Die Unangreifbaren

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2006
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  • New York: Simon & Schuster, 2002, Titel: 'The Jazz Bird', Seiten: 314, Originalsprache
  • München; Zürich: Piper, 2006, Seiten: 379, Übersetzt: Klaus Berr
Die Unangreifbaren
Die Unangreifbaren
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Bernd Neumann
64°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2006

Intrigen zwischen Leben und Tod

Es gibt begnadete Schriftsteller, die es bei ihrer Berufung leicht haben. Von Hemingway hält sich die Legende, dass er teilweise bei seinen legendären "49 Stories" zwanzig Seiten am Stück in die Schreibmaschine geklimpert hat, ohne danach noch Korrekturen vorgenommen zu haben.

Craig Holden tut sich da schon schwerer: Das Manuskript zu seinem Roman "Gestern ist nie vorbei" hat er sage und schreibe sechsmal umgeschrieben. Danach verlangte seine Literaturagentin und zu guter Letzt auch der Cheflektor seines Verlages eine nochmalige Umarbeitung (!). Erfolgreiches, umsatzträchtiges Schreiben grenzt manchmal schon an harte Knochenarbeit.

Auch sein zeitgeschichtlicher und auf Tatsachen beruhender Gerichtsthriller "Die Unangreifbaren" wurde eine schwere Geburt, wie in seinem Nachwort festgehalten ("Ich hatte die bittersüße Aufgabe, bei diesem Roman mir zwei Lektoren zu arbeiten...").
Das Ergebnis ist laut Washington Post "ein fesselndes und wunderschön geschriebenes Buch über Liebe, Verbrechen und Rache — der literarische Thriller des Jahres".

Die Prohibition der zwanziger Jahre — Wiege des amerikanischen Gangstertums

Inhalt des Buches ist der der Aufstieg und Abfall des berühmtesten amerikanischen Wiskeyschmugglers George Remus.

Zur Verdeutlichung sei ein kurzer geschichtlicher Rückblick gestattet:
Aus anfänglicher Neutralität im 1. Weltkrieg zogen die USA durch Kriegslieferungen und Eindringen in fremde Märkte großen finanziellen und politischen Gewinn. Sie wirkten an der Reparationsfrage durch den Dawesplan (1924) und den Youngplan (1929) mit.
Von 1923/29 wurde Amerika zur wirtschaftlichen Großmacht und erlebte einen ungeheuren Aufschwung zu blühendem Wohlstand. Die Vereinigten Staaten von Amerika wurden zu einem hoffnungsträchtigen und gefragten Auswanderland für kriegsgebeutelte Europäer unterschiedlichster Nationen.
Deutsche Einwanderer führten in der neuen Welt u.a. die Bierbraukunst ein. Neue elektrische Kühlmethoden und die schnellere Verteilung des Getränkes mittels Eisenbahn führten zu gewaltigen Umsätzen. Durch Prostitution und Glücksspiel versuchten die wie Pilze aus der Erde schießenden Saloons ihren Profit zu vergrößern. Die neuen Tanzpaläste mit dem "verruchten Jazz der Neger" wirkten wie Brandbeschleuniger.
Der Nährboden für das zwar illegale, aber dafür umso schnellere Geschäft mit dem großen Geld war aufbereitet.

Um diesem Wildwuchs Einhalt zu gebieten und die zunehmende Kriminalität wieder in kontrollierbare Bahnen zu lenken, beschloss der amerikanische Kongress unter Präsident Herbert C. Hoover das Gesetz der Prohibition: staatliches Verbot von Alkoholherstellung und -abgabe, fest verankert als 18. Zusatzartikel in der Verfassung der USA und damit verbindlich für alle Bundesstaaten.


Die Trittbrettfahrer im Schlepptau von "Scarface" Al Capone

Der Verkauf, weniger jedoch der individuelle Konsum von Alkohol galt fortan als Straftat.
So trat jedoch das genaue Gegenteil des erwünschten Regierungszieles ein: Die Kriminalität nahm in den "Goldenen Zwanziger Jahren" der USA einen ungeahnten Aufschwung. In den Großstädten erhöhte sich z.B. die Mordrate um 78%.
Immer stärker wurde dabei die Kleinkriminalität durch das organisierte Verbrechen im großen Stil abgelöst. Wenn man den richtigen Dreh herausgefunden hatte, das System aus Korruption, Erpressung und absoluter Hörigkeit aufgebaut war, konnten Tellerwäscher zu Millionären werden. Vorausgesetzt, man hatte das Durchsetzungsvermögen und war kaltblütig oder wenigstens clever genug.

Eine solche Gangsterkarriere gelang George Remus, einem deutschen Einwanderer. Mit 17 Jahren bereits Apotheker, mit zwanzig Besitzer zweier Apotheken sowie anschließendes Jurastudium mit eigener Kanzlei waren ihm nicht genug.
Er erkannte ein für ihn geradezu gemachtes Schlupfloch im Prohibitionsgesetz, die "Formel für Millionäre":
Pharmazeutischen Betrieben wurde der Kauf von Whiskey im Großhandel gestattet, jedoch nicht alle erteilten Bezugslizenzen wurden von den Firmen auch beansprucht. Deshalb fuhr der seriös wirkende Apotheker und Rechtsanwalt George Remus einfach herum und kaufte die nicht benötigten Bezugslizenzen auf.
Klugerweise zog er von Chicago nach Cincinnati, "weil achtzig Prozent der Destillen des Landes in einem Umkreis von hundert Meilen um diese Stadt lagen."

Der prominente Anwalt Alfred Ring vertritt in dieser Gründungsphase George Remus in Rechtsfragen. Er verachtet ihn als dreckigen Deutschen, als Bauerntrampel, der zufällig zu etwas Geld gekommen war. Er verachtet ihn auch wegen der nicht zu verhindernden Liaison von Gangster Remus mit seiner hübschen Tochter Imogene, die letztendlich in der von ihm missbilligten Eheschließung gipfelt.

Der neureiche George Remus leidet unter der Vorstellung, zwar geschäftlich, jedoch nicht gesellschaftlich anerkannt zu sein. Das Bildungsbürgertum von Cincinnati verwehrt ihm, dem deutschen, millionenreichen Alkoholschmuggler die gesellschaftliche Reputation und öffentliche Anerkennung — ohne jedoch auf die großzügigen Geschenke bei seinen Hausparties verzichten zu wollen. Deren detaillierte Schilderung sind übrigens Glanzstücke des Buches und offenbaren den korrupten geistig-moralischen Verfall der geladenen Oberschichtgäste.


Aufstieg und Fall des Wiskey-Tycoons George Remus

Mit steigendem Gewinn wachsen natürlich auch die finanziellen Ausgaben und nicht minder die nervliche Belastung, um dieses System des Dollar scheißenden Esels am Laufen zu halten.
Remus, am Anfang seiner kriminellen Karriere verdeckt und heimlich operierend, wird mehr und mehr öffentlichkeitssüchtig und seine Feinde formieren sich.
Er wittert den Komplott und den scheinbaren Ehebetrug durch Imorgene, die er in einem rasenden Gefühl von Hilflosigkeit, Eifersucht und Hass im Beisein der Öffentlichkeit in einem Park erschießt.

Wie und warum es in diese Tat gipfelt ist der Kernpunkt des Gerichtsprozesses gegen den vermeintlichen Ehemörder George Remus. Dessen Verteidiger plädieren auf vorübergehende Geistesgestörtheit, um ihn vor einem erneuten und jetzt garantiert langfristigen Gefängnisaufenthalt zu retten.

Wie die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung sich Stück für Stück entwickeln, macht Craig Holdens "Die Unangreifbaren" zu einem interessanten Gerichtsthriller.
Die verschiedenen Zeit- und Handlungsebenen, teilweise aus der Sichtweise der Verteidigung und der Anklage, aus der Perspektive von Opfer und Täter, machen das Lesen zweifelsohne zu einer Konzentrationsaufgabe. Bei den vielen ähnlichen klingenden amerikanischen Vornamen sei vorsichtshalber ein Spickzettel empfohlen.

Das eigentlich spannende an diesem Buch ist auch wohl auch weniger der inszenierte Gerichtsprozess (hier ist bei den advokatischen Winkelzügen juristische Allgemeinbildung schon von Nutzen!), sondern die Schilderung der amerikanischen Verhältnisse während und wegen der Prohibitionszeit. (Dazu gehören übrigens auch einige knappe erotische Szenen, die mehr andeutend verheimlichen als fokussierend detaillieren und dadurch der eigenen Phantasie einen herrlich freien Spielraum lassen...).

Wer Gefallen hat an den "Goldenen Zwanziger Jahren", am American Way of Life vom Tellerwäscher zum Millionär in einer Welt von wirtschaftlichem Aufschwung, zunehmendem Wohlstand, wer Neugierde hat an der Schilderung von missglückter Prohibition durch das zugleich aufkeimende organisierte Verbrechen , sollte dieses Buch lesen.
Jedoch: Es ist kein Krimi für mal zwischendurch ein paar Seiten, so zwischen Frühstück und Gänsebraten! Dafür ist der Handlungsaufbau zu vielschichtig, komplex, verschmelzend und manchmal auch diffus.

Die Unangreifbaren

Craig Holden, Piper

Die Unangreifbaren

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