Das Opfer

  • Argon
  • Erschienen: Januar 2007
  • 56
  • New York: Ballantine Books, 2006, Titel: 'The Wrong Man', Originalsprache
  • Berlin: Argon, 2007, Seiten: 6, Übersetzt: Simon Jäger
  • München: Droemer Knaur, 2008, Seiten: 656, Übersetzt: Anke Kreutzner
Das Opfer
Das Opfer
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Sylvia Rucker
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2006

Im zügigen Tempo durch emotionale Höhen und Tiefen

Ganz gegen ihre Gewohnheit nimmt die junge Ashley Freemont nach einem beschwingten Abend ahnungslos den gutaussehenden Michael O'Connell, einen Computerfreak und gerissenen Kleinkriminellen, mit zu sich nach Hause. Hätte sie zu diesem Zeitpunkt schon geahnt, welche verheerenden Folgen diese eine Nacht für ihr Leben haben wird, hätte sie sich sicherlich anders entschieden. Denn was für sie lediglich ein harmloser One-Night-Stand war, entpuppt sich bei Michael zu einer krankhaften Obsession. Für ihn ist sie die Frau seines Lebens, seine große Liebe und nichts und niemand soll sie ihm abspenstig machen. Gnadenlos räumt er jedes Hindernis aus dem Weg, dass ihn von diesem Ziel abhält.

Ashleys Bemühungen, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, verlaufen völlig ergebnislos im Sand. Schlimmer noch, je mehr sie versucht, ihm das Ende und die Aussichtslosigkeit der Beziehung klar zu machen, um so subtiler beginnt er, ihr seine ständige Präsenz und Allmacht vor Augen zu führen und versetzt sie mit diesem Psychoterror langsam aber sicher in Angst und Schrecken. Als ihr die ganze Sache schließlich über den Kopf wächst, vertraut sie sich endlich ihrer Familie an. Ihr Vater Scott, seine Ex-Frau Sally und deren Lebensgefährtin Hope versuchen nun gemeinsam zum Schutz von Ashley, Michael in seine Schranken zu verweisen.

Aber sie unterschätzen dabei seine Gerissenheit und seine Gefährlichkeit für Ashley und sie alle selbst. Denn weder Gesprächsversuche noch ein finanzielles Angebot führen zum gewünschten Ergebnis. Vielmehr holt Michael nun zum großen Gegenschlag aus und arbeitet systematisch daran, jedes der Familienmitglieder zu diskreditieren und zu ruinieren, wobei ihm seine speziellen Kenntnisse als Computerfreak sehr nützlich sind.

Die Familie sieht jetzt nur noch einen Ausweg: Ashley muss die Stadt verlassen und irgendwo anders ein neues Leben beginnen. Sie engagieren einen Privatdetektiv, den Sally von ihrer Arbeit als Anwältin her kennt, der Michael eindrucksvoll und nachhaltig davon überzeugen soll, dass es besser ist, Ashley zu vergessen und sie in Ruhe zu lassen. Und fast sieht es so aus, als hätten sie es endlich geschafft. Doch der Schein trügt und zwingt die Familie, einen neuen, dramatischen Plan zu entwerfen.

Der Autor John Katzenbach verwendet sehr viel Mühe und Sorgfalt darauf, die einzelnen Charaktere des Buches klar und deutlich zu beschreiben, was zu ausführlich und zu langatmig erscheinen mag. Doch man lernt dadurch die Protagonisten sehr gut kennen; sie sind einem vertraut, man fühlt sich ihnen verbunden und man kann ihre Gedanken und Gefühle sehr gut nachvollziehen. Gerade bei der Figur Michael lässt einen diese Genauigkeit über sein krankes Denken nahezu erschauern. Zu Beginn dauert es etwas, bis so richtig Fahrt aufgenommen wird, doch bei einem Buch mit rd. 650 Seiten ist dieser längere Anfang auch gut zu verzeihen, denn schließlich birgt der Rest des Buches wirklich sehr viel explosive Spannung.

Neben der gegenwärtigen Geschichte um Ashley und Michael wird in einem zweiten zeitlich versetzten Handlungsstrang noch eine Art Rückschau dazu gehalten. Eine Frau trifft sich immer wieder mit einem Schriftsteller, der die Geschichte recherchieren und aufschreiben soll. Im Rahmen dieser Gespräche erfährt der Leser heutige Erkenntnisse zu den früheren Geschehnissen und somit schon dezente Ausblicke auf den zukünftigen Verlauf der eigentlichen Handlung.

Katzenbach macht nachdrücklich klar, dass man als Opfer gegen einen solchen gerissenen und kranken Stalker kaum eine Chance hat. Denn leider können Polizei und Justiz erst dann wirklich tätig werden, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Und vor dem Hintergrund, dass Stalking ein Ausdruck einer gestörten Persönlichkeit ist, sind deren Reaktionen auf entsprechende juristische Maßnahme auch nicht unbedingt vorhersehbar. D.h., möglicherweise wird durch eine Anzeige bzw. eine juristische Verfügung, an die sich der Täter halten kann oder auch nicht, für das Opfer in Zukunft alles nur noch schlimmer.

Mit einem sehr angenehmen und unkomplizierten Schreibstil, führt Katzenbach den Leser im zügigen Tempo durch die emotionalen Höhen und Tiefen, die alle Figuren für sich allein und gemeinsam durch diese Ausnahmesituation durchleben. Dabei beschreibt er einfühlsam und gut nachvollziehbar, wie sehr Michael das Leben der gesamten Familie beherrscht und einschränkt. Erst als langsam der Plan der Familie zu reifen beginnt, durch den die Geschichte eine unerwartete Wendung nimmt, wird das Tempo durch die moralischen Betrachtungen dieses Plans vorübergehend ein wenig gedrosselt, um dann aber wieder mit voller Fahrt auf das Finale zuzusteuern.

Mit Das Opfer ist Katzenbach ein packender und spannender Psychothriller über ein immer aktueller werdendes Thema gelungen, der dieser Bezeichnung absolut gerecht wird.

Das Opfer

John Katzenbach, Argon

Das Opfer

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