Deutsche Meisterschaft

  • Eichborn
  • Erschienen: Januar 2006
  • 2
  • Frankfurt: Eichborn, 2006, Titel: 'Deutsche Meisterschaft', Seiten: 386, Originalsprache
  • München: dtv, 2009, Titel: 'Deutsche Meisterschaft', Seiten: 386, Originalsprache
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Stefan Heidsiek
94°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2006

Wer bremst, verliert

Manchmal steht der Rezensent wie der Ochse vorm Berg, weiß nicht was er schreiben soll. Deutsche Meisterschaft von Richard Birkefeld und Göran Hachmeister ist so ein Fall. Nach Wer übrig bleibt, hat recht, den Kollege Thomas Kürten mit 76° bewertete und als "Krimi-Geschichtsstunde" empfahl, ist dies nun der zweite Roman aus der Feder des Autorenduos. Und erneut haben die beiden ihr Augenmerk auf die wohl düsterste Epoche der deutschen Geschichte gerichtet: Die Jahre der Weimarer Republik bis hin zur Machtergreifung der Nationalsozialisten und dem Ende des verheerenden Zweiten Weltkriegs. So weit, so gut. Ein weiterer historischer Kriminalroman also, der sich neben den Werken Volker Kutschers, Philipp Kerrs und Uwe Klausners einreiht und den Leser vor geschichtlich-authentischer Kulisse auf Mörderjagd gehen lässt? Weit gefehlt, denn eben das ist Deutsche Meisterschaft nicht. Oder besser gesagt: Es ist vielmehr als das.

Deutschland im Jahre 1926. Auf den Straßen zwischen Berlin und München wird um den Gewinn der Deutschen Motorradmeisterschaft gerungen. Unter den Fahrern sind auch Arno Lamprecht und Falk von Dronte. Beide absolute Könner auf dem Sattel, völlig auf den Sieg fixiert. Und beide seit Jahren herzlich miteinander verfeindet. Der eine gehört der Masse der desillusionierten Kriegsveteranen an und flüchtet sich aufgrund der psychischen Folgen aus dem bürgerlichen Alltag in den Rausch der Geschwindigkeit, der andere verkörpert bis ins kleinste Detail den hochnäsigen Adeligen der verblassten Monarchie. Zu jung, um noch selbst am Ersten Weltkrieg teilnehmen zu können, hatte er sich nach der Kapitulation und Versailles den reaktionären Kreisen der besonders in Süddeutschland aufstrebenden Nationalsozialisten angeschlossen, mit den Jahren aber den Kontakt zu diesen verloren. Zwei sehr unterschiedliche Charaktere also, die aber doch etwas verbindet. Beide profitieren von der Begeisterung der Massen für das neue technische, motorisierte(!) Zeitalter, den so genannten "Roaring Twenties". Und beide haben im wahrsten Sinne des Wortes ein paar Leichen im Keller liegen.

Drei Jahre zuvor nämlich, in den unsichersten Zeiten der Weimarer Republik, ist Lamprechts Frau brutal ermordet worden. Er selbst galt als Hauptverdächtiger in dem unaufgeklärten Mordfall und konnte nur dank eines falschen Alibis seinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Zur selben Zeit, in den Wirren des Hitler-Putsches von München, war von Dronte ein Mitglied der rechten Freikorps und am Fememord an einem angeblichen Volksverräter beteiligt. Die gut vergrabene Leiche taucht nun wieder auf. Allein der Kopf fehlt. Und wieder scheint es Parallelen zu Lamprechts Vergangenheit zu geben, denn auch seine Frau wurde damals enthauptet. Während Falks alte "Kameraden" immer nervöser werden und ihn drängen, die Sache zu bereinigen, gerät Lamprecht erneut ins Visier der Polizei. Beide beginnen, jeder für sich, Nachforschungen anzustellen, während sie sich gleichzeitig auf den Straßen Deutschlands ein erbittertes Duell um den Sieg und die Liebe einer Frau liefern …

Gebrochene Helden, rasante Motorradrennen, politische Umstürze und ein mysteriöser Serienmörder. Deutsche Meisterschaft ist beeindruckend spannend und facettenreich zugleich, entwickelt im Verlauf seiner 385 Seiten eine sich immer wieder zuspitzende Dramaturgie, welche zwar schon ziemlich früh (und ganz offensichtlich) kein gutes Ende nehmen wird, dem Leser jedoch durchgänig keine Atempause oder gar Zeit zum Nachdenken gewährt. Woran andere Autoren sonst spektakulär scheitern, das haben Richard Birkefeld und Göran Hachmeister mit Kür gemeistert: Den Spagat zwischen dem Spannungsaufbau und der Schilderung echter deutscher Geschichte. Herausgekommen ist ein bildgewaltiges Sittengemälde über die Zeit der Weimarer Republik, das den Geist der 20er Jahre bis ins kleinste Detail zum Leben erweckt. Die Begeisterung für Technik, die Sucht nach Geschwindigkeit, die Lust an neuer Mode. Bewegung bestimmt das Leben dieser neuen Generation. Alles rast, alles rennt. Wer das nicht tut, kommt unter die Räder. Was böte sich deshalb besser an, als das Buch in der Motorradszene spielen zu lassen? "Motorisierung ist Mobilisierung" dröhnt es aus den Lautsprechern am Rande der Rennstrecke. Auch ganz tumbe Zeitgenossen erkennen hier den Beginn der gesellschaftlichen Brutalisierung, welche sich im Laufe der Jahre immer wieder in Ausbrüchen gnadenloser Gewalt zwischen politisch und sozial verfeindeten Parteien entladen wird.

 

Und ihr seht doch, was in diesem Lande los ist, der Krieg ist doch nicht vorbei, der geht doch seit 1919 tagtäglich weiter, die Rechten gegen die Linken und gegen die Gewerkschaften, die Konservativen gegen Rechte und Linke, die Linken gegen Rechte und Nationale und Ultralinke, Rechte und Linke gegen die Kirche, jeder gegen jeden und alle gegen die Juden und alle gegen den Versailler Vertrag, und ich mittendrin, ich gegen den Vermieter, gegen Mitspieler, gegen Vera, meine Frau. Das ist alles schlimm, dass weiß ich, aber glaub mir, es wurde und es wird auch in Zukunft immer mit nackter Gewalt um den Platz an der Sonne gerungen, und wer sich da nicht wehrt, zurück schlägt, der bleibt auf der Strecke, der verliert das Rennen.

 

Deutsche Meisterschaft zeigt ein Deutschland am Scheideweg, eine zerrissene Republik, die nur ein Schritt von Wohl und Heil trennt und doch der Katastrophe von 1933 scheinbar unaufhaltsam entgegensteuert. Auf der einen Seite ziehen marodierende Freikorps durchs Land, putschen Rechte gegen revolutionierende Linke, bricht eine Wirtschaft unter der Last der hohen Inflation zusammen. Auf der anderen Seite entwickelt sich eine neue Kulturlandschaft, blühen Musik, Kunst und Literatur (nicht zuletzt auch die Krimis) auf. Diese Ambivalenz spiegelt sich auch in den Hauptfiguren Arno Lambrecht und Falk von Dronte wieder, die das augenscheinlich nicht vereinbare Neue und Alte verkörpern und dessen Wege sich letztendlich nicht nur kreuzen, sondern auch dieselbe Richtung einschlagen. Von dem Wechselspiel der verschiedenen Perspektiven lebt dieser Roman, von den echten, nachvollziehbaren Typen, diesen Kerlen. Von Menschen, die durch die Hölle gegangen sind und weiterhin gehen. Heruntergekommene Säufer, abgewrackte Huren, vierschrötige Draufgänger. Sie alle sind vom sozialen Milieu geprägt, dienen dem Leser als Fernrohr in diese längst vergangene Zeit und beleben die Geschichte. Alles wird schonungslos dargestellt, nichts geschönt. Moralisch erhobene Zeigefinger sucht man hier vergebens.

Diese fast schon mechanische, klinische Genauigkeit der Schilderungen spiegelt sich letztlich auch in den literarischen Stilmitteln der Autoren wieder. Kurze, abgehackte Sätze. Hastige Szenen- und Bilderwechsel. Viele Kommas, wenige Punkte (siehe Textausschnitt). Wenn Lamprecht und von Dronte über die Landstraßen rasen, das Gummi auf dem Asphalt quietscht, dann greift die Geschwindigkeit über, wird man ungebremst mitgerissen. Ganz nach dem Motto "Nur der Verlierer hat die besten Bremsen" jagt der Plot durch das Deutschland der 20er Jahre und mit ihm der Leser, auf den Eindrücke niederprasseln, welche ihn noch über das Ende der Lektüre hinaus beschäftigen werden.

Insgesamt ist Deutsche Meisterschaft ein sprachlich herausragender Kriminalroman, der nicht nur die Atmosphäre der Zeit, in der er spielt, brillant vermittelt. Er begeistert, erschüttert, macht nachdenklich, und verlässt trotz all seiner intelligenten Symbolik nie den Pfad der Unterhaltung. Ein großartiger Wurf, der gar nicht genug gelobt werden kann, und sich besonders durch sein Finale weit aus der Masse ähnlicher Bücher heraushebt. Auf weitere Werke dieser beiden hochtalentierten Autoren darf gespannt gewartet werden.

Deutsche Meisterschaft

Richard & Hachmeister Birkefeld, Eichborn

Deutsche Meisterschaft

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