Die Bildhauerin

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 1995
  • 37
  • London: Macmillan, 1993, Titel: 'The Sculptress', Seiten: 307, Originalsprache
  • München: Goldmann, 1995, Seiten: 408, Übersetzt: Mechtild Sandberg-Ciletti
  • München: Goldmann, 1997, Seiten: 408
  • München: Goldmann, 2000, Seiten: 408
  • München: Goldmann, 2001, Seiten: 408
  • München: Goldmann, 2005, Seiten: 408
  • München: Bertelsmann, 2006, Seiten: 410, Bemerkung: Stern-Krimi-Bibliothek 14
  • München: Goldmann, 2008, Seiten: 408
  • Wien: Ueberreuter, 2007, Seiten: 589, Bemerkung: Großdruck
  • München: Goldmann, 1999, Seiten: 408
  • München: Goldmann, 2010, Seiten: 408
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Tyrel Tyrel
77°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

Unverkrampft, unterhaltsam, raffiniert

Die Bildhauerin hackt ihre Mutter in zehn Teile.

Dieser Spruch geht Rosalind Leigh immer wieder durch den Kopf, als sie im Besprechungszimmer des Gefängnisses eben dieser Olive Martin gegenübersitzt. Rosalind soll ein Buch über die geständige Mutter- und Schwestermörderin schreiben, die vor sechs Jahren die Klatschspalten der Gazetten füllte. Zunächst missfällt ihr das sensationsheischende Projekt, doch ist es ihre letzte Chance bei ihrem Arbeitgeber, nachdem sie nach einem schweren persönlichen Schicksalsschlag in Untätigkeit und Melancholie verfallen war.

Der neue Auftrag entpuppt sich schließlich tatsächlich als Lebenselixier für Rosalind. Nach anfänglicher Abneigung gegenüber der fettleibigen und wegen ihrer Aggressionen gefürchteten jungen Frau beginnt sie hinter der vermeintlichen Wahrheit der Akten und Worte eine noch tiefere Wahrheit zu erkennen.

Die beginnt auf eigene Faust zu ermitteln, um Licht in das Leben der Familie Martin vor und nach dem Mord zu bringen. Sie kann einfach nicht glauben, dass Olive Martin, hinter deren unattraktivem Äußeren sich eine äußerst sensible und intelligente Persönlichkeit verbirgt, wirklich zu so einer furchtbaren Tat fähig ist. Eine schlampige Verteidigung, Ungereimtheiten bei der Tatrekonstruktion und ein fragwürdiges Motiv scheinen sie in ihren Zweifeln zu bestätigen.

Ist es tatsächlich möglich, dass Olive Martin nach jahrelangen Demütigungen und Zurückweisungen durch ihre Umwelt zum Beil gegriffen hat? Versucht sie eine Person zu decken, der sie in selbstloser und aufopferungsvoller Liebe verbunden ist? Nimmt sie die Schuld für ein besonders grausames Verbrechen auf sich, da sie lieber als furchteinflößende Mörderin denn als bemitleidenswertes Mauerblümchen dastehen möchte? Oder ist sie tatsächlich die gefühllose Mörderin, die mit dem Zerteilen des Körpers schon begonnen hatte, als ihre schwerverletzte Mutter noch Gegenwehr zeigte?

Rosalinds Recherchen werden zum gefährlichen Ausflug in die Abgründe der menschlichen Psyche und die Schatten ihrer eigenen Vergangenheit...

Mit ihrem zweiten Roman "Die Bildhauerin" gelang der zeitgenössischen englischen Autorin Minette Walters der eindrucksvolle Beweis, dass ihr erfolgreicher Debütroman Im Eishaus kein glücklicher Zufall gewesen war, sondern lediglich den Anfang einer bislang sechs Romane umfassenden Reihe von abgeschlossenen Kriminalromanen bildet, die sich ihren Platz in den internationalen Bestsellerlisten erobert haben.

Von herkömmlichen "Whodonits"-Kriminalromanen heben sich die Werke der Autorin durch die widersprüchlichen und vielschichtigen Charakterzeichnungen ihrer Protagonisten ab. Ohne dass die Aufklärung des Verbrechens in den Hintergrund gerät und die Recherchen an Bedeutung verlieren, widmet sie sich besonders intensiv der Seelenwelt ihrer Figuren, und diese Welten sind tief, leidenschaftlich und beunruhigend. Die Geschehnisse finden ihre Erklärung in der menschlichen Psyche und ihrer Triebe und Leidenschaften, vor dem Hintergrund einer typisch englischen kleinbürgerlichen Gesellschaft, aber nur nachrangig durch diese bedingt.

Ein klares Schwarz-Weiß gibt es bei Minette Walters nicht: Gut und Böse verwischen zu einem diffusen Farbton, der den Leser mehr interessiert als eine idealistische Heldenfigur oder ein eindimensionales Feindbild.

Dieses Schema findet sich auch bei "Die Bildhauerin" wieder. Die mutmaßliche Mörderin ist in ihrer Unförmigkeit und Unberechenbarkeit abstoßend, aber plötzlich werden sympathische und menschliche Züge von ihr enthüllt, und das Klischeebild gerät kräftig ins Wanken.

Rosalind Leigh, eine attraktive und zähe Journalistin, die sich wie ein Terrier in ihre Fälle verbeisst, prügelt sich bis zur Erschöpfung mit ihrem Ex-Ehemann, schwankt ansonsten zwischen Lebensüberdruss und Schuldgefühlen und verkörpert damit auch nicht unbedingt den Idealtypus einer Romanheldin.

Selbst die männliche Hauptfigur, ehemaliger ermittelnder Beamter im Fall Martin und jetziger Restaurantbesitzer, wird in den Roman zunächst als zwielichtiger Raufbold und Griesgram eingeführt. Und diese Liste ließe sich noch weiterführen.

Aus der sorgfältigen Herausarbeitung der Charaktere entwickelt sich jedoch auch eine Schwäche des Buches: Die Handlungsweisen der Personen mögen zwar überraschend sein und damit dem Spannungsbogen des Buchs äußerst zuträglich, gleichzeitig erscheinen sie mir in ihrer Unkalkulierbarkeit psychologisch reichlich unglaubwürdig. Auch die Handlung verstrickt sich manchmal so sehr in zusammenhanglose Wendungen und auseinandergerissene Szenen, dass man als Leser den Faden der Story zu verlieren droht.

Meine Überlegung, das Buch gleich noch mal zu lesen, kann also nicht nur als Kompliment an die überzeugende und geschickte Fabulierkunst der Autorin verstanden werden, es hätte gleichzeitig den positiven Nebeneffekt gehabt, für die noch offenen Fragen und unverstandenen Abläufe eine Antwort zu finden.

Denn eine Antwort bleibt uns Minette Walters auch nach der mutmaßlichen Täterpräsentation, die hier selbstverständlich nicht verraten wird, schuldig: Ist Olive Martin nun ein bemitleidenswertes Opfer der Gesellschaft oder eine manipulierende Lügnerin mit einem Hang zur Grausamkeit? Und dieses Rätsel muss jeder für sich selbst beantworten.

"Die Bildhauerin" bietet jedenfalls eine unterhaltsame und raffinierte Lektüre, die sicherlich nicht unverdient den Edgar-Allan-Poe-Preis für den besten Kriminalroman des Jahres erhalten hat und die ich für ein unverkrampftes Lesevergnügen trotz einiger Durchhänger durchaus weiterempfehlen.

Die Bildhauerin

Minette Walters, Goldmann

Die Bildhauerin

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