsel Vasa nicht an dessen Flucht gehindert wird bzw. warum er nicht von den anwesenden Scharfschützen zumindest angeschossen wird, bleibt das Geheimnis des Autors. Sicher, die Geschichte wäre an dieser Stelle frühzeitig zu Ende, aber etwas intelligenter hätte man das Szenario schon gestalten dürfen. Ebenso erschreckend simpel erfolgt die Besetzung des Präsidentenpalastes. Kann es wirklich sein, dass bei der größten und wichtigsten Veranstaltung des Jahres gerade einmal vier Männer ausreichen, um die Residenz zu stürmen und die gesamte Elite des Landes als Geiseln zu nehmen?

Interessante Einblicke auf den Krisenherd Balkan

Sieht man über solche Schwachstellen hinweg liest sich "Die Geiseln" flüssig weg und so beschäftigen einen die rund 460 Seiten maximal ein Wochenende lang. Der eigentliche "Schwachpunkt" ist aber der Plot selber, denn was soll man aus der Thematik einer Entführung groß herausholen? Überraschend gelingt es Remes einige positive Akzente (insbesondere bei der "Auflösung") zu setzen, jedoch hätte hier einiges mehr passieren dürfen.

 

"Ich glaube nicht, dass es aus den Ministerien Anweisungen hageln wird."
"Das hier ist etwas für Profis. Da würden die Ansichten von Politikern ohnehin nicht ins Gewicht fallen."

 

Klischeehafterweise drängt sich ein machthungriger Abgeordneter unter die Gefangenen, um auf sich aufmerksam zu machen, allerdings dürfte im Ernstfall davon auszugehen sein, dass ihn die Entführer angesichts seines Verhaltens recht zügig zum Schweigen gebracht hätten. Die Geiseln verhalten sich insgesamt auffallend ruhig, kaum etwas ist von Panik zu verspüren und auch die Entführer gehen relativ entspannt mit der Situation um. Nur selten gibt es Spannungen untereinander und wenn, enden sie meist so abrupt wie sie aufgekommen sind.

Wer sich aber vor allem für die politische Dimension des Balkankonfliktes, welche hier ausführlich beleuchtet wird, interessiert, darf einmal mehr bei Remes zugreifen.

Die Geiseln

Ilkka Remes, dtv

Die Geiseln

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