Der grüne Bogenschütze

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 1928
  • 15
  • London: Hodder & Stoughton, 1923, Titel: 'The green archer', Seiten: 318, Originalsprache
  • Leipzig: Goldmann, 1928, Seiten: 454, Übersetzt: Ravi Ravendro
  • Zürich: Schweizer Druck- und Verlagshaus, 1952, Seiten: 344, Übersetzt: Ravi Ravendro
  • München: Goldmann, 1956, Seiten: 219, Übersetzt: Richard von Grossmann
  • München: Goldmann, 1958, Seiten: 193, Übersetzt: Richard Grossmann
  • München: Goldmann, 1972, Seiten: 193, Übersetzt: Gregor Müller
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1984, Seiten: 251, Übersetzt: Erwin Schuhmacher
  • München: Heyne, 1989, Seiten: 218, Übersetzt: ?
  • München: AirPlay-Entertainment, 2007, Seiten: 3, Übersetzt: Tommi Piper
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Michael Drewniok
20°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

Tüchtig angestaubte Krimimär aus einer anderen Welt, die eher zum Grinsen als zum Gruseln reizt

Abel Bellamy, geboren in der Gangsterstadt Chicago und schon von daher erblich vorbelastet, hat es als Baumagnat zu einem Millionenvermögen und einem Schloss in England gebracht. Für dessen dicke Mauern muss er dankbar sein, beschützen sie ihn doch vor seinen Feinden. Die sind reich an der Zahl, denn Bellamy ist ein rechter Widerling; herzlos, brutal, notfalls auch über Leichen gehend, um seinen Willen durchzusetzen.

Aber in Garre Castle, gelegen in einem ländlichen Winkel der Grafschaft Berkshire, geht es seit kurzem um. Ganz in Grün gewandet schleicht des Nachts ein geheimnisvoller Bogenschütze durch die lichten Hallen. Ist es wirklich der Geist des Wilderers, der hier im Mittelalter auf Geheiß des Burgherrn grausam hingerichtet wurde? Abel Bellamy glaubt nicht an Gespenster, aber an den Einfallsreichtum seiner rachsüchtigen Mitmenschen. Die Auswahl ist wie gesagt groß, und ganz vorn in der Reihe steht Julius Savini, Bellamys Privatsekretär, ein Dieb, Betrüger und Erpresser, wie sein Herr wohl weiß und den jungen Mann bei jeder Gelegenheit boshaft spüren lässt.

Inzwischen hat Savini sein kriminelles Repertoire erweitert und betätigt sich als Spitzel für die junge Millionärstochter Valerie Howett. Ihrer Familie hat Bellamy in der Vergangenheit hart zugesetzt. Savini soll ihr helfen, in den Papieren seines Herrn Unterlagen zu finden, die untermauern, dass Bellamy einst Valeries Mutter entführen und verschwinden ließ. Der misstrauische Bellamy hält seine düsteren Geheimnisse jedoch wohl verborgen, so dass Savini zu glauben beginnt, die ungeduldige Valerie habe sich in der Maske des grünen Bogenschützen selbst auf die Suche begeben.

Oder ist es ihr Vater, der alte Walter Howett, ein gebrochener Mann, der Bellamy für sein Unglück verantwortlich macht? Womöglich John Wood, ein Menschenfreund, der sich geschworen hat, Bellamy an den Galgen zu bringen? Fay, Savinis geldgierige Gattin? Charles Creager, der undurchsichtige Gefängniswärter, der Bellamy zu erpressen scheint? Coldharbour Smith, Bellamys hündisch ergebener und ebenso geschurigelter Handlanger? Etwa Inspektor James Featherstone von Scotland Yard, der immer wieder an den unwahrscheinlichsten Orten um Garre Castle auftaucht, obwohl es angeblich gar keinen Verbrecher zu fangen gibt?

Nun, Charles Creager war wohl nicht der Bogenschütze, denn er ist der erste, den man tot und mit einem grünen Pfeil im Herzen unweit des Schlosses auffindet. Dies gelingt Spike Holland, dem rasenden Reporter des "Daily Globe". Das Gespenst von Garre Castle hat ihn nach Berkshire gelockt, wo er nun sehr zum Ärger des pressescheuen Abel Bellamy jeden Stein umdreht und dabei dem eigentlichen Geheimnis des Schlosses auf die Spur zu kommen droht, das wesentlich spektakulärer ist als ein geisterhafter Bogenschütze.

Dieser sorgt allerdings dafür, dass er nicht ins Hintertreffen gerät. Weder scharfe Hunde noch Pistolenkugeln halten den Spuk fern von Garre Castle, und es kommt der Tag, an dem der grüne Bogenschütze erneut seinen Bogen spannt ...

"Der grüne Bogenschütze", entstanden im Jahre 1923, ist nicht nur einer der bekanntesten, sondern auch besseren Kriminalromane des einst unerhört populären Richard Horatio Edgar Wallace (1875-1932). Das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit bei einem Mann, der in einer gerade ein Vierteljahrhundert währenden Schriftsteller-Laufbahn 175 Romane meist eher fabrizierte als verfasste; 24 Theaterstücke und eine Flut von Kurzgeschichten, Essays, Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln, Drehbüchern etc. sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Natürlich ist die Geschichte einfach hanebüchen oder sogar lächerlich. Man merkt ihr an, dass die Zeit nicht stehen geblieben ist seit 1923 und sich der Geschmack des Krimilesers - von der Kritik oft als mainstreamfixierter Holzkopf gescholten - doch gewaltig gewandelt hat. Die Begründung des Rächers hinter der Bogenschützen-Maske für sein verhülltes Treiben ist schlicht hirnrissig, aber es rührt den Betrachter auch heute noch, wenn eine geisterhafte Gestalt durch ein altes Schloss gaukelt. Heute macht der Nostalgiefaktor zusätzlich einiges wett - und die Figur des Abel Bellamy, mit dem Wallace wahrlich ein Kotzbrocken gelungen ist, der im Gedächtnis haften bleibt! Er wurde im "Bogenschütze"-Spielfilm von 1961 gewohnt eindrucksvoll von Gerd Fröbe verkörpert, der dennoch nicht halb so widerlich agiert wie sein Vorbild, das voller Wonne seine echten und eingebildeten Feinde über die ganze Welt verfolgt, in Käfige sperrt und wie Ratten ersäufen will. (Der literarische Inspektor Featherstone muss dagegen unschuldig unter dem Pech leiden, im besagten Film ausgerechnet von Klausjürgen Wussow gemimt zu werden.)

Der Rest des Figurenpersonals bleibt blass. Spike Holland hat das Pech, einem Berufsstand anzugehören, dessen Bullenbeißer-Image inzwischen nicht mehr wie noch zu Wallaces Zeiten zu ungeteilter Bewunderung Anlass gibt. In den Wilden Zwanzigern war die Grauzone zwischen Berichterstattung, übler Nachrede und Hausfriedensbruch freilich noch dehnbarer. Wallace müsste es gewusst haben, gehörte er doch selbst einst der Journalisten-Zunft an.

Wenig freundliche Gefühle dürfte die Lektüre des "Bogenschützen" bei den weiblichen Lesern wecken. Frauen sind für Edgar Wallace stets Objekte der Bewunderung und der Begierde, die von Gatten, Vätern oder Vorgesetzten wie Schachfiguren eingesetzt werden und ansonsten in kriminellen Gefahrenmomenten zuverlässig in Ohnmacht fallen, damit sie vom Bösewicht bedroht und vom Helden gerettet (und später geheiratet) werden können. (Am Ende des "Bogenschützen" steht sogar eine Dreifach- Hochzeit ins Haus; mehr bis dato unbemannte Figuren weiblichen Geschlechts treten in diesem Werk auch gar nicht auf ...)

Die vorliegende Ausgabe des "Grünen Bogenschützen" stützt sich noch immer auf die nun schon fast ein halbes Jahrhundert alte Übersetzung des Richard von Großmann. Sie ist nicht nur drollig zu lesen, sondern konserviert unabsichtlich einige zeitgenössische Elemente dieses Romans, der anders als die erwähnten Klischees und Chauvinismen nicht so einfach mit einem nachsichtigen Lächeln übergangen werden können. Nicht nur im "Bogenschützen" erweist sich Wallace als arger Snob, der zudem nicht frei von rassistischen Anwandlungen ist. Julius Savini wird als triebhaft verbrecherisches, mehr vom Gefühl als vom (ohnehin nicht so stark wie beim gesunden Angelsachsen entwickelten) Intellekt geleitetes Kind gleich zweier angeblich erbschwacher Menschenrassen - hier Inder und Italiener - gebrandmarkt. Der stumme Chinese Sen ist der unheimliche, kaum menschliche Fremde par excellence, der seinem Herrn Abel Bellamy als unsichtbarer Schatten und Sklave robotergleich bis in den Tod folgt. Doch auch hier muss man lernen zu differenzieren: Wallace ist nicht unbedingt vorsätzlich dünkelhaft - er wusste es wie so viele seiner Zeitgenossen einfach nicht besser. Unter diesen Umständen ist es durchaus logisch, dass Wallace den schwächlichen Kleinkriminellen Savini im weiteren Verlauf der Handlung über sich selbst hinauswachsen und zum echten Helden und Sympathieträger entwickeln lässt. (Wer seine nach dieser Lektion frisch erworbene Nachsicht erneut auf die Probe stellen möchte, greife zu einem von Wallaces berühmten "Afrika"-Romanen, die im britischen Kolonialreich ebendort spielen und u. a. die Abenteuer des "lustigen Negerhäuptlings Bosambo" - O-Ton deutsche Verlagswerbung - schildern - d i e werden schon lange nicht mehr neu aufgelegt ...)

So landet der "Grüne Bogenschütze" zwar auch keinen Volltreffer, aber er lässt sich wenigstens lesen - und sei es nur, um anschließend wieder würdigen zu können, was wir an Agatha Christie, dem zweiten Dauerseller-Schlachtross des deutschen Krimi- Buchhandels, haben ...

Der grüne Bogenschütze

Edgar Wallace, Goldmann

Der grüne Bogenschütze

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