Noch eine Nacht

  • Rotpunkt
  • Erschienen: Januar 2006
  • 1
  • Buenos Aires: Emecé, 1985, Titel: 'Siempre es difícil volver a casa', Seiten: 234, Originalsprache
  • Zürich: Rotpunkt, 2006, Seiten: 267, Übersetzt: Susanna Mende
  • Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008, Seiten: 267
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Lars Schafft
79°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2006

Spiel mir den Tango vom Tod

Auf den ersten Blick passt bei diesem Buch einiges nicht. Es wird als lateinamerikanische Literatur angepriesen und der Name des Autors klingt nach dem neuen Nationalcoach der italienischen Fußballnationalmannschaft. So ganz offensichtlich will es nicht Krimi sein, ist es letztendlich aber natürlich doch. Eben das, was Kritiker gerne als "literarisch" bezeichnen. Wie so vieles, was aus Südamerika - dankenswerterweise! - den Weg in die deutsche Übersetzung findet. Und doch hat "Noch eine Nacht" von Antonio Dal Masetto (er ist tatsächlich gebürtiger Italiener) wenig zu tun mit den derzeitigen Lateinamerikanern, die en vogue sind, wie beispielsweise mit einem Leonardo Padura. Oder etwa doch? Was stellt dieser Dal Masetto nur mit uns an?

Die Geschichte, die er erzählt, ist schnell in ein paar Sätze gefasst. Vier große Jungs beschließen den Big Bang und wollen im recht verschlafenen Städtchen Bosque ("Wald") die dortige Bank ausrauben. Ohne Technik, ohne viel Taktik. Zu verlieren haben die vier nichts, was sie dennoch nicht unvorsichtig macht. Und dennoch geht alles schief. Und wie.

Das Geld schon in der Tasche, werden Sie noch beim Einsteigen ins Fluchtauto von einem Polizisten erwischt. Und es beginnt eine tödliche Verfolgungsjagd durch Bosque - alle Ausfahrten aus der Stadt sind versperrt und die Einwohner entwickeln einen morbiden Hang zur Lynchjustiz... 

Und Tarantino spielt die Mundharmonika

... so wie Antonio Dal Masetto sich in eine Rage, in bittere Action vom Feinsten hineinschreibt und Jorge, Dante, Cucurucho und Ramiro immer mehr die Ausweglosigkeit ihrer Situation konstatieren müssen. Jeder auf eigene Faust gegen eine wild gewordene Meute, die auf die Eruption der Gewalt förmlich nur zu warten schien.

Da ergreift der Rechtsanwalt die Chance, bei der Verfolgung der Bankräuber kurzerhand seine Frau niederzustechen. Der geistig gestörte Pedro wird vollends zum Affen des Städchens gemacht. Die "Dicke" vögelt nicht nur in Anwesenheit einer Blinden den Arzt, nein - der pubertierende Neffe muss auch noch herhalten. Das Menschsein geht in Bosque den Bach hinunter. Und so viele Leute, die die Bankräuber auf ihrer Flucht treffen, würden so gerne ebenfalls fliehen.

Absurd bis komisch ist dieser kleinbürgerliche Wahnsinn, der sich hinter den Fassaden auftut. Und der natürlich - so wie es sich für eine novela negra gehört - im großen Jammer endet. Bis dahin zeigt Dal Masetto allerdings schon fast US-amerikanische Qualitäten und es verwundert nicht, dass "Noch eine Nacht" in Argentinien verfilmt worden ist. Das ist Kino. Kino à la Quentin Tarantino. Nie jugendfrei, überdreht und doch mit Hintersinn. Und ständig hört man eine Mundharmonika das Lied des Todes spielen. Ja, "Noch eine Nacht" spielt mit den Bildern des Western-High-Noons, der Hinrichtung vor Publikum, der sengenden Sonne über dem Bejubeln des Todes. Aber ist es wirklich so abwegig, was fern von Pampas und Gauchos in Bosque passiert? Das lässt nachdenken.

Aber erst, wenn die Ruhe des Todes Einzug in Bosque erhält und der alltägliche Irrsinn Herr über die Einwohner wird. "Noch eine Nacht" ist trotz des trivialen Titels (wie schön wäre eine wörtliche Übersetzung es Originals gewesen, "Heim zu kehren ist immer schwierig"?) ganz harter Tobak, eine äußerst bemerkenswerte Neuerscheinung aus dem schweizer Rotpunktverlag und gerade wegen seiner vordergründigen Banalität und hintergründigen Wirkung ein ganz heißer Anwärter auf den verstörendsten Kriminalroman des Jahres.

Noch eine Nacht

Antonio Dal Masetto, Rotpunkt

Noch eine Nacht

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