True Crime. Die spektakulärsten Verbrechen der Geschichte

  • Erschienen: Januar 2000
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Seine aktuelle Reise führt das Ehepaar Paul und Steve Temple nach England: Paul, der als Schriftsteller ebenso berühmt ist wie als Amateur-Detektiv, hat der berühmten Schauspielerin Iris Archer ein Theaterstück auf den schönen Leib geschrieben. Zu seinem Erstaunen sagt sie, die zunächst die Rolle der "Lady Seaton" spielen wollte, nunmehr ohne Angabe von Gründen ab. Enttäuscht begeben sich die Temples auf einen längeren Urlaub, der sie nach Schottland in das idyllische Dörflein Inverdale führt.

Noch bevor sie ihr Ziel erreichen, werden sie von einem jungen, sehr aufgeregten Mann angehalten, der ihnen einen Brief übergibt, den sie unbedingt einem Mr. John Richmond in Inverdale übergeben sollen. Der hilfsbereite Temple schlägt ein - und wird neugierig, als ihn zwei zwielichtige Gestalten behelligen, denen er unbedingt besagten Brief aushändigen soll. Temple täuscht sie mit einem Trick und will in Inverdale Kontakt zu Richmond aufnehmen. Der entpuppt sich als Sir Graham Forbes, Chief Commissioner von Scotland Yard und ein alter Freund der Temples, der hier offenbar auf einer geheimen Mission ist. Im Gasthof "Royal Gate" taucht darüber hinaus Iris Archer auf!

Wie der Zufall so spielt, sind die Temples genau dorthin gereist, wo ein international aktiver Spionagering sein Unwesen treibt. Die Kunde von einer angeblichen militärischen Wunderwaffe wurde ihrem Anführer - dem mysteriösen "Z.04" - vom britischen Geheimdienst zugespielt, der sich tatsächlich aus der Reserve locken und den Erfinder nach Schottland verschleppen ließ. Dort hat er inzwischen seine Erfindung verbessert, die nunmehr funktioniert und auf keinen Fall das Land verlassen darf!

Temples Auftauchen sorgt für Nervosität unter den Spionen. Als er und Steve nur knapp einem Mordanschlag entgehen, schaltet sich der ergrimmte Detektiv in die Ermittlungen ein. Dank seiner Fähigkeiten entlarvt er allmählich die einzelnen Bandenmitglieder, zu denen auch Iris Archer zählt. Doch wenn es nicht gelingt, "Z.04" die Maske vom Gesicht zu reißen, könnte der Coup der Spione noch gelingen ...

Krimi-Klassik & Thriller in kurioser Verquickung

Francis Durbridge gehört zu denjenigen Schriftstellern, die einst in Deutschland einen Ruf wie Donnerhall besaßen und dessen Werke Rekordauflagen erzielten. Die heutige Generation eifriger Krimileser kennt ihn jedoch nicht mehr. Jahre zurück liegt jene Ära, in der "Durbridge" als Synonym für intelligente, sorgfältig produzierte TV-Mehrteiler - heute würde man von "Mini-Serien" sprechen - stand. "Das Halstuch" oder "Melissa" lockten in den 1960er Jahren - es gab damals nur zwei Fernsehsender - mehr als 90% der Zuschauer vor die noch schwarzweiß strahlende Röhre; kein Wunder, dass Durbridge den Deutschen als Gott seines Genres galt!

Das ist er nicht, wie sich bei nüchterner Betrachtung herausstellt. "Paul Temple und der Fall Z" mag zwar nicht der beste Roman seines Verfassers sein, doch typisch ist er durchaus: ein Krimi, den wir heute gern "klassisch" nennen, weil er in einer Art Operetten-Britannien spielt und sich die Figuren mit einem Spiel beschäftigen, das wir "Whodunit?" nennen. Ein Verbrechen ist geschehen, dem sich weitere kriminelle Untaten anschließen. Im Wettlauf mit dem Bösen ermittelt in der Regel ein Detektiv - die Polizei begnügt sich mit der Rolle des Steigbügelhalters - und kann in letzter Sekunde den Fall lösen sowie den Täter oder die Täterin entlarven. Bis es so weit ist, konnten auch die Leser miträtseln; der Verfasser streute gut versteckt diverse Hinweise ein.

Die fallen hier freilich ein wenig zu deutlich aus, so dass man rasch merkt, wer sich als "Z.04" tarnt. Ohnehin sollte man nachsichtig an die Lektüre dieses Romans gehen, um zum Schutze der Nackenmuskulatur allzu ausgiebiges Kopfschütteln zu vermeiden. "Paul Temple und der Fall Z" wurde 1940 veröffentlicht und erzählt eine Spionagegeschichte. Eigentlich ist völlig klar, wer hinter den Spionen stecken muss: die Nazis, mit denen sich Großbritannien zu diesem Zeitpunkt bereits im Krieg befand. Doch davon lesen wir kein einziges Wort: "Paul Temple und der Fall Z" spielt offensichtlich vor Ausbruch des II. Weltkriegs.

In diesem unseren Lande wurde besonders im Bereich der "leichten Lektüre" gern ausgeblendet, was auf die unschöne Episode des "III. Reiches" verwies. So mancher zeitgenössische Serienheld gab den Nazis Saures, ohne dass man die womöglich darob eingeschnappten deutschen Leser damit nach 1945 konfrontiert hätte. Deshalb blieb auch dieses Buch im Gegensatz zu den meisten anderen Romanen der Temple-Serie in den 1960er und 70er Jahren ohne Eindeutschung. Erst 2006 wurde "Paul Temple und der Fall Z" zum ersten Mal in Deutschland veröffentlicht; die deutschen Leser verkraften es nunmehr, dass ihre Landsleute einst nicht wohl gelitten waren, weil sie einen Weltkrieg entfesselt hatten ...

Allerdings gibt es Indizien dafür, dass sich Durbridge selbst einer gewissen Realitätsflucht schuldig gemacht hat. Er war kein Enthüllungsschriftsteller, sondern ein "professional writer", der sein Publikum primär unterhalten wollte. Nur so lässt sich die Naivität des Plots erklären (oder entschuldigen), den er uns in "Paul Temple und der Fall Z" präsentiert! Seit John Buchans Geheimagent Richard Hannay 1915 in "The Thirty-Nine Steps" (dt. "Die 39 Stufen") Spione durch Schottland jagte, hat sich im Agentengeschäft offenbar nicht viel getan. Die Organisation des "Z.04" besticht durch ihre vollkommene Realitätsferne; hier agieren Kino-Spione der B-Kategorie.

Ebenso kindisch gestaltet Durbridge auch sonst das "geheimdienstliche" Umfeld: Da erfindet ein Hobby-Genie in seinem Kartoffelkeller eine Superwaffe; er bietet sie dem britischen Kriegsministerium an, das ihn vor die Tür setzt, weil eine Kleinigkeit noch nicht funktionieren will; "Z.04" schnappt sich den Erfinder und richtet ihm ein Labor in der schottischen Einöde ein, wo er sein Werk vollenden soll; die britische Regierung erfährt davon, weil der Bruder des Erfinders diesen nicht mehr besuchen darf; daraufhin schleust man einen Maulwurf ein, der zu den dümmsten seiner Branche gehört, und entsendet einen ältlichen Scotland-Yard-Beamten als Kontaktmann, der in einem geisterbahnhaften Gasthaus residiert; dieser hat wiederum keinerlei Bedenken, den Kriminalschriftsteller und Privatmann Paul Temple in die Ermittlungen zuintegrieren.

Nein, diese "Geheimwaffe" und diejenigen, die sich darum balgen, sollte man als reine Mittel zum eigentlich Zweck betrachten. "Paul Temple und der Fall Z" ist ein waschechter "Whodunit?"-Krimi, den Durbridge ein wenig "aufpeppen" wollte. Spionage ist in Kriegszeiten stets ein auch hinter der Front präsentes Thema ("Feind hört mit"), so dass er darauf verlassen konnte, auch dann verstanden zu werden, wenn er das Thema eher abstrakt anging.

Gegen Gentlemen haben Schurken keine Chancen!

Dies bestätigt die Figurenzeichnung, die im klassischen Rätselkrimi seit jeher recht simpel und schematisch ausfällt. Das Verbrechen ist einerseits die Ausnahme von der Regel und andererseits eine sportliche Herausforderung für Menschen, die offenbar keine anderen Aufgaben und Sorgen haben. Paul Temple soll ein Schriftsteller sein, doch er findet immer die Zeit, durch die Lande zu reisen und Kriminalfälle zu lösen. Da er und Gattin Steve sich das leisten können, muss er wohl dennoch irgendwann arbeiten. Er sollte sich vielleicht stärker am Schreibtisch engagieren, lässt er sich hier doch gleich in zwei Fallen locken, auf die nicht einmal ein Krabbelkind hereingefallen wäre ...

Müßige Kritik, die Figuren sollen und dürfen eindimensional wirken, denn sie spielen Rollen. Temple ist der Detektiv, der viel weiß aber wenig sagt, Steve seine treue Gattin, die ihm den Rücken stärkt und hin & wieder gerettet werden muss, Iris Archer die große Diva in theatralischen Nöten, Sir Graham Forbes die knorrige Stütze des Empires, "Z.04" und seine Kumpane vorbildliche Bösewichte, die nicht nur entsprechend reden und handeln, sondern auch finster aussehen - sie sind halt keine Gentlemen.

Wer sich sonst im Umkreis der Hauptfiguren tummelt, ist schlicht im Geiste und für manche proletarische Drolligkeit gut. Die Figuren - man sollte besser von "Darstellern" sprechen - müssen vor allem gut unterscheidbar sein. Hier verrät "Paul Temple und der Fall Z" deutlich seine Herkunft: Durbridge hat diese Geschichte (übrigens gemeinsam mit Charles Hatton) ursprünglich nicht als Roman, sondern als Hörspiel erzählt, das von der BBC ausgestrahlt wurde. Dies erklärt die kammerspielähnliche Struktur oder die nur andeutenden Landschaftsbeschreibungen, die wohl erst später dort eingefügt wurden, wo der Verfasser dies für notwendig hielt. Die unerhörte Glaubwürdigkeit, die John Buchan im weiter oben genannten Thriller "Die 39 Stufen" auch deshalb erzielte, weil er die schottische Landschaft quasi zum "Hauptfigur" machte, geht "Paul Temple und der Fall Z" völlig ab - nicht unbedingt zum Nachteil dieses Buches, das als charmant-naive (und gut übersetzte) Krimi-Unterhaltung aus einer versunkenen Ära des Genres durchaus seine Meriten hat.

True Crime. Die spektakulärsten Verbrechen der Geschichte
True Crime. Die spektakulärsten Verbrechen der Geschichte
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Michael Drewniok
45°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2007

Das wahrhaft älteste Gewerbe der Welt?

- "Banditen und Anarchisten” (S. 8-35): Die Geschichte des Verbrechens beginnt für Verfasser Yapp offensichtlich erst im 19. Jahrhundert und beschränkt sich auf den "Wilden Westen” der USA, das revolutionäre Mexiko Emilio Zapatas und Pancho Villas, springt kurz nach Großbritannien, dann zu den US-Desperados John Dillinger und Bonnie & Clyde, um dann im späteren 20. Jahrhundert mit der Baader-Meinhof-Gruppe (!) und der Terrorattacke auf die israelischen Sportler bei den Olympischen Spielen von 1972 auszuklingen.

- "Unrechtmäßiges Geld” (S. 36-53) in möglichst hohen Summen zu ergaunern, ist das Ziel aller Berufskriminellen, was hier am Beispiel von Schwarzbrennern, Hochstaplern, Trickbetrügern,  Finanzmanipulateuren, Schiebern, Räubern und Aktienschwindlern dargestellt wird.

- "Justizirrtümer?” (S. 54-87) kommen überall vor, wo gerichtet wird. Meist geschehen sie guten Glaubens, weil die Justiz auf der Basis vorhandener Indizien irrt, oft verbergen sich politische Ränkespiele hinter ihnen, in deren Verlauf das Recht willkürlich gebrochen wird. Ein besonderes - und düsteres - Kapitel stellen die Lynchmorde in den USA dar, denen meist Afroamerikaner zum Opfer fielen. Der Verfasser schwenkt unvermittelt über zum Brand des Berliner Reichstags 1933, um dann über die letzten (öffentlichen) Hinrichtungen in den USA und Großbritannien zu berichten. Schließlich wird der Fall O. J. Simpson aufgerollt; er demonstriert die Abwege und Sackgassen der modernen Rechtsprechung.

- "Gangster und Monster” (S. 88-141): Im Rudel jagt es sich erfolgreicher - eine Regel, die auch die kriminellen Elementen der Gesellschaft beherzigen. Das organisierte Verbrechen wird exemplarisch am Beispiel Al Capones erläutert. Weitere US-Gangsterprominenz wird vorgestellt: der psychopathische Dutch Schultz, der geschäftstüchtige Frank Costello, der charismatische Lucky Luciano, der eitle Bugsy Siegel. Nach einem kurzen Intermezzo zum Thema "Verräter im Zweiten Weltkrieg” geht es weiter mit eher geisteskranken Sadisten und Serienkillern wie den Kray-Zwillingen und Charles Manson. Auch das Thema religiöser Wahn wird anhand der Tragödien von Jonestown und Waco angesprochen. Moderne Kriegsverbrechen (hier auf dem europäischen Balkan) finden Erwähnung. Mit dem noch "jungen” Phänomen des Schulmassakers sowie dem aktuellen Problem extremistischer Terrorangriffe (auf das World Trade Center oder die Pendlerzüge von Madrid) schließt dieses Kapitel.

- "Serienmörder” (S. 142-201): In keiner Darstellung zu diesem Thema fehlt Jack the Ripper, aber auch "Blaubart” Landru, Peter Kürten, Ed Gein, der Yorkshire-Ripper, der "Son of Sam” oder Jeffrey Dahmer sind vertraute historische Schreckgestalten. Weniger bekannt aber nicht minder entsetzlich waren Marie Besnard, die "Schwarze Witwe von Loudon”, Dr. Petiot, der im II. Weltkrieg Juden versprach, sie ins Ausland zu schmuggeln, um sie stattdessen zu ermorden und auszurauben, der "Säurebadmörder” John Haigh, "Jack the Stripper” oder die "Moormörder” Brady & Hindley. Unter die Serienmörder fallen für den Verfasser auch die Nazis, aus deren Reihen er sich Hermann Göring und Klaus Barbie herauspickt, sowie die selbst ernannten "Gnadenengel”, die in Krankenhäusern und Seniorenheimen alte oder todkranke Menschen umbringen.

- "Attentate” (S. 202-243) sollen den Lauf der Geschichte ändern, indem gezielt die aktuelle Führung des Gegners ausgeschaltet wird. In diesem Kapitel werden die (nicht immer gelungenen) Anschläge auf Abraham Lincoln (1865), Erzherzog Franz Ferdinand (1914), König Alexander I. von Jugoslawien, Leo Trotzki (1940), Adolf Hitler (1944), John F. Kennedy (1963), Martin Luther King (1968), Robert Kennedy (1968), John Lennon (1980), Ronald Reagan (1981) und Papst Johannes Paul II (1981) dokumentiert.

- "Tatbestand Mord” (S. 244-261) ist eine bunt gemischte Sammlung schön schauriger, bizarrer und mit vielen Schlagzeilen verbundenen Kriminalfälle überschrieben. Es treten u. a. auf: Gattinnenmörder Dr. Crippen und der gescheiterte "perfekte” Mörder Dr. Buck Ruxton. Aufgerollt werden außerdem die Affäre Dominici und das Polizisten-Massaker in der Braybrook Street (West-London).

- "Verbrechen aus Leidenschaft” (S. 262-285) wurden und werden gern primär Frauen zugeschrieben. Deshalb steht am Beginn dieses Kapitels die Gattenmörderin Florence Maybrick. Weitere Damen, die mordeten oder für die gemordet wurden, folgen: Amélie Hélie, die Gräfin Tarnowska, Madame Caillaux (die einen allzu stark an ihrem Privatleben interessierten Zeitungsredakteur erschoss und straffrei ausging), Yvonne Chevallier, Ruth Ellis. Das Kapitel erinnert außerdem an das Ende des Mafia-Gangsters Johnny Stompanato, der von der Tochter der Hollywood-Diva Lana Turner mit einem Messerstich erledigt wurde, an die Profumo-Affäre sowie an die Ermordung des Modedesigners Gianni Versace.

- "Entführungen” (S. 286-301) lassen unliebsame Zeitgenossen verschwinden (der Fall General Kutepow), aber in der Regel sollen sie Geld erpressen. Eine der berühmtesten (und traurigsten) Fälle war 1932 die Entführung (und Ermordung) von Charles Lindbergh jr., dem Sohn des berühmten Fliegerhelden, der im Alleinflug den Atlantik überquert hatte. Patty Hearst gab 1974 dem "Stockholm-Syndrom” ein Gesicht, nachdem sie sich mit ihren Kidnappern solidarisierte und eine Bank überfiel. Politisch motiviert war 1978 die Entführung des italienischen Politikers Aldo Moro, während Joyce McKinney 1977 in die Schlagzeilen kam, weil sie einen Priester als Sexsklaven entführt hatte.

- Register, Bildquellen/Danksagungen (S. 302-304)

Der Spaß am Bösen aus sicherer Distanz

Publicityträchtig sind Berichte über "wahre Verbrechen” seit jeher. Die Menschen gruseln sich gern über Mord & Totschlag, solange sie selbst nicht davon betroffen werden. Schon im Mittelalter verdienten reisende Moritatensänger gutes Geld, wenn sie von möglichst grausigen Untaten kündeten, wobei drastisch gehaltene Holz- oder Kupferstiche dies auch optisch illustrierten. Mit der Zeit änderten sich zwar die Methoden der Darstellung, nicht aber die Liebe zum Bösen & Gewalttätigen. Heute können sich die Liebhaber des Kriminellen auf Kino & Fernsehen, die DVD und natürlich auf das Internet verlassen, gelüstet es sie nach bluttriefenden Details. Das Buch gilt inzwischen als altmodisches Medium, kann sich aber im Wettbewerb weiterhin ganz gut halten.

"True Crime” ist ein typischer Vertreter seiner oft zwielichtigen Art. "Wahre Verbrechen” definieren die Autoren entsprechender Werke gern als Spektakel, die sie wie Spielfilme "inszenieren”. Ermittlungen werden als sportlicher Wettkampf zwischen Polizei und Täter dargestellt, wobei Spannung mit der Frage geschürt wird, wie viele arme Teufel letzterer noch killen wird, bevor sie ihn endlich erwischen. (Hoffentlich viele!). Das Leid der Opfer wird eingestreut, wo es seinen dramatischen Zweck erfüllt, aber ansonsten ignoriert, weil es den Lesern den "Spaß” verderben könnte; der Kummer des Mitmenschen wirkt manchmal schrecklich ernüchternd ...

Sachbücher wie dieses sind kriminell

Nick Yapp ist ein Spezialist für (Sach-) Bücher, die wie solche aussehen, aber im Grunde nur Loseblattsammlungen sind. "True Crime” beschränkt sich auf die Darstellung bekannter i. S. berüchtigter Verbrechen, die in ihrem Verlauf jeweils kurz dargestellt aber selten wirklich erläutert werden. Ein Mord, ein Bankraub, eine Entführung: Dies sind keine isolierten Phänomene, sondern Taten, die in ein bestimmtes (kriminal-) historisches Umfeld eingebettet sind. Darüber informiert uns Yapp nur in Ansätzen - wenn überhaupt -, bevor er zur nächsten aufregenden Übeltat umblendet.

Was uns zur wahrlich abenteuerlichen "Gliederung” dieses Buch führt. Autor Yapp hat entweder wenig Zeit in die Recherche investiert oder von dem, was er da beschreibt, ziemlich wenig Ahnung. Auf jeden Fall verblüfft es schon, unter den "wahren Verbrechen” u. a. das Attentat auf Hitler (1944) und den (erschütternd lücken- und fehlerhaft beschriebenen) Reichstagsbrand (1933) oder im Kapitel "Unrechtmäßiges Geld” einen Artikel über die letzte öffentliche Hinrichtung in den USA (1936) zu finden - steht hier der hingerichtete Mörder oder die Hinrichtung als Volksfest für "True Crime”?

Die Fotografie als Unterstützer gemütlichen Gruselns

Wenn etwas für "True Crime” spricht, so ist dies die Ausstattung, die ein "besseres” Buch verdient hätte. Für keine 10 Euro erwirbt man einen großformatigen, fest gebundenen Band mit Schutzumschlag. Das Papier ist von guter Qualität und wie geschaffen für seinen eigentlichen Zweck: "True Crime” ist ein Bildband des Verbrechens - und unter dieser Voraussetzung lässt das Buch wenig Wünsche offen. Die Fotografie ist mehr als 150 Jahre alt und wurde selbstverständlich sofort auch als Instrument zur Dokumentation krimineller Taten eingesetzt. Bis es soweit war, schufen begabte Kunsthandwerker eindrucksvolle Zeichnungen, die den gleichen Zweck erfüllten.

"True Crime” schöpft aus den Beständen der Archive und Sammlungen von Getty Images, die 70 Millionen Bilder umfasst. Kein Wunder, dass Yapp bemerkenswerte Bildbeispiele für historische Gesetzesbrüche liefern kann. Dies betrifft die Motivwahl ebenso wie die Detailschärfe. Natürlich bedienten jene, die sie einst schufen, vor allem die Sensationsgier des Massenpublikums. Deshalb finden wir in "True Crime” unzählige Bilder, auf denen Schurken und Opfer in ihrem Blut liegen oder anderweitig ausgestellt werden. (Was würde Leo Trotzki sagen, könnte er sehen, wie auf S. 219 sein vom Eispickel durchbohrtes Hirn untersucht wird?) Wen die inhaltliche Dünnbrettbohrerei nicht stört, kann sich immerhin dieser historischen Aufnahmen erfreuen, die - das alte Sprichwort trifft hier ins Schwarze - oft mehr aussagen als tausend Worte - und ganz sicher mehr als tausend Worte von Nick Yapp.

Geschäft ist Geschäft, das Produkt eher zweitrangig

Nick Yapp ist eine Art Automat für Sachbücher: Man wirft oben eine Münze ein, wählt das gewünschte Thema und findet im Auswurfschacht das Produkt. Yapp, ein ehemaliger Lehrer, schreibt über das, wofür man ihn bezahlt bzw. wringt sich ein dünnes Textchen aus dem Hirn, das großzügig von Fotos und anderen Abbildungen umrahmt wird. Solche Bücher entstehen gezielt für die Grabbeltische von Buchhandelsketten, auf denen unerfahrene Leser sich für billiges Geld mit "lehrreicher” Lektüre versorgen (oder ein kostengünstiges Geschenk finden) kann. Die Rechnung geht trotz des vergleichsweise geringen Verkaufspreises auf, weil diese Werke in der Herstellung - was hier das Schreiben ausdrücklich einschließt - wenig kosten und das Vertriebsrisiko gering ist. Parragon Books, der Verlag, der für "True Crime” verantwortlich zu machen ist, sitzt in Bath (England), New York, Singapur, Hong Kong, Köln, Dehli und Melbourne. In die entsprechenden Landessprachen übersetzte Exemplare von "True Crime” werden zeitgleich mit der deutschen Ausgabe (die in China gedruckt wurde ...) in die Kettenfilialen gepresst.

Man kann den Urhebern solcher Als-ob-Sachbücher nicht einmal einen Vorwurf machen: Der Käufer erhält, wofür er (oder sie) bezahlt: ein flaches, gesichtsloses, immerhin hübsch bzw. dekorativ aussehendes Objekt für den Kaffeetisch oder das primär zu Ausstellungszwecken angeschaffte Bücherregal ...z

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