Das zweite Gedächtnis

  • Lübbe
  • Erschienen: Januar 2001
  • 19
  • London: Macmillan, 2000, Titel: 'Code to Zero', Seiten: 374, Originalsprache
  • Bergisch Gladbach: Lübbe, 2001, Seiten: 448, Übersetzt: Till R. Lohmeyer & Christel Rost
  • Augsburg: Weltbild, 2002, Seiten: 448
  • Bergisch Gladbach: Lübbe Audio, 2003, Seiten: 5, Übersetzt: Frank Glaubrecht
  • Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 2004, Seiten: 447
  • München: audio media, 2007, Seiten: 5, Übersetzt: Frank Glaubrecht
  • Köln: Bastei Lübbe, 2012, Seiten: 448
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Peter Kümmel
82°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2006

Der Wettlauf zum Mond hat begonnen

Wenn ein neuer Roman von Ken Follett erscheint, ist man zunächst einem gespannt darauf, welches Thema der vielseitige britische Schriftsteller dieses Mal behandelt. Mal geht es um mittelalterliche Dombaukunst, mal um irische Bergarbeiter oder aber um aktuelle Themen wie Gen- oder Erdbebenforschung. Das Thema Spionage an sich ist nun für Follett nicht gerade innovativ, doch "Das zweite Gedächtnis" entführt den Leser in das Jahr 1958 zum Start des ersten amerikanischen Weltraumsatelliten, in die Zeit des Beginns des Wettlaufs zum Mond zwischen Russen und Amerikanern.

Ein Mann erwacht mit Kopfschmerzen und Übelkeit in einer Bahnhofstoilette, betrachtet sich im Spiegel und sieht einen Penner. Doch wie ist er dorthin gekommen, und wer ist er überhaupt? Er kann sich an gar nichts mehr erinnern. Ein anderer Landstreicher spricht ihn mit Luke an. Doch etwas Intelligenz ist ihm anscheinend geblieben. In einer kleinen Kirche, in der Frühstück an Landstreicher ausgegeben wird, löst er mühelos ein Kreuzworträtsel. Er merkt, dass er verfolgt wird und kennt Tricks, den Verfolger abzuschütteln. War er etwa Polizist oder Geheimdienstler? Nach und nach erkennt er, welche Fähigkeiten er besitzt und versucht daraus zu schließen, was er sein könnte.

In einer Bibliothek versucht er anhand verschiedener Fachbücher herauszufinden, wovon er etwas versteht. Mathematik und Physik sind ihm nicht unbekannt, doch die "Grundlagen des Raketenbaus" sind mit Sicherheit sein Fachgebiet. So schlägt er sich, nachdem er ordentliche Kleidung gestohlen hat, zu einem Kongreß an der Universität durch, wo er schließlich als Dr. Claude Lucas, genannt "Luke", erkannt wird. Er arbeitet unter Wernher von Braun in dem Team, das am gleichen Abend in Cape Canaveral den ersten amerikanischen Satelliten in den Weltraum schießen will.

Sein Gedächtnisverlust muß etwas mit diesem Ereignis zu tun haben. Mit Hilfe von Freunden, an die er sich nicht mehr erinnert und die er erst wieder neu kennenlernen muß, versucht Luke, Schritt für Schritt die vergangenen Tage nachzuvollziehen. Doch woher soll er wissen, wer wirklich seine Freunde und wer seine Feinde sind?

Die fünf Hauptpersonen studierten 1941 gemeinsam an der Universität in Harvard und standen im Krieg im Dienst der OSS, der Vorläufer-Organisation der CIA:

  • Claude Lucas, genannt "Luke", studierte Raketentechnik und arbeitet an der Entwicklung des amerikanischen Satellitenprogramms.
  • Elspeth Twomay studierte Mathematik und war an der Universiät Lukes Freundin. Später verloren sie sich aus den Augen, trafen sich 1954 wieder, und heirateten. Auch Elsbeth arbeitet am Raketenprogramm mit.
  • Anthony Carroll wurde ein Kriegsheld, blieb beim Geheimdienst und machte dort Karriere als "Leiter der Technischen Dienste". Anthony hat Luke viel zu verdanken. Er durfte 1941 nur deshalb weiterstudieren, weil Luke die Schuld auf sich nahm, als Anthony seine damalige Freundin Billie mit auf sein Zimmer nahm.
  • Bern Rothsten wurde Schriftsteller, geriet als Kommunist auf die Schwarze Liste der McCarthy-Ära und verdiente danach sein Geld mit dem Schreiben von Kinderbüchern.
  • Billie Josephson, jüdischer Abstammung, wurde Psychologin und schrieb ein grundlegendes Werk über die Natur des Gedächtnisses. Billie war mit Ben verheiratet und hat mit ihm zusammen einen Sohn, Larry. Trotz der Scheidung kommen die beiden gut miteinander aus. Zur Studienzeit war Billie mit Anthony befreundet, hatte jedoch eine Affäre mit Luke.

Der sowjetische Sputnik war 1957 der erste Satellit, den Menschen in den Weltraum schossen. Die Amerikaner hatten eine empfindliche Niederlage einstecken müssen, denn mit ihren Raketen erlitten sie zunächst einige Fehlschläge. Doch der Wettlauf zum Weltraum war nicht nur ein Kampf der Nationen, sondern ein Kampf der verschiedenen politischen Systeme. Deshalb war es für die Amerikaner ungeheuer wichtig, dass am 29. Januar 1958 beim Start von Explorer I alles glatt lief, um den Kampf gegen das verhasste kommunistische System nicht von vornherein verloren geben zu müssen. Doch zweimal musste der Start kurzfristig um einen Tag verschoben werden. Wie die Geschichte weiterging, dürfte allgemein bekannt sein.

Ganze drei Tage umfasst die Handlung des Buches, doch in atemberaubender Geschwindigkeit minutiös erzählt, so daß man kaum zum Luftholen kommt. Streng chronologisch, doch aus verschiedenen Sichtweisen und an wechselnden Schauplätzen beschreibt Follett das Geschehen. Die Uhrzeit bildet dabei die Kapitelüberschriften. Unterbrochen wird das Ganze nur von Rückblenden zunächst in die Jahre 1941 und 1943, später in das Jahr 1954, als Luke seine Frau Elspeth heiratete, um dem Leser die Beziehungen der Hauptdarsteller untereinander näher zu bringen. Jedem Kapitel vorangestellt ist ein kurzer Absatz, der einen Teil der Rakete beschreibt, die somit von Anfang an zum zentralen Bestandteil des Romans gemacht wird, obwohl erst später ersichtlich wird, welche Rolle sie in dem Buch spielt.

Wie von Follett nicht anders gewohnt, ist das Buch überaus flüssig geschrieben. Die Spannung leidet eigentlich kaum darunter, dass der Leser durch die wechselnden Szenen weitaus mehr weiß als sein Protagonist Claude Lucas, der sich jede Information nach seinem Gedächtnisverlust erst wieder mühsam erarbeiten muß.

Der Roman ist vorwiegend auf die fünf Hauptdarsteller ausgelegt, die überaus genau dargestellt werden. Jeder hat dabei seine Stärken und Schwächen und wird nicht in irgendeine Schublade gezwängt. Beeindruckend, wie gut Follett die Entwicklung der Charaktere von ihrer Studienzeit ab in nur wenigen Rückblenden dargestellt hat. Leider jedoch hat er nicht so viel Wert auf Nebendarsteller gelegt, die doch größtenteils recht blaß bleiben.

Selbstverständlich darf bei Follett auch eine romantische Liebesgeschichte nicht fehlen.

Ein großer Pluspunkt sind die Recherchen des Autors. So einiges hat man sich sicher anders vorgestellt beim Beginn der Raumfahrtära. Hervorragend integriert sind die historischen Geschehnisse in die fiktive Handlung des Romans. Sehr glaubhaft dargestellt ist die Erklärung für die Verschiebung des Raketenstarts und vielleicht steckt sogar das eine oder andere Körnchen Wahrheit darin. So genau wird man das sicher nie erfahren. Und obwohl das Thema Gedächtnisverlust in Romanen schon reichlich abgegriffen ist, war es selten so logisch nachvollziehbar geschildert wie hier.

Daß Follett keine tiefgründigen anspruchsvollen Romane schreibt, weiß jeder, der bereits ein Buch von ihm gelesen hat. Aber der Autor geht ins Detail und liefert für alles eine Erklärung, so daß man als Leser das Buch befriedigt beiseite legen kann und keine Fragen offen bleiben. Mit "Das zweite Gedächtnis" ist ihm wieder ein spannender Unterhaltungsroman gelungen, in den man sich so richtig vertiefen und mit den Helden mitfiebern und mitleiden kann, ohne sich geistig übermäßig anzustrengen.

Das zweite Gedächtnis

Ken Follett, Lübbe

Das zweite Gedächtnis

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